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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Wohlstand
Deutschland lebt von der Substanz

Der Kapitalstock altert, und zwar schneller als in anderen Nationen. Vor allem Bauten und Infrastruktur sind davon betroffen.
Die marode Talbrücke Rahmede auf der Autobahn 45 bei Lüdenscheid .

Die marode Talbrücke Rahmede auf der Autobahn 45 bei Lüdenscheid .

© picture alliance/dpa | Dieter Menne

Es ist nicht das erste Mal, dass Deutschland attestiert wird, es lebe von der Substanz. Schon 2017 ließ eine Studie – damals des IW Köln – aufhorchen. Ihr Titel: “Verzehrt Deutschland seinen Kapitalstock?”. In dieser Woche war es nun eine Untersuchung des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (vfa), der mit einer Art Fortsetzung aufwartete. Er kalkulierte mit einer recht einfachen Methodik, ob die Anlagen unserer Volkswirtschaft länger als üblich genutzt werden – und zwar für die Industrie und die öffentliche Infrastruktur, getrennt für Bauten und Anlagen sowie geistiges Eigentum und Ausrüstungen. Die Studie untersuchte unterschiedliche Branchen, verschiedene Nationen und einen Zeitraum von fast drei Jahrzehnten seit den frühen neunziger Jahren.

Das Ergebnis ist alarmierend, jedenfalls im internationalen Vergleich.

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Innerhalb der Gruppe der untersuchten neun hoch entwickelten OECD-Länder fällt die Alterung des Kapitalstocks in Deutschland am stärksten aus – knapp hinter Italien und Österreich, deutlich hinter Belgien, den Niederlanden und Frankreich und auch klar hinter dem Vereinigten Königreich und dem mit Abstand modernsten Land Kanada. Der Abwärtstrend führt dabei fast linear nach unten, seit über zwei Jahrzehnten. Eine genauere Zerlegung des Trends für Deutschland zeigt, dass der Modernitätsgrad vor allem bei Bauten und dem Anlagevermögen gelitten hat, während er sich beim geistigen Eigentum recht stabil hielt. Besonders vom Niedergang betroffen war dabei die Bausubstanz, mit einem Schwerpunkt bei der öffentlichen Infrastruktur von Schulen über Schienen bis zu den Brücken und Straßen.

Natürlich mag man über methodische Details der Studie streiten. Sie beruht im Wesentlichen auf der Gegenüberstellung von Netto- und Bruttoanlagevermögen, die kombiniert ein Maß liefern für den Unterschied zwischen dem kalkulatorischen Wert eines Kapitalgutes und seinem Wiederbeschaffungswert. Jeder erfahrene Bilancier kennt die Schwächen und Grenzen solcher Berechnungen. Gleichwohl muss das Ergebnis aufrütteln: Offenbar altert in Deutschland nicht nur die Bevölkerung und das Potenzial an Erwerbstätigen – und zwar im internationalen Vergleich überdurchschnittlich –, sondern eben auch der Kapitalstock.

Die politische Schlussfolgerung kann nur lauten: Wir brauchen dringend eine Offensive für mehr Investitionen, und zwar im öffentlichen und im privat kommerziellen Bereich. Die wird volkswirtschaftlich nur funktionieren, wenn wir strukturell in den Haushalten die Prioritäten verlagern – vom Konsum zu den Investitionen, mit einem Schwerpunkt auf die “Hardware”, bei der es offenbar besonders hapert. Dies wird nur klappen, wenn es in einem Rahmen der fiskalischen Solidität geschieht – ohne Steuererhöhungen, die sich lähmend auf die Investitionsbereitschaft der Unternehmen auswirken würden, und ohne Aufgabe der Schuldenbremse, die erst jene Bonität des Staates garantiert, die uns im internationalen Vergleich niedrige Zinsen beschert.

Eine Kernaufgabe! Und zwar für die jetzige Ampelregierung und für jede Regierung nach ihr, gleichgültig welche Farben sie tragen wird. Denn die Modernisierung Deutschlands ist eine Aufgabe, die zum Zeitpunkt der nächsten Bundestagswahl 2025 noch lange nicht abgeschlossen sein kann. Sie wird sich über viele Jahre erstrecken, genauso wie sich das investitive Versagen der früheren Regierungen über mehr als zwei Dekaden hinzog.