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Geschichte des Liberalismus
Das Wunder der Währungsreform von Stresemann

Kalenderblatt: 15. November 1923
Kalenderblatt: 15. November 1923 - Das Wunder der Währungsreform von Stresemann

Gustav Stresemann umringt von Journalisten im Jahr 1925

© picture-alliance / dpa | dpa

Gustav Stresemann war nur 100 Tage Reichskanzler - von August bis November 1923. In diese kurze Zeit fiel aber eine der wichtigsten Weichenstellungen der Weimarer Republik: die Währungsreform von Mitte November 1923.

Die historischen Darstellungen sind sich einig: Der liberale Reichskanzler Stresemann verstand von den technischen Details der Reform eigentlich wenig. Er überließ diese deshalb seinem Finanzminister Hans Luther, der sich wiederum auf ein Konzept des - politisch reaktionären, aber geldwirtschaftlich versierten - Ökonomen Dr. Karl Helfferich stützte, das dieser schon im Sommer 1923 entwickelt und lanciert hatte.

Der clevere Helfferrich hatte die sog. Roggenmark vorgeschlagen, eine durch "reale" landwirtschaftliche Produktionswerte abgesicherte Währung, die dann in der von Hans Luther gewählten Form zur "Rentenmark" mutierte, abgesichert durch Hypotheken auf Vermögenswerte der Landwirtschaft und der Industrie. Wichtig war bei beiden Konzepten, dass die Absicherung - noch - nicht über Gold geschehen konnte, denn dafür waren die Goldreserven der Reichsbank zu klein. Es musste psychologisch etwas Wertbeständiges sein, nicht einfach vermehrbar, aber auch nicht zu knapp wie Gold - gewissermaßen eine Brücke zurück zum Goldstandard, der bis 1914 auch in Deutschland als Hort der Stabilität gegolten hatte, mit einem Wechselkurs von 4,20 Goldmark für einen Dollar.

Letztlich war die "technische" Absicherung der Währung allerdings ohnehin nur symbolisch, denn kaum jemand konnte damit rechnen, dass eine komplette Einlösung des Papiergelds in Wertpapiere praktikabel sein könnte, würde es zur Panik an den Devisenmärkten kommen. Wichtig war dagegen, dass eine solche Panik eben nicht entstehen würde, weil der politische Boden der Stabilität sorgsam genug bereitet war. Und genau dies leistete die Politik von Stresemann in den Wochen zuvor, und darin lag die erste Etappe seiner Meisterschaft auf dem Höhepunkt der Inflationskrise.

Der Weg bestand in drei Schritten:

- Erstens wurde von Reichskanzler Stresemann am 26. September 1923 der Ruhrkampf beendet. Damit war die Voraussetzung dafür geschaffen, dass auch die massive staatliche Subventionierung der Ruhrindustrie - nötig durch den passiven Widerstand der Arbeiterschaft - überhaupt auslaufen konnte. Dadurch rückte der Haushaltsausgleich näher, und damit auch das Ende des Gelddruckens mit Hilfe der heiß laufenden Notenpressen zur Finanzierung des gigantischen Staatsdefizits.

- Zweitens wurde - am 15. Oktober - ein Ermächtigungsgesetz beschlossen, das der neuen Regierung (dem Kabinett Stresemann II) die nötigen Vollmachten zur Stabilisierung gewährte. Politisch war dies hochumstritten und nur nach einer Kabinettsumbildung mit Hilfe des Reichspräsidenten Ebert möglich, der mit der Auflösung des Reichstags drohte, sollte keine Regierung zustande kommen. Ebert erkannte die Dramatik der Lage und die überragende Bedeutung Stresemanns als dem einzigen Politiker, der dank seiner Autorität und Verhandlungskunst in der Lage war, eine "große Koalition" von DVP bis SPD zu lenken, obwohl er persönlich gegenüber ihm tiefe Vorbehalte pflegte.

- Drittens musste das Deutsche Reich zusammengehalten werden, nachdem "an den Rändern" des Landes schwere Krisen aufkamen: ein scharfer Ruck nach Links in Sachsen, der sogar eine verfassungsgemäße "Reichsexekution" zur Folge hatte; der Hitler-Putsch in Bayern, der nur wenige Tage vor der Währungsreform stattfand und scheiterte; sowie das Aufkommen separatistischer Bestrebungen im Rheinland, die sich erst nach der Währungsreform endgültig totliefen, und zwar wegen deren Erfolg.

Visionär Stresemann

Stresemann, Gustav

Als erster Kanzler aus den Reihen der Liberalen lenkte Gustav Stresemann vor 100 Jahren die Weimarer Republik durch eine Schlüsselepoche: Inmitten von Hyperinflation, politischen Krisen und extremistischen Bedrohungen gelang es ihm, die Währung zu stabilisieren, kommunistische Gefahren zu bannen und die Außenpolitik zu gestalten. 1923 tritt er vor den Reichstag: In einer viel beachteten Rede will er aus der Machtfrage um das besetzte Ruhrgebiet eine Wirtschaftsfrage machen und legt so die Grundlagen für mehr internationale Zusammenarbeit.

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In einem virtuosen Rundumschlag der fieberhaften taktischen Aktivität hielt Stresemann in den vier Wochen vor der Reform (und auch noch in den Wochen danach!) das Land tatsächlich zusammen. Er tat dies in der strategischen Erkenntnis, dass ausschließlich ein Erfolg der Währungsreform nicht nur die Stabilität des Geldwerts, sondern auch die Integrität des Reiches sichern konnte, denn sonst würden die wirtschaftlichen Zentrifugalkräfte die Chance erhalten, das Land im Osten, Süden und Westen zu zerreißen. Ihm, dem Wirtschaftsliberalen, war dabei völlig klar, dass dabei dem Haushaltsausgleich absolute Priorität gelten musste, sollte die neue Währung an den Devisenmärkten glaubwürdig sein. Finanzpolitisch eine Operation am offenen Herzen!

Diese Operation gelang. Das war fast ein Wunder bei der scheinbar hoffnungslosen Ausgangslage. Die finanzpolitischen Weichenstellungen überzeugten die Märkte sofort, die alte Papiermark verschwand innerhalb von Tagen in die Wert- und Bedeutungslosigkeit, die neue "Rentenbank", die faktisch die Reichsbank ersetzte, gewann schnell die nötige Glaubwürdigkeit, zumal der von der Regierung zunächst als Währungskommissar eingesetzte Dr. Hjalmar Schacht als erfahrener Bankier das nötige Vertrauen genoss und nach dem überraschenden Tod des Reichsbankpräsidenten Rudolf Havenstein, einem traditionellen preußischen Beamten, der treu dem Staat, aber nicht der Stabilität gedient hatte, die Leitung der Reichsbank übernahm.

Hinter dem Erfolg stand tatsächlich eine überaus harte Finanzkonsolidierung - vielleicht die härteste, die es jemals in Deutschland gegeben hat. Denn allein das Ende des Ruhrkampfs brachte zwar eine massive Entlastung bei den Subventionen, aber für den Haushaltsausgleich mussten auch viele öffentliche Bedienstete entlassen werden. Dies geschah - über wenige Monate gestreckt - in zwei großen Schritten, bei denen rund 30 Prozent aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst des Reiches ihren Job verloren, vor allem bei Bahn und Post. Viele von ihnen waren Kriegsheimkehrer, die nun arbeitslos wurden. Sie waren die Verlierer der Währungsreform, zusammen mit den Kleinanlegern, die in den Jahren zuvor bis zurück in den Ersten Weltkrieg Staatsanleihen gezeichnet hatten. Sie wurden praktisch enteignet - und der Staat entschuldet. Eine traumatische Erfahrung, aber nach so viel unverantwortlicher Fehlentwicklung fast unvermeidbar.

Gustav Stresemann 1923

Gustav Stresemann, Reichskanzler und Aussenminister kurz nach seinem Regierungsantritt, August 1923 (Georg Pahl).

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Das Ziel der Preisstabilität wurde dabei erstaunlich schnell erreicht, fast von einem auf den anderen Tag. Auch das Ende der Kanzlerschaft von Stresemann änderte daran nichts. Seine Vertrauensfrage im Reichstag eine Woche nach der Währungsreform scheiterte, weil die Sozialdemokraten nicht bereit waren, die industriefreundlichen Pläne von Stresemanns Deutscher Volkspartei (DVP) mitzutragen, obwohl diese in der marktwirtschaftlichen Logik der Sondersituation sehr sinnvoll waren. Es ging um die Aufweichung des Achtstundentags, damit die Arbeitsproduktivität in der Industrie vor allem an Rhein und Ruhr gestärkt werden konnte - in Anbetracht der Bekämpfung von Preisinflation und Wachstumsschwäche.

Es folgte das erste Kabinett Marx mit Stresemann als Außenminister, was er denn bis zu seinem Tod 1929 blieb. Im Nachhinein fast eine neue Idealkonstellation! In dieser Rolle konnte Stresemann die Währungsreform "nachbereiten". Es ging dabei um die Öffnung des deutschen Finanzmarkts für amerikanisches Kapital, dessen Interesse an Deutschland als Wirtschaftsstandort selbst auf dem Höhepunkt der Krise für den Wirtschaftsliberalen Stresemann immer klar erkennbar blieb. Seit seiner großen Reise in die Vereinigten Staaten und Kanada 1912 war er von der überragenden Leistungsfähigkeit der amerikanischen Wirtschaft tief überzeugt. Ab 1914 bis zu seiner Kanzlerschaft 1923 diente er als (gut bezahlter) Geschäftsführer des deutsch-amerikanischen Wirtschaftsverbandes, den der Hamburger Reeder Albert Ballin ins Leben rief.

Im Januar 1924 startete dann als unmittelbare Folge der Währungsreform die sog. Dawes-Kommission mit ihrer Arbeit - zur Untersuchung der Tragfähigkeit der Reparationen für Deutschland. Mit ihrem Bericht, der Anfang April 1924 vorgelegt wurde, war der Weg bereitet für eine amerikanische Anleihe im Volumen von 800 Millionen Mark, die schließlich nach dem Londoner Abkommen im August 1924 am amerikanischen Markt fünffach überzeichnet wurde und das Tor öffnete für weitere Kapitalzuflüsse, von denen vor allem deutsche Kommunen mit ihrem aufgestauten Investitionsbedarf nach Krieg und Inflationszeit profitierten.

Es begannen somit die goldenen Stresemann-Jahre der Weimarer Republik. Ein großer Erfolg des liberalen Kanzlers und Außenministers Gustav Stresemann. Allerdings ein zweischneidiger: Als kurz nach seinem Tod im Oktober 1929 die New Yorker Börse zusammenbrach, wurde Deutschland durch seine finanzmarktbedingte Abhängigkeit von den USA in besonders dramatischer Weise in die beginnende Weltwirtschaftskrise hineingezogen. Am Ende stand Hitler. Ein tragischer Ausgang einer grandiosen historischen Leistung von Gustav Stresemann. Trotzdem: Sie verdient bis heute den allergrößten Respekt.