USA
Zwischen Burden-Sharing und klarer Kante
Die zweite Amtszeit Donald Trumps trifft Europa inmitten einer Zeit wachsender Herausforderungen. Weltweit verschärfen sich Systemrivalitäten, während Europas wirtschaftliche Schwäche und Sicherheitsrisiken zunehmen. Der russische Aggressionskrieg in der Ukraine erschüttert die Stabilität unseres Kontinents, und die innere wie äußere Erosion der liberalen Demokratie bedroht unsere Lebensweise. Gleichzeitig steht mit Donald Trump an der Spitze unseres wichtigsten Partnerlandes ein erklärter Gegner der Europäischen Union.
Anstatt wie das Kaninchen auf die Schlange zu starren, ist jetzt entschlossenes und proaktives Handeln gefragt. Sowohl die deutsche Regierung und ihre EU-Partner als auch die EU-Kommission müssen jetzt aktiv auf die Trump-Regierung reagieren: Nicht im Empörungsmodus, besserwisserisch oder moralisierend-überheblich, sondern entschlossen, einig, kooperativ – aber auch hart und fest in der Sache! Dies umso mehr, als Trump nicht nur innen-, sondern auch außenpolitisch schon vor seiner Amtseinführung sagt, was er sich für seine zweite Amtszeit vorstellt. Seine Aussagen zum Kauf Grönlands, zur Annexion des Panama-Kanals und zur Einverleibung Kanadas sind da nur der Anfang.
Trump hatte im Wahlkampf großspurig angekündigt, innerhalb eines Tages den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine beenden zu können. Jetzt spricht er zwar schon von sechs Monaten, aber damit wir Europäer mit am Verhandlungstisch sitzen, müssen wir jetzt dringend klarmachen, welchen Beitrag wir zu leisten bereit sind. Deutschland könnte seine Rolle untermauern, indem es endlich den Marschflugkörper Taurus an die Ukraine liefert, um für eine bessere Ausgangssituation für die Ukraine zu sorgen. Und indem wir wie Polen und unsere nordisch-baltischen NATO-Partner robuste Sicherheitsgarantien für die Ukraine nach einem möglichen Waffenstillstandsabkommen fordern, durch einen NATO-Beitritt des von Kiew kontrollierten Gebiets, analog dem Beitritt des geteilten Deutschlands in den 1950er Jahren.
Lastenverteilung und Verteidigungsfähigkeit in der NATO
Trump und seine Vorgänger fordern schon länger eine gerechtere Lastenverteilung in der NATO. Verkannt wird von Trumps Umfeld hingegen, dass in vielen europäischen Ländern und in der EU als Ganzes mit dem Angriff auf die Ukraine eine sicherheitspolitische Zeitenwende stattgefunden hat. So erreichte Deutschland unter Regierungsverantwortung der FDP erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges das NATO-Ziel von 2 % BIP für Verteidigungsausgaben. Die 2%-Quote ist für uns Liberale das absolute Mindestziel. Die NATO hat inzwischen neue Fähigkeitserfordernisse definiert. Eine Einigung auf eine höhere Quote, z.B. 3 %, ist nur noch eine Frage der Zeit. NATO-Generalsekretär Mark Rutte drängt berechtigterweise darauf. Die von Trump geforderten realitätsfernen 5 % entlarven jedoch Trumps Masche: Immer erst mal draufhauen. Dabei weiß er genau, dass die USA selbst nur bei ca. 3,4 % stehen. Diese Methode wird sich hoffentlich abnutzen, aber momentan beherrscht Trump damit die Agenda und wir müssen lernen, damit umzugehen, denn die USA bleiben auch unter Trump unser engster Verbündeter außerhalb Europas, ob wir seinen Modus Operandi mögen oder nicht.
Deutsche und Europäer müssen Trumps Umfeld viel klarer kommunizieren, welche Quantensprünge unsere Länder sicherheitspolitisch in den letzten drei Jahren vollbracht haben. Wichtiger als eine reine Quotendiskussion muss zukünftig sein, dass die notwendigen Fähigkeiten für eine glaubhafte Landes- und Bündnisverteidigung schnellstmöglich realisiert werden. Dazu muss sich auch die künftige Bundesregierung bekennen.
Unsere europäischen Verteidigungsfähigkeiten müssen so ausgebaut werden, dass sie einen Angriff auf unsere Bündnispartner wirksam abschrecken können – nicht unter Ausschluss der USA, sondern fest an ihrer Seite als Verbündete auf Augenhöhe mit einem gestärkten europäischen Pfeiler in der NATO. Dabei können wir nur vorankommen, wenn wir uns auf flexible Verteidigungskoalitionen stützen, die eine gemeinsame Finanzierung, Beschaffung und Fähigkeitsentwicklung ermöglichen. Diese Zusammenarbeit ist der Schlüssel, um die europäische Verteidigung effizienter, unabhängiger und zukunftsfähig zu machen.
Der außen- und sicherheitspolitische Fokus der USA wird sich zunehmend weiter auf den Indo-Pazifik verlegen. Um für diese Verschiebung gewappnet zu sein, muss Europa jetzt die beschriebenen Weichen stellen. Gleichzeitig müssen wir den Republikanern, die sich für eine Abkehr von der Unterstützung der Ukraine aussprechen, verdeutlichen, dass ein Sieg Russlands auch ein Sieg für China und seine Kommunistische Partei wäre. Denn China ist längst keine ausschließlich indo-pazifische Herausforderung mehr. Peking verfolgt seine wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen zunehmend aggressiver in Europa, Afrika und Lateinamerika. Die Vereinigten Staaten haben – genauso wie wir – ein Interesse an einem Schulterschluss, um auf die wachsenden Systemrivalitäten reagieren zu können.
Handelspolitik und transatlantische Beziehungen
In der Handelspolitik drohen in Trumps zweiter Amtszeit ebenfalls erhebliche Herausforderungen, insbesondere für die deutsche exportorientierte Wirtschaft. Ein fairer, freiheitlicher und globaler Warenverkehr ist nicht nur der Garant unseres Wohlstandes und ein Katalysator für Innovation – sowohl für Europa als auch für die Vereinigten Staaten –, sondern auch eine zentrale Grundlage für unsere geopolitische Stärke. Wirtschaftliches Wachstum ermöglicht es uns, unsere Interessen und Werte effektiv zu vertreten, eigene Standards zu setzen und unseren Wohlstand zu sichern. Eine Spirale aus immer neuen Zöllen mit den USA würde keinen Gewinner hervorbringen, sondern beide Volkswirtschaften erheblich belasten. Die wirtschaftlichen Schäden könnten leicht in die dutzenden Milliarden Euro pro Jahr gehen und Innovation sowie Wachstum nachhaltig beeinträchtigen.
Umso wichtiger ist es, den EU-Binnenmarkt nachhaltig zu stärken und das Umfeld für technologische Innovationen zu schaffen, damit wir ein starker Handelspartner mit besonderem Mehrwert für die USA bleiben. Gerade mit Blick auf Trumps angekündigte protektionistische Handelspolitik muss insbesondere Deutschland entschlossene Wirtschaftsreformen im Rahmen einer Wirtschaftswende angehen. Andernfalls könnten deutsche Unternehmen am Ende vor der Wahl stehen, ihre Produktion in die USA zu verlagern oder sich ganz aus dem transatlantischen Geschäft zurückzuziehen. Auf europäischer Ebene muss sich die deutsche Regierung für mehr Freihandelsabkommen einsetzen, wie jüngst bei der politischen Einigung zum MERCOSUR-Abkommen geschehen.
Transatlantische sektorale Abkommen, wie etwa ein Industriezölle-Abkommen und eine Institutionalisierung des EU-US Technology and Trade Council (TTC), könnten ein weiteres Mittel sein, um ein freihandelsfreundliches und kooperatives Verhältnis zu schaffen, das beide Parteien geopolitisch stärkt. Der transatlantische Schulterschluss bietet dabei eine doppelte Chance: Gemeinsam mit den USA stehen wir auf der gleichen Seite im globalen Systemwettbewerb und können durch abgestimmte Handels- und Industriepolitik unsere wirtschaftliche Stärke ausbauen. Diese Zusammenarbeit schafft nicht nur einen Vorteil gegenüber systemischen Rivalen wie China, sondern ermöglicht es uns auch, unsere Industrien gezielt zu schützen und gleichzeitig gemeinsame Standards zu setzen, die unsere Werte und Interessen global voranbringen.
In all diesen Fragen müssen wir uns die Breite und Tiefe der transatlantischen Partnerschaft zunutze machen. Als Transatlantikkoordinator habe ich in den letzten 2,5 Jahren erfahren dürfen, wie vielfältig die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA sind: politisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich, gesellschaftlich. Ich habe in dieser Zeit insbesondere das Kontaktnetz in die republikanische Partei kontinuierlich ausgebaut und gemeinsame Interessen mit amerikanischen Stakeholdern identifiziert. Auf diese Kontakte muss die aktuelle und zukünftige Bundesregierung aufbauen, um deutsche und europäische Interessen auch über diese Wege im Washingtoner Regierungsviertel und in Mar-a-Lago zu verankern.
Letztlich bedeutet Trumps zweite Präsidentschaft eine Umstellung des politischen Stils, mit dem amerikanische Regierungsvertreter uns Europäern in den kommenden vier Jahren begegnen werden. Wir sollten unsere Unterschiede zu Trumps Politikvorstellungen daher transparent ansprechen – jedoch sachlich und ohne Emotionen. Mit Gefühlsaufwallungen oder Überheblichkeit erwirkt man bei Trump eher Gegenreaktionen. Dabei sollten wir uns keine Illusionen machen: Viele MAGA-Anhänger – auch in Trumps zukünftiger Regierung – verstehen internationale Beziehungen als Nullsummenspiel, in dem die USA nur dann gewinnen, wenn andere Länder verlieren. Anders ist es nicht zu erklären, dass Trump mit engsten Partnern so umgeht, wie man es eigentlich gegenüber Gegnern erwarten würde, siehe seine jüngsten Äußerungen zu Kanada oder Mexiko.
Auf die Unwägbarkeit von Trumps Politik müssen wir Europäer reagieren, indem wir unsere eigene Stärke ausbauen und gleichzeitig mit unseren Angeboten offensiv für eine starke Partnerschaft mit den USA werben. Trumps Präsidentschaft jetzt zum ideologischen Feindbild auszurufen, würde am Ende nur dem transatlantischen Verhältnis und unserer unausweichlichen zukünftigen Zusammenarbeit schaden. Pragmatismus ist das Gebot der Stunde.
Zum Autor: Michael Georg Link war von März 2022 bis November 2024 Koordinator der Bundesregierung für die transatlantische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Kuratoriums der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.