Peking ante Portas
Für die Volksrepublik China hat sich ein neues Tor nach Europa geöffnet: Es ist die Tschechische Republik. Tschechien ermöglicht Peking einen immer größeren Einfluss auf Kernbereiche von Wirtschaft und Infrastruktur und damit auch eine Einflussnahme auf den Kurs der tschechischen Regierung. Dabei geht es nicht allein um Wirtschaftsentwicklung, sondern auch um politische Machtspiele, deren Folgen man vielleicht schon bald bedauern wird. Die Menschenrechtsorientierung der Außenpolitik des EU-Landes, die lange Zeit politischer Konsens war, gehört inzwischen der Vergangenheit an.
Es begann vor etwa eineinhalb Jahren. Neue Wirtschaftspartner schienen der tschechischen Wirtschaft Investitionen im Wert von 3,5 Milliarden Euro zu versprechen, was in ganz Tschechien Freude auslöste. Die Geldgeber kamen aus Fernost. Geflissentlich überhörte man Stimmen, die warnten, dass sich diese Investitionen zielgerichtet auf strategische Kernbereiche der tschechischen Wirtschaft fokussierten: Es ging um Geschäfte, die weniger Wachstumseffekte für Tschechien generierten, als zu einem wachsenden Einfluss Chinas auf die Ausrichtung der tschechischen Politik führten. Der sozialdemokratische Regierungschef Sobotka träumt davon, dass Prag ein Zentrum chinesischer Finanzinstitute wird und diese von Tschechien aus nicht nur die Länder Mittel- und Osteuropas, sondern die Europäische Union schlechthin bedienen.
Verhandlungen hinter verschlossenen Türen
Auch wenn der Regierungschef gerne öffentlich träumt: Was konkret vereinbart wird, soll möglichst im Verborgenen bleiben. Ein Paradebeispiel ist das neu begründete tschechisch-chinesische “Czech Investment Forum”, das kürzlich hinter verschlossenen Türen stattfand. Ohne öffentliche Aufmerksamkeit hätte es, zumindest nach Willen der tschechischen Seite, auch weiterhin bleiben sollen. Doch chinesische Medien berichteten stolz über die erfolgreichen Verhandlungen zwischen China und der Tschechischen Republik und das erregte auch in Tschechien Aufmerksamkeit. So strebt die Volksrepublik ein gemeinsames “Chinesisch-Tschechisches Zentrum” an, das künftig die tschechisch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen auf staatlicher Ebene koordinieren soll.
Kein “Business as usual”...
Während China durch das Nationale Komitee für Wirtschaftsentwicklung vertreten wird, hat das tschechische Wirtschaftsministerium die Vertretung der tschechischen Interessen an eine private Beratungsfirma delegiert. Inhaber ist Jaroslav Tvrdík - und der ist in Tschechien kein Unbekannter: Tvrdík ist Sozialdemokrat, war früher Mitglied der tschechischen Kommunistischen Partei (KP) und hat enge Kontakte zur chinesischen Regierung und zur KP der Volksrepublik.
Sicherheitsfachleute und Chinaexperten kritisieren das Vorgehen der tschechischen Regierung. Wenn der Chinafreund Tvrdik Verhandlungen über den Verkauf von Unternehmen aus dem tschechischen Infrastruktursektor an chinesische Investoren leite, könne man nicht sicher sein, ob er auch im tschechischen Interesse handle. Es sei zu befürchten, dass Peking über den privaten Berater Tvrdik ein trojanisches Pferd in der Prager Regierung erhalten habe und so Einfluss auf die tschechische Regierung nehmen könne. Und um Meinungsbeeinflussung an allen Fronten geht es wohl wirklich. Denn was den eigentlichen wirtschaftlichen Nutzen für Tschechien angeht, so ist dieser umstritten, hat sich doch China hauptsächlich in den bestehenden Mediensektor eingekauft – etwa in die beiden Mediengruppen „Médea Group“ und „Empresa Media“. Zu letzterer gehört der Fernsehsender TV Barrandov, in dem der chinafreundliche Präsident Miloš Zeman seit neuestem eine eigene wöchentliche Fernsehsendung hat, in der er seine Ansichten verbreiten kann – gleich neben Formaten wie der tschechischen Version von „Bauer sucht Frau“.
Die Folgen sind bereits sichtbar
Man könnte das als ein Szenario aus einem schlechten Spionagefilm abtun – wenn man nicht bereits die Folgen in der Tschechischen Republik sähe. So wurden Menschenrechte als Thema bei tschechisch-chinesischen Verhandlungen seit den Investitionszusagen aus Fernost ausgeklammert. Seit der „Samtenen Revolution“ von 1989 war die gesamte tschechische Außenpolitik stark auf Menschenrechte fokussiert. Diese Ausrichtung ist nun Vergangenheit. Aus Regierungskreisen hört man (noch) verhaltene Kritik an den Russlandsanktionen. Während die EU immer mehr in der Kritik steht, werden Wirtschaftsabkommen mit autokratischen Ländern, wie etwa mit Kirgistan, mit Volldampf und in freundlichem Ton betrieben.
China ist hier der zentrale Player. Die Regierung und Präsident Zeman – sonst eher zerstritten - ziehen hier an einem Strang. Als Zeman vor einigen Monaten als einziges Staatsoberhaupt einer westlichen Demokratie in Peking die Militärparade zum 70. Jahrestag des Krieges gegen Japan besuchte, wurde das zu Recht als klares Signal einer grundlegenden politischen Kursänderung aufgefasst.
Ein Fall illustriert besonders den Wandel in der tschechischen Politik: Es ist der Umgang mit dem Dalai Lama. Der Dalai Lama war ein enger Freund des verstorbenen Präsidenten Vaclav Havel. Tschechien war eines der wenigen Länder, bei dem er als Gast noch offiziell willkommen war. Dies stand auch niemals öffentlich zur Debatte. Doch im letzten Jahr wurde es plötzlich allen tschechischen Kabinettsmitgliedern untersagt, sich mit dem Dalai Lama zu treffen. Für den Präsidentensitz, die Prager Burg, erhielt er eine Art Hausverbot. Nur Kulturminister Daniel Herrmann setzte sich darüber hinweg und geriet dafür unter heftigen Beschuss der Kabinettskollegen. Außenminister Lubomír Zaorálek verstieg sich sogar zu dem absurden Vergleich, das Treffen wäre mit einem Empfang des Nazi-Sudeten-Führers Konrad Henlein in der Zwischenkriegszeit gleichzusetzen.
Kurz danach unterzeichnete die tschechische Regierung erstmals eine Erklärung über die Unteilbarkeit chinesischen Territoriums. Diese Rechtsposition teilen die meisten Staaten Europas. Aber die Geschwindigkeit und Radikalität des Meinungsumschwungs und die krampfhaften Gesten vorauseilenden Gehorsams geben zu denken. Keine Regierung in einem EU-Land hat sich bisher zu solchen aggressiven Anti-Tibet-Manifestationen hinreißen lassen. Man erinnere sich, dass im Gegensatz dazu Bundeskanzlerin Merkel den Dalai Lama 2007 empfing, obwohl auch die Bundesregierung eine “Ein-China-Politik” verfolgt. Der rapide Umschwung in Tschechien erfolgte nicht zuletzt genau zu dem Zeitpunkt, als die 3,5 Milliarden Euro von China fest zugesagt waren.
Adéla Klečková ist Projektmanagerin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit für Mitteleuropa und die Baltischen Staaten.