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Türkei
Aufwertung der religiösen Ehe

In der Türkei sehen die Kemalisten Laizismus in Gefahr
Traditionelle Eheschließung in der Türkei

Szene aus Henna-Zeremonie vor einer türkischen Hochzeit.

© iStock/ ZeynepOzy

Dieser Artikel ist zuerst im Türkei-Bulletin 15/17 erschienen. Dieser ist online auch hier zu finden. 

In der Türkei soll nach dem Willen der regierenden AKP demnächst die religiöse Eheschließung (türk.: Imam Nikahı) der staatlichen gleichgestellt werden. Nach der Streichung der Evolutionstheorie und der Einführung des Dschihad-Begriffs im neuen Schulplan sehen Kritiker die Aufwertung der religiösen Ehe als ein weiteres Indiz für die schleichende Islamisierung des Landes.

Seit Einführung des Zivilrechts 1926 können in der Türkei ausschließlich Kommunalbeamte Trauungen vollziehen. Ohne die staatliche Trauung ist bislang eine religiöse nicht möglich. Paare, die sich nicht staatlich, sondern nur in einer Moschee trauen lassen, werden mit einer Haftstrafe von zwei bis sechs Monaten bedroht. Das Verfassungsgericht hatte vor knapp zwei Jahren die verpflichtende Voraussetzung aufgehoben, erst staatlich zu heiraten, um auch religiös getraut werden zu können. Zur Begründung hieß es damals, religiöse Trauungen stünden nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Rechtsstaates und den Grundsätzen des Strafgesetzes.

Bei Umsetzung dieses Urteils geht die islamisch-konservative AKP-Regierung nun einen Schritt weiter. Nach dem neuen Gesetzesvorhaben sollen die Religionsgelehrten, also die Muftis, in Zukunft Trauungen vollziehen können, die rechtlich genauso gültig sind wie die staatlichen Trauungen. Türken können also künftig entscheiden, ob sie staatlich oder nur religiös heiraten wollen. Nach der Sommerpause soll das Parlament über den Entwurf abstimmen. Da die AKP in der Nationalversammlung über eine komfortable Mehrheit verfügt, wird das Gesetz voraussichtlich ohne große Debatten beschlossen werden.

Die größte Oppositionspartei, die sozialdemokratische CHP, ist gegen den Vorschlag. Das Gesetz zeige, „dass die Mentalität, die den IS geschaffen hat, in einer anderen Version in der Türkei im Umlauf ist“, so die CHP-Abgeordnete Gaye Usluer. Die Versuche der AKP, anti-laizistische und auf islamischen Regeln basierende Gesetze durchzusetzen, seien offenkundig, so Usluer. Die CHP befürchtet, dass dadurch parallel zum bestehenden Rechtssystem ein religiöses Rechtssystem entstehen könnte. Die AKP verteidigt das Vorhaben hingegen mit dem Argument, dass die geplante Praxis Eheschließungen vereinfache. „Die staatliche Trauung wird beschleunigt, und die Rechte der Frauen in der Ehe werden schneller geschützt“, so der neue Justizminister Abdülhamit Gül. Das Gesetz widerspreche dem Laizismus nicht.

Türkische Frauenorganisationen sind empört und haben angekündigt, gegen die Gesetzesnovelle zu protestieren. Sie befürchten, dass die Zahl der verheirateten Minderjährigen steigt,  und dass es den Männern ermöglicht wird, mehrere Frauen zu heiraten. Zudem sorgen sie sich, dass zivilrechtliche Kriterien für eine staatliche Trauung, wie das Mindestalter, bei ‘Mufti-Ehen‘ nicht in Betracht gezogen werden könnten. Die Frauenorganisationen haben an den Staatspräsidenten Erdoğan einen offenen Brief mit ihren Forderungen geschrieben. „Wenn Sie auf der Seite der modernen türkischen Frau stehen, sorgen Sie dafür, dass der Gesetzesvorschlag im Parlament zurückgezogen wird. Erlauben Sie nicht, dass man zu islamischen Regelungen übergeht.“

Hans-Georg Fleck ist Leiter des Stiftungsbüros in Istanbul. Aret Demirci ist dort Projektkoordinator. 

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