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Coronavirus
Nordkorea: „Eine Frage des nationalen Überlebens“

Wie die Regierung in Pjöngjang mit der Corona-Gefahr umgeht, analysieren unsere Nordkorea-Experten Tim Brose und Tanja Krawietz
North Korea - China border crossing
Die Grenze zwischen Nord Korea und China © picture alliance / AP Photo

Komplette Abschottung von außen, weitreichende Quarantänemaßnahmen und eindringliche Berichterstattung in den Staatsmedien – Nordkorea unternimmt drastische Maßnahmen um den Ausbruch des Coronavirus im Land zu verhindern. Mittlerweile wird täglich aus allen Teilen der Welt über neue Infektionen mit dem Coronavirus berichtet. Trotz seiner geographischen Lage zwischen China und Südkorea, den Ländern, die am stärksten mit dem Ausbruch zu kämpfen haben, behauptet die Regierung in Pjöngjang, dass es noch keine Corona-Fälle im Land gäbe. Doch wie glaubhaft sind die offiziellen Angaben? Und mit welchen Maßnahmen soll es gelingen, weiterhin einen Ausbruch zu verhindern?

Niemand kommt heraus, niemand kommt herein

Der internationale Flughafen von Pjöngjang ist auch zu normalen Zeiten mit höchstens 1-2 Flügen pro Tag kein allzu belebter Ort. Doch nun hat er seinen Betrieb bis auf weiteres völlig eingestellt. Bereits am 21. Januar überraschte Pjöngjang mit der drastischen Entscheidung, als Reaktion auf den Virusausbruch in China seine Grenzen für Touristen zu schließen. Schnell folgten die vollständige Einstellung des Flug- und Schienenverkehrs, ein Aussetzen der Im- und Exporte sowie weitreichende Quarantänemaßnahmen und Einschränkungen. Die Grenzen sind inzwischen komplett geschlossen.

Von den neuen Restriktionen besonders betroffen sind die Städte entlang der nordkoreanisch-chinesischen Grenze. Sie gelten nicht nur wegen ihrer Beliebtheit bei chinesischen Touristen, sondern auch wegen der Handels- und Schmuggleraktivitäten als besonders gefährliches Einfallstor für einen möglichen Ausbruch. 1.420 km misst die Grenze zwischen den beiden Nachbarn, die sich auch politisch eng verbunden fühlen. Die nordkoreanische Führung unternimmt nun Alles, um jeden Kontakt zu unterbinden. Laut unbestätigten Medienberichten wurde die chinesische Seite von Nordkorea bereits gewarnt, dass man bei unabgestimmten Annäherungen an die Grenze auch vor dem Schusswaffengebrauch nicht zurückschrecken werde.

Bemerkenswert ist die Art und Intensität der öffentlichen Berichterstattung und Aufklärung im Land. In hoher Frequenz berichten die Staatsmedien schon seit Januar über die Gefahren des Virus und appellieren an die Achtsamkeit der Bevölkerung. Gar von einer Frage des nationalen Überlebens wird gesprochen. Täglich wird über Präventionsmaßnahmen und Verhaltensanweisungen berichtet. So müssen (die auch sonst ohnehin schon genehmigungspflichtigen) Inlandsreisen auf ein Minimum reduziert werden, Bürgerinnen und Bürger werden aufgefordert mindestens einen Meter Abstand zueinander zu halten, Gesichtsmasken sollen getragen werden und Kindergärten, Schulen und Universitäten bleiben bis auf Weiteres geschlossen. Desinfektionstrupps, die öffentliche Gebäude und Verkehrsmittel virenfrei machen, werden medienwirksam inszeniert und die Infektionszahlen aus Südkorea als Warnung verkündet. Die hohen Infektionszahlen im Ausland dienen als Legitimation der nunmehr konsequent rigorosen Abschottung des Landes.

Rettung durch Vermeidung

Angesichts der Lebensverhältnisse vor allem auf dem Land wird schnell klar, dass ein großflächiger Ausbruch der Krankheit wohl in einer Katastrophe münden würde. Daher setzen die Behörden fast alle Anstrengungen auf Vermeidung. Trotz gegenteiliger Propagandabekundungen verfügt Nordkorea über ein desolates Gesundheitssystem. Im Gesamtranking des Global Health Security Index für 195 betrachtete Staaten belegt Nordkorea den 193. Rang, im Einzelindex zur Epidemiebekämpfung sogar abgeschlagen den letzten Platz. Mangelwirtschaft und fehlende Investitionen in das Gesundheitssystem führten dazu, dass es den meisten Gesundheitseinrichtungen selbst an Grundsätzlichem wie sauberem Trinkwasser fehlt. Die vielerorts unzuverlässige Stromversorgung erschwert eine angemessene Patientenversorgung, Medikamente sind häufig nur auf dem Schwarzmarkt zu erstehen. Hinzu kommt außerdem, dass nach einer Studie der Welternährungsorganisation mindestens 40% der Bevölkerung unter Mangelernährung leiden, wodurch ihr Immunsystem zusätzlich geschwächt sein dürfte.

Tiefgreifende Auswirkungen bei fragilen Rahmenbedingungen

Trotz der jahrelangen internationalen Sanktionen gab es zumindest bescheidene wirtschaftliche Erfolge, die durch Corona wieder zunichtegemacht werden könnten. 90% der nordkoreanischen Importe stammen aus China und trotz der Sanktionen ist der Warenverkehr in der Grenzregion nie ganz zum Erliegen gekommen.

Doch die Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus haben alle Handelsbewegungen unterbunden und selbst Schmuggelaktivitäten sind kaum mehr möglich. Auch während dem SARS-Ausbruch 2003 und dem Ebola-Ausbruch 2015 reagierte Pjöngjang mit mehrmonatigen tiefgreifenden Restriktionen. Die Tragweite und Intensität sind dieses Mal jedoch wesentlich umfangreicher. Die Lieferengpässe, deren Ende nicht abzusehen ist, führen bereits jetzt dazu, dass die Preise für Reis und andere Grundnahrungsmittel stark ansteigen. Die Regierung versucht mit verstärkten Preiskontrollen gegenzusteuern. Die Beschränkung der innerstaatlichen Reisebewegungen erschweren auch den Transport von wichtigen Gütern im Land. Unter der Herrschaft Kim Jong-uns wurden Märkte und semi-private wirtschaftliche Aktivitäten verstärkt toleriert, was sich positiv auf die wirtschaftliche Lage auswirkte. Welche Folgen die strengen Corona-Maßnahmen hier mittel- und langfristig haben werden, ist kaum vorherzusehen. Die Lage ist fragil.

Doch bestimmen die Maßnahmen nicht nur die Wirtschaft, auch das politische Leben in der Hauptstadt scheint zurzeit zu pausieren. Nicht nur hat die politische Führung Auftritte und Militärparaden bis auf Weiteres auf ein Minimum reduziert, auch die strengen Quarantänemaßnahmen für ausländische Staatsbürger tragen ihren Teil dazu bei. So erklärte der russische Botschafter in Nordkorea kürzlich über seine Facebookseite, dass die Maßnahmen der Regierung eine Ausübung der diplomatischen Arbeit unmöglich gemacht hätten. Ausnahmsweise wird voraussichtlich am kommenden Montag ein Flug nach Wladiwostok ermöglicht, damit Diplomaten und Ausländer ausreisen können. Die Deutsche Botschaft, die Französische Vertretung und die Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit werden ihre Aktivitäten vorübergehend ganz einstellen, andere Botschaften ihre Belegschaft zumindest stark reduzieren.

Annäherung dank Corona?

Die innerkoreanischen Beziehungen stehen seit Monaten still und sind so schlecht wie seit 2017 nicht mehr. Und erst jüngst, am 02. März, provozierte Nordkorea mit einer Raketenübung. Auch ein aggressives Schreiben voller Beleidigungen gegen das Blaue Haus, dem südkoreanischen Präsidentenpalast, folgte von Kim Jong-uns Schwester Kim Yo-jong, selbst hochrangiges Mitglied der Staatsführung. Während alle Beobachter über die weitere Verschlechterung der Beziehungen lamentierten, kam am Donnerstag dieser Woche völlig überraschend die Nachricht über einen freundlichen Brief Kim Jong-uns an den südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in. Zwar veröffentlichte das Blaue Haus kaum Details des Briefes, angeblich aber wünschte Kim alles Gute für die Bekämpfung des Coronavirus in Südkorea und bekundete sein Vertrauen, dass Südkorea die Krise meistern wird. Auch betonte er seine Freundschaft und sein Vertrauen gegenüber dem südkoreanischen Präsidenten.

Kann die Coronakrise gar ein Neustart der Beziehungen sein? Man erinnere sich, dass auch 2018 ein profanes Ereignis wie die olympischen Winterspiele als Startpunkt für die Wiederaufnahme der Beziehungen genutzt wurde. Beobachter sind noch skeptisch: Ein so plötzlicher Richtungswechsel nach Monaten der Provokationen und Beleidigungen? Abzuwarten bleibt, ob die nordkoreanischen Medien im Land über diesen Brief berichten. Sollte dies ausbleiben, wird dieser Brief auch keinen politischen Richtungswechsel hin zu einer erneuten Annäherung einleiten.

Nicht wissen was ist, nicht wissen was kommt

Bis heute gibt es keine offiziell bestätigten Fälle von Infektionen mit dem Coronavirus in dem 25-Millionen-Einwohner-Land. Dafür erscheinen die Maßnahmen umso dramatischer, besonders, wenn man die Folgen für die Volkswirtschaft der Demokratischen Volksrepublik Korea bedenkt, die durch UN- und US-Sanktionen sowieso schon geschwächt ist. In Anbetracht der äußerst schwierigen Versorgungslage, der Anfälligkeit der geschwächten Bevölkerung und des defizitären Gesundheitssystems, erscheint die drastische Reaktion Pjöngjangs allerdings nachvollziehbar. Ob es bis jetzt wirklich gelungen ist, einen Corona-Ausbruch in Nordkorea zu verhindern, bleibt umstritten. In den letzten Wochen häuften sich unbestätigte Berichte darüber, dass bereits mehr als 200 Infektionen mit dem Virus gäbe und ihm bereits mehr als 20 Menschen zum Opfer gefallen seien.

Ob mit Ausbruch oder ohne: Klar dürfte sein, dass der Virus und die eingesetzten Schutzmaßnahmen das Leben der Menschen in Nordkorea noch schwerer machen dürften, als es ohnehin schon ist. Eine echte Epidemie aber wäre verheerend.

 

Tim Brose ist Projektassistent für Nordkorea im Stiftungsbüro mit Sitz in Seoul  

Tanja Krawietz ist zur Zeit Praktikantin im Stiftungsbüro Korea mit Sitz in Seoul