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„Erschießen!“, sagt Duterte und droht mit Kriegsrecht

Wie der philippinische Präsident Duterte mit der Corona-Epidemie umgeht
Präsident Duterte
Der philippinische Präsident Rodrigo Duterte spricht zur Nation über die Maßnahmen der Regierung, die Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. © picture alliance/AP Photo

Lange Zeit hat der philippinische Präsident Rodrigo Duterte die Gefahr einer Corona-Epidemie in seinem Land verharmlost. Als bereits zahlreiche Länder Einreisebeschränkungen gegen Reisende aus China verhängt hatten, argumentierte die Regierung gegen solche Maßnahmen, aus Furcht vor „diplomatischen und politischen Auswirkungen“.

Präsident Duterte pflegt ein sehr enges Verhältnis mit China. Peking hat im Gegensatz zu westlichen Staaten keine Probleme mit Dutertes sogenannten „Krieg gegen die Drogen“ mit mehr als 20.000 Toten. 2019 besuchten 1.4 Millionen chinesische Touristen die Philippinen. Zudem hat China Infrastrukturkredite in Höhe von gut acht Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Selbst als der erste Tote weltweit außerhalb von China auf den Philippinen an Covid-19 gestorben war und auf den sozialen Medien ein Proteststurm wegen mangelnder Regierungsmaßnahmen entbrannte, spielte Duterte die Gefahr weiterhin herunter: „Ein oder zwei Fälle sind kein Problem“. Nun gibt es auf den Philippinen 6.710 dokumentierte Corona-Infektionen und 446 Tote.

Defizite im Gesundheitssystem

Die Philippinen sind kaum für eine Epidemie gerüstet. Lokalpolitiker sind Hauptentscheidungsträger. Lokale Kapazitäten, Ressourcen und Prioritäten führen zu einem fragilen und fragmentierten Gesundheitssystem. Es reagiert nur langsam auf die Epidemie. Bei 105 Millionen Einwohnern gibt es im Durchschnitt nur einen Arzt für 40.000 Menschen. Nur 1.500 lebenswichtige Beatmungsgeräte stehen zur Verfügung. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es einen Arzt für 300 Einwohner und 30.000 Intensivbetten mit Beatmungsgeräten. Der Kauf von Schutzausrüstung lief auf den Philippinen nur schleppend an, was zu fehlenden Masken und zu wenigen anderen Ausrüstungsgegenständen führte. Auch deshalb versterben auf den Philippinen weltweit anteilig die meisten Ärzte und Krankenschwestern an COVID-19. Das setzt das ohnehin prekäre Gesundheitssystem noch mehr unter Druck.

Auch der Ausbau der Testkapazitäten verläuft schleppend. Noch Ende Januar wurden Tests zur Auswertung nach Australien geflogen. Als die Regierung die ersten lokalen Infektionen Anfang März bekannt gab, war nur ein einziges Labor auf den Philippinen in der Lage, Tests durchzuführen. Aufgrund der begrenzten Kapazitäten stehen die Tests offiziell nur Alten, Immungeschwächten und schwer erkrankten Personen mit starken Atembeschwerden zur Verfügung. Das galt aber nicht für Politiker der Regierung und Prominente. Sie, ihre Familien und Mitarbeiter erhielten Test, obwohl sie keine ernsten Symptome hatten. Es folgte ein Aufschrei in den sozialen Medien. Die Regierung beschwichtigte: Es gäbe keine Sonderbehandlung von VIPs, man habe die Test nur „aus Höflichkeit“ durchgeführt. Mittlerweile wurden 16 Testzentren eingerichtet. Sie reichen aber nicht für größere Testreihen, weil es nicht genügend Test-Kits gibt. Deshalb ist eine belastbare Aussage darüber, wie viele Infektionen es im Land tatsächlich gibt, kaum möglich. Die Regierung agiert im selbstverschuldeten Blindflug.

Die fehlenden Testkapazitäten tragen auch zu Defiziten in der Nachverfolgung von Infektionsketten bei. Präsident Duterte verkündete deshalb Mitte März eine Quarantäne für ganz Manila, die in 48 Stunden greifen sollte. Personen sollten zu Hause bleiben und dürften den eigenen Stadtteil nicht verlassen. Der öffentliche Nahverkehr werde eingestellt. Nur lebenswichtige Einrichtungen wie Supermärkte, Apotheken und Krankenhäuser sollten geöffnet bleiben. Zehntausende nutzten die 48-Stunden Frist, um die Hauptstadt zu verlassen. Damit erhöhten sie die Gefahr einer regionalen Verbreitung des Virus. Flughäfen und Busterminals waren überlaufen. Um die Stadt noch rechtzeitig zu verlassen, drängelten sich Menschen um die Busse, soziale Distanzierung war unmöglich. Danach entschied die Regierung, die Quarantäne auf die ganze Region Luzon, in der Manila liegt, auszuweiten. Somit wurde das Bewegungsverbot von 13 Millionen auf 53 Millionen Einwohner ausgeweitet – es betrifft nun die Hälfte der philippinischen Bevölkerung. Zudem wurde soziale Distanzierung vorgeschrieben und eine nächtliche Ausgangsperre sowie die Pflicht zum Tragen von Masken erlassen. Nach Einführung der Regeln samt Einstellung des öffentlichen Nahverkehrs mussten Ärzte, Krankenschwestern und Angestellte von Supermärkten teilweise stundenlang zu Fuß zur Arbeit gehen. Straßensperren führten zu Menschenansammlungen, was das Infektionsrisiko erhöhte. Ebenso gefährlich ist, dass viele Erkrankte ohne lebensbedrohliche Syndrome aufgrund der fehlenden Kapazitäten im Gesundheitssystem zu Hause bleiben müssen. Das erhöht das Infektionsrisiko in den Haushalten und führt zu neuen Infektionen, wenn Haushaltmitglieder die Wohnung verlassen, um Nahrungsmittel zu kaufen.

„Erschießen!“, sagt der Präsident und droht mit Kriegsrecht

Die philippinischen Maßnahmen sind die härtesten in Südostasien. Die Regierung will öffentliche Sicherheit und Ordnung sichern. Zur Corona-Bekämpfung setzte Duterte statt Gesundheitsfachleute lieber Generäle an die Spitze einer Task Force. Polizei und Militär überwachen die Einhaltung der Quarantäne. 25.000 Personen wurden bislang wegen Verstößen verhaftet. Bilder von Personen, eingesperrt in Hundekäfigen unter der glühenden Sonne, machten in sozialen Medien die Runde. Duterte war das nicht genug. In einer Rede wies er Polizei und Militär an, Personen auf der Stelle zu erschießen, die Quarantäne-Bestimmungen vermeintlich verletzen. Jüngst drohte Duterte mit der Verhängung des Kriegsrechts. Dabei ist es für Millionen Menschen in der Hauptstadt Manila schlichtweg unmöglich, sich selbst unter Quarantäne zu stellen und soziale Distanzierung einzuhalten: sie wohnen dichtgedrängt auf kleinstem Raum in Slums. Andere sind obdachlos. Vielerorts sind die hygienischen Zustände katastrophal und häufiges Händewaschen schlicht nicht möglich. Und so führt manche harte Maßnahme des Präsidenten zu keinem sichtbaren Erfolg oder wirkt sogar kontraproduktiv – genau wie im sogenannten „Krieg gegen die Drogen“, in dem Zehntausende starben ohne dass die Drogen verschwanden.

Inkompetentes Krisenmanagement

Kontraproduktiv ist auch das Vorgehen der Regierung gegen Oppositionspolitiker und Lokalpolitiker. Zweifellos leisten sie unabhängig von der Regierung gute Arbeit bei der Bewältigung der Pandemie. Die Vizepräsidentin der Philippinen, die Oppositionspolitikerin Leni Robredo, organisiert Busverbindungen für Ärzte und Krankenschwestern in Manila. Mit der Unterstützung von privaten Spenden liefert sie dringend benötigte Schutzausrüstung wie Masken und Handschuhe an Krankenhäuser. Der lokale Bürgermeister des Stadtteils Pasig in Manila, Vico Sotto, der schon vor der Corona-Krise als zukünftiger Präsidentschaftskandidat gehandelt wurde, öffnete den öffentlichen Nahverkehr für Mitarbeiter in krisenrelevanten Bereichen. Präsident Duterte beschwerte sich über Alleingänge auf lokaler Ebene. Plötzlich liefen polizeiliche Ermittlungen gegen den Bürgermeister - angeschoben von Manuelita Luna, einem Mitglied der staatlichen Anti-Korruptionskommission. Dies führte zu öffentlicher Kritik. Der Präsident musste zurückrudern und Herrn Luna feuern. Die Ermittlungen wurden eingestellt. Trotzdem scheint eine abschreckende Wirkung zu bleiben. Viele Lokalregierungen zögern mit unabhängigen Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung. Wer trotzdem aktiv wird, hängt das nicht an die große Glocke. Dies behindert die Ausarbeitung und Verbreitung von Best Practices und erschwert die Virusbekämpfung.

Wirtschaft steht vor dem Kollaps - „No work, no pay“

Die Zahl der Neuinfektionen geht bislang nicht nennenswert zurück. Vor diesem Hintergrund muss die Regierung bald die schwierige Entscheidung treffen, inwiefern die Wirtschaft wieder in Gang gebracht werden kann. Eine Verlängerung der Quarantäne könnte die Coronainfektion zurückfahren, aber viele kleine und mittelgroße Unternehmen, und damit Millionen von Arbeitsplätzen, in den Ruin stürzen. Laut Studien und Wirtschaftsvertretern können kleine und mittelgroße Unternehmen die Quarantäne nur bis Mai überleben. Viele sind Zulieferer größerer Unternehmen. Ein verstärkter Konjunkturrückgang würde weiteren Schaden anrichten. Präsident Duterte muss im Mai zwischen einer teilweisen Öffnung der Wirtschaft und einer Fortführung der Quarantäne, eventuell sogar unter Kriegsrecht, entscheiden. Die Folgen werden weitreichend sein. Auf den Philippinen bekommen viele Menschen ihr Gehalt wöchentlich. „No work, no pay“ ist verbreitet - wer nicht arbeitet, erhält auch kein Gehalt. Vor Pfandhäusern bildeten sich lange Schlangen. Zwar hatte die Regierung vollmundig 100 bis 150 Euro pro Monat für 18 Millionen bedürftige Familie versprochen. Später erhielten aber zunächst nur 3.8 Millionen Familien Geld. Viele müssen warten, da Bürokratie, fehlende Infrastruktur und widersprüchliche Registrierungszahlen die Auszahlungen verzögern. Viele Menschen fürchten nicht das Virus, sondern Hunger.

Wolfgang Heinze leitet das Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit auf den Philippinen.