"Liebe, Leben, akzeptiert sein"
Wenn in gut zwei Wochen der Bundestag gewählt wird können die zwölf geflüchteten Journalisten aus Syrien, Afghanistan, dem Iran, der Türkei und Aserbaidschan nicht mitwählen. Für eine Tagesspiegel-Beilage, die am Samstag als Projekt der Friedrich-Naumann-Stiftung in Kooperation mit dem Verlag und der Robert-Bosch-Stiftung erscheint, haben sie aufgeschreiben, was Demokratie und Freiheit - "Huriya" auf Arabisch, "Azadi" auf Persisch - für sie bedeuten. Auch wenn sie am 24. September nicht zur Urne gehen können: Die Freiheit ist für alle die erste Wahl.
1. Jamal Ali: "Akzeptiert sein."
"Ich bin frei, wenn ich mich nicht mehr dafür rechtfertigen muss, was ich bin. Wenn ich endlich sein kann, wer ich bin. Als ich nach Deutschland kam, fühlte ich mich total frei, ich war euphorisch; ich kam aus dem Gefängnis nach Berlin. Aber man gewöhnt sich sehr schnell an die Freiheit und kann nicht mehr darauf verzichten. Manchmal fühle ich mich unfrei, weil ich mich auch jetzt noch rechtfertigen muss – dafür, dass ich hier bin. Ich muss mich akzeptiert, mindestens toleriert fühlen."
2. Omid Rezaee: "Freiheit des Alltags"
"Freiheit sollte sich für mich als Journalisten vor allem auf die Meinungsfreiheit beziehen. Aber es ist nicht so – oder zumindest nicht nur. Für mich zählt die Freiheit im Alltag, die Freiheit der Banalität: dass mein tägliches Verhalten nicht als abnormal betrachtet wird. Dass meine Getränke nicht illegal sind. Dass ich legal Liebe machen darf. Dass ich alle – egal was unsere offizielle Beziehung ist – auf
der Straße begleiten darf. Um ehrlich zu sein, spielt diese private Freiheit eine größere Rolle als meine berufliche. Nirgendwo trifft die Aussage „privat ist politisch“ so sehr zu wie bei der Freiheit."
3. Negin Behkam: "Gesehen werden"
"Was ist Freiheit für mich? Dass ich nicht mehr gezwungen bin, im öffentlichen Raum Kopftuch zu tragen? Oder dass ich nicht befürchten muss, im Gefängnis zu landen, weil ich meine Meinung sage? Natürlich habe ich in Deutschland mehr Freiheiten als in Iran. Aber mein Kampf für mehr Freiheit ist trotzdem noch nicht beendet. Ich würde gerne eines Tages in dieser Gesellschaft als Individuum betrachtet werden und nicht nur als Vertreterin eines Landes, aus dem ich geflohen bin, und einer Religion, mit der ich unterdrückt wurde."
4. Ahmad Wali Temori: "Mein eigenes Leben"
"Freiheit heißt für mich, dass ich meine eigenen Entscheidungen treffe und meine Ziele verfolgen kann, ohne dass mich jemand daran hindert. In Afghanistan durfte ich zum Beispiel nicht in eine Partei eintreten, weil meine Eltern das zu gefährlich fanden; die Taliban wollten mir verbieten, als Übersetzer für die amerikanische Armee zu arbeiten. Als ich meinen Job kündigen wollte, wollte mir mein amerikanischer Chef verbieten aufzuhören. Ich will mein eigenes Leben leben. In Deutschland ist das möglich."
5. Zoya Anwer Mahfoud (40, Syrien): "Frei von Stereotypen"
"Ich ergebe mich nicht den Stereotypen, die die Gesellschaft bestimmen. Ich bin frei, wenn ich selbst entscheide – was ich lerne, was ich tue, wo ich wohne und wie ich lebe. In Syrien musste ich mich dafür rechtfertigen, dass ich kein Kopftuch trug oder mit meinem Freund über die Straße lief. Aber ich möchte keine Angst haben, zu sagen, wer ich bin. In arabischen Ländern wird leider nur für die Freiheit von Machthabern gekämpft, nicht für eine freie Gesellschaft."
6. Hussein Ahmad: Keine Zensur im Kopf
"Theoretisch haben alle Völker der Welt „Freiheit“. Beispielsweise heißt es in Artikel 33 der syrischen Verfassung: „Die Freiheit ist ein heiliges Recht, das der Staat garantiert.“ Auf dem Papier haben die Syrer also „heilige“ Freiheit, aber die Realität sieht anders aus! Für eine richtige, echte Freiheit braucht Syrien keine Freiheitsstatue, sondern Freiheitsseele. Im Klartext: Ich bin frei, solange ich frei denken kann, ohne meine Gedanken zu zensieren."
7. Hamid Arman: "Wert, dafür zu kämpfen"
"Freiheit bedeutet für mich: Wenn ich mit meiner Frau, die Kopftuch trägt, über die Straße gehen kann, ohne dass wir merkwürdig angeguckt werden. Dass ich nicht diskriminiert werde, wenn ich mich mit einem islamischen Namen um einen Job bewerbe. Dass alle Menschen respektiert werden, egal ob sie gläubig sind oder nicht. Freiheit ist ein Segen, ein unschätzbarer Wert – daher sollten wir sie respektieren und für sie kämpfen, auch wenn es unser Leben kostet."
8. Muhamad Abdi: "Als Individuum zählen"
"Freiheit hat verschiedene Bedeutungen und Formen. Freiheit heißt Respekt. Freiheit heißt, dass ich Sachen sagen kann, ohne Angst zu haben. Dass ich unabhängig bin. Ich möchte als Individuum wahrgenommen werden und frei über mich entscheiden."
9. Mazen Abo-Ismael: "Frieden und Liebe"
"Mein ganzes Leben lang habe ich mich nie absolut frei gefühlt, außer als Kind. Und ich glaube, ich werde nie frei sein, bis Politiker im Namen und im Dienste aller Menschen regieren. Für mich ist Freiheit, meinen gerechten Anteil an der Existenz in Zeit und Raum zu haben, solange ich die Rechte anderer respektiere. Freiheit ist ein Leben fern der Beschränkungen und Komplikationen der modernen Welt, ein Leben in Frieden und Liebe. Am wichtigsten ist es, frei vom unkontrollierten, unaufhörlichen Strom des Denkens und vom eigenen Ego zu sein."
10. Hiba Obaid: "Leben wo ich will"
"Ich bin frei, wenn ich meine Entscheidungen selbst treffe und nicht die Gesellschaft, die Religion oder die Politik das für mich tun. Freiheit heißt, dass es meine Füße sind, die mich in jedes Land tragen, in das ich sie setzen will – und nicht irgendein Reisedokument. Denn für mich bedeutet Freiheit, in einem Land zu leben, das ich liebe und selbst ausgewählt habe. Freiheit heißt, meine Religion, Nationalität und meinen Namen wählen zu können. Sie bedeutet, dass ein Land den Menschen gehört, nicht den Politikern. Dass ich jeden Tag in den Spiegel schauen kann und weiß: Ich bin und mache, was ich will."
11. Mustafa Ahmad Aldabbas: "Mich nicht verstecken müssen"
"Freiheit bedeutet für mich: Als Journalist die Möglichkeit zu haben, frei zu schreiben und offen zu kritisieren – ohne Gefahr zu laufen, zensiert oder auf eine schwarze Liste gesetzt zu werden. Als schwuler Mann meine Sexualität nicht verstecken zu müssen – ohne Angst zu haben, deshalb diskriminiert, gefoltert oder getötet zu werden. Von Gesetzen geschützt zu werden, die mir die gleichen Rechte, aber auch die gleichen Pflichten zusichern wie allen Bürgern. Freiheit bedeutet für jeden Menschen etwas anderes, und dennoch müssen wir alle zusammen für das gleiche Ziel kämpfen und einstehen."
12. Adnan Al Mekdad: "Frei berichten"
"Als Journalist in Syrien war ich gezwungen, ein „falscher Zeuge“ zu sein: Der Polizeistaat und die Unfreiheit machten es unmöglich, die Wahrheit, die wahren Hintergründe aufzudecken. Ich fühle mich nur frei, wenn ich mit meinem Stift, meinem Mikrofon und meiner Kamera berichten kann, was ich wirklich sehe. In Deutschland fühle ich mich frei."