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Bulgarien
Habemus Regierung – Aber für wie lange?

Der neu gewählte bulgarische Premierminister Nikolay Denkov und seine Regierung

Der neu gewählte bulgarische Premierminister Nikolay Denkov und seine Regierung.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Valentina Petrova

Die liberal-progressive Allianz PP-DB sowie die konservative GERB haben sich auf eine ungewöhnliche gemeinsame Regierung eingelassen – Ziel war es, die Endlosschleife von Wahlen und somit die politische Krise zu beenden. Ob dies wirklich gelingt, bleibt abzuwarten – nach Feiern ist zumindest keinem zumute.

Neue Mehrheit in Sofia

Dienstag vergangene Woche,16 Uhr Ortszeit: Über den Dächern Sofias stieg zwar kein weißer Rauch auf, doch die Liveticker der Medienanstalten des Landes gaben eine Fast-Sensation bekannt: Das Land habe eine reguläre Regierung – endlich. Der Kabinettsvorschlag des Naturwissenschaftlers Nikolaj Denkov aus den Reihen von PP hatte im Parlament die notwendige Stimmenmehrheit erhalten. Der 60-jährige angesehene Physikochemiker Denkov wird in den kommenden neun Monaten als Ministerpräsident eine Koalition – manche Kommentatoren bemühen an dieser Stelle die Bezeichnung Zweckehe -  bestehend aus der liberal-progressiven Allianz zwischen Wir setzen den Wandel fort (PP) und Demokratisches Bulgarien (DB) sowie der konservativen GERB des Langzeitministerpräsidenten Bojko Borissov anführen. Anschließend wird rotiert und das Amt des Ministerpräsidenten geht für wiederum neun Monate an Vize-Regierungschefin Maria Gabriel (GERB) über, so der Deal.

Gleich nach der erfolgreichen Abstimmung im Parlament listete Denkov auch schon die drängendsten Aufgaben auf: Aufstellung des neuen Haushaltsplanes, die Vorbereitung des Landes für die Schengen- und Eurozone sowie die Durchführung einer Justizreform.

Die neue Regierung – eine Zweckehe?

Das Rotationsprinzip ist eher bekannt aus der Welt des Fußballs – der ehemalige Bayern-Trainer Jupp Heynckes war ein Meister dieses Systems. Für ihn war Rotation der Schlüssel zum Erfolg, alle im Team sollten zum Einsatz kommen und einen Beitrag zum gemeinsamen Erfolg leisten. Klingt nach Harmonie. Aber Rotation in der Politik? Und dann auch noch in Bulgarien, wo sich die Parteien mit gegenseitigen Vorwürfen der Korruption und des Volksverrats überbieten?

Doch das ungewöhnliche Experiment war die einzige Möglichkeit, eine Einigung zwischen den ungleichen Partnern PP-DB (beide Parteien sind FNF-Partner) und GERB zu finden. Denn eigentlich sind sich die beiden Lager spinnefeind und lassen kein gutes Haar am anderen. GERB werden immer wieder Korruptionsvorwürfe gemacht; und Parteichef Borissov gilt vielen Reformern als einer der Hauptverantwortlichen für die oligarchischen Strukturen in der bulgarischen Politik. Bilder des ehemaligen Regierungschefs, wie er mit einer Schusswaffe neben seinem Kopfkissen schläft, neben sich im Nachttisch Goldbarren und unzählige Banknoten, sind selbst im skandalgewöhnten Bulgarien längst nicht vergessen.

Die beiden liberal-progressiven Parteien PP und DB sind hingegen das politische Gegengift zu GERB: Sie entstanden in Folge der öffentlichen Proteste gegen die korrupten Machenschaften in der bulgarischen Politik und definierten sich bislang stets als Anti-GERB-Parteien. Vor allem PP hatte in der Vergangenheit jedwede Zusammenarbeit mit GERB, von einer gemeinsamen Regierungskoalition zu schweigen, kategorisch ausgeschlossen.

Für Borissov ist die Abneigung gegenüber PP-DB eher persönlicher Natur: Während der kurzen liberalen Regierung unter Führung von Kiril Petkov (Dezember 2021-August 2022) war Borissov aufgrund von Korruptionsvorwürfen zunächst medienwirksam verhaftet und abgeführt worden, bevor er weniger als 24 Stunden später wieder freigelassen worden war. 

Bis zum letzten Moment war es höchst ungewiss, ob der Deal überhaupt zustande kommen würde – vor allem die Parteispitzen von PP und DB stießen innerparteilich auf heftigen Widerstand, da viele Anhänger eine Zusammenarbeit mit GERB als politischen Selbstmord betrachteten.

Was sind die Motive für diese ungewöhnliche Koalition?

Doch wieso haben sich denn nun diese Parteien überhaupt auf eine gemeinsame Koalition eingelassen, wenn sie sich doch so feindlich gegenüberstehen? Und: Kann diese Koalition Erfolg haben und die nächsten 18 Monaten überstehen? Das bleibt abzuwarten. Aber der Neuanfang über die Gräben hinweg konnte nur gelingen, weil die Alternative noch düsterer aussieht:

Die Bulgaren sind nach fünf Wahlen in zwei Jahren größtenteils wahlmüde, desillusioniert und frustriert – die Aufbruchsstimmung vom Sommer 2020, das Land zum Positiven zu verändern, ist längst verflogen und machte zuletzt immer mehr Platz für Fatalismus. Sätze wie „In diesem Land ändert sich doch sowieso nichts, die den allgemeinen Zustand im Land als unausweichliche Fügung des Schicksals bezeichnen, fielen zuletzt immer häufiger. Die sinkende Wahlbeteiligung – zuletzt bei knapp 40 Prozent – ist ein deutlicher Ausdruck dieses Gemütszustands.

Pro-europäische und pro-transatlantische Parteien standen unter gesellschaftlichem Druck und waren trotz ihrer großen Differenzen in der Innenpolitik aufgefordert, einen Kompromiss einzugehen und den absurden Wahlmarathon zu beenden – zu viel Kraft, Zeit und Ressourcen waren in den vergangenen Jahren verloren gegangen. Es war zu verhindern, dass die Menschen den Glauben an das demokratische System gänzlich verloren.

Für Borissov gab es alternativ nur die Möglichkeit einer Koalition mit den Ewiggestrigen der Sozialisten, der politisch isolierten Status-quo Partei DPS und der Partei eines Schlagersängers – allesamt schwierige Partner, die einer Erneuerung der GERB im Wege gestanden hätten. Eine weitere, persönliche Motivation für Borissov bestand darin, dass er so schnell wie möglich eine Justizreform durchpeitschen möchte, um seinen eigenen Hals zu retten – der jetzige Generalstaatsanwalt hatte in den vergangenen Wochen seinen ehemaligen Kumpel Borissov öffentlich angegriffen und behauptet, er hätte belastendes Material gegen ihn, weshalb Borissov ihn lieber heute als morgen loswerden möchte.

Für die liberal-progressive PP-DB Allianz hingegen bestand die Gefahr weiterer Stimmenverluste im Falle eines weiteren Urnenganges in nur wenigen Wochen und vor den so wichtigen Lokalwahlen im Herbst dieses Jahres. Und den Führungsspitzen der Parteien wurde auch immer klarer, dass sie sich angesichts der politischen Krise ihrer Verantwortung stellen mussten.

Immerhin: die neue Mehrheit steht dafür, die schleichende Entfremdung Bulgariens von seiner pro-europäischen und pro-transatlantischen Ausrichtung in der Außenpolitik zu stoppen. Denn in den letzten zwei Jahren hatten vor allem zwei Akteure von der politischen Krise profitiert, ihre Macht dadurch sukzessive ausgebaut, aber auch das Land in der EU und in der NATO isoliert: Einerseits der undurchsichtige Präsident Radev und andererseits die offen pro-russische Rechtsaußen-Partei Vazhrazhdane, die sich als Einfallstor für russische Unterwanderung im Land darbietet.

Die bulgarische Verfassung sieht vor, dass der Präsident eine Interimsregierung aufstellt, falls im Nachgang zu den Wahlen keine reguläre Regierung gebildet werden kann. Da dies zuletzt durchgängig der Fall war, wäre es nicht überinterpretiert zu sagen, dass Präsident Radev derjenige war, der das Land in den vergangenen zwei Jahren regiert hat. Er scheint auch Gefallen an seiner Rolle als informelle Spitze der Exekutive gefunden zu haben – in den vergangenen Wochen fiel er durch unpassende Äußerungen zur Regierungsbildung auf, was umgehend öffentliche Empörung auslöste. Den politischen Führern in GERB und in PP-DB war es wichtig, dem de-facto Präsidialsystem der letzten beiden Jahre ein Ende zu bereiten und Radev an seine repräsentative Rolle zu erinnern.

Gefahren und Chancen für die neue Regierung

Die neue Regierung in Bulgarien hat gewaltige Aufgaben vor sich – Aufgaben, die seit zwei Jahren vergeblich darauf warten, angepackt zu werden. Das Land muss unbedingt den Anschluss an die EU finden und die Vorgaben aus Brüssel umsetzen. Ein Scheitern dieser schwierigen Koalition würde die Zustimmung für Anti-System Parteien wie Vazhrazhdane stärken sowie Präsident Radev wieder die Möglichkeit geben, das Land zu kontrollieren.

Andererseits würde ein Erfolg der Koalition zum allgemeinen Reifeprozess der bulgarischen Politik beitragen – Parteien, die sich bislang offen bekriegten, suchen nun den Kompromiss, ohne gänzlich von ihren Prinzipien abzurücken. PP und DB, Hoffnungsträger eines pro-europäischen und korruptionsfreien Bulgariens, müssen den Weg eines Ausgleichs mit Parteien suchen, die sie bislang – mit Recht – als das Epizentrum allen Übels angesehen hatten. Die letzten beiden Jahre mit fünf Wahlen haben gezeigt, dass ein kompromissloses Festhalten an Prinzipen zwar einerseits ehrenhaft ist, andererseits aber das Land auch nicht aus der Sackgasse bringt.