Wirtschaft
Die Geschenke für die Gescheiterten schwächen die Erfolgreichen
Seit Monaten schüttet der Staat Hunderte Milliarden Euro für die Wirtschaft aus. Effizient ist das nicht. Denn die Lobbyisten der Verliererbranchen laufen jetzt zur Höchstform auf – während die Erfolgreichen unter dieser Strategie leiden.
Nach der Krise ist vor der Abrechnung. Und da zeigt sich, dass es sehr teuer werden wird. Bezahlen werden der Staat und damit die Steuerzahlenden sowie künftig Generationen. Denn gewiefte Interessenvertreter missbrauchen gerade die Gunst der Stunde, die für sie mit der Corona-Pandemie einhergeht.
Sie bitten andere für eigene Fehler zur Kasse. Der Verweis auf die außergewöhnlichen Umstände der letzten Monate rechtfertigt und entschuldigt nämlich momentan nahezu jede Forderung einzelner Betriebe oder ganzer Branchen nach staatlicher Unterstützung.
Die globale Arbeitsteilung hatte seit den Nachbeben der Finanzmarktkrise bereits an Schwung verloren. Die Vorteile der Spezialisierung waren zusehends geringer, die Nachteile hoher Transaktions- und Transportkosten sowie steigender Abhängigkeit von ausländischen Zwischenhändlern jedoch stetig gewichtiger geworden.
Zusagen von Finanz- und Wirtschaftsminister für prinzipiell unbegrenzte Kredithilfen verleiten Firmen dazu, auf fremde Kosten nun zu korrigieren, was ohnehin lange schon schieflief.
Der Luftverkehr mit seiner Billigflugstrategie war lange vor der Corona-Pandemie an seine Grenzen gestoßen. Er hat eigentlich niemals und bei Weitem nicht alle Kosten privat gedeckt, die er insgesamt verursachte.
Die Automobilindustrie tat sich in den 2010er-Jahren mehr als schwer, Umwelt und Klima weniger zu schaden. Digitalisierung war in der vergangenen Dekade im Bildungswesen und in der Arbeitswelt kein Fremdwort. Sie kam aber nur im Schneckentempo voran.
Eigentlich sind es Transferzahlungen
Mancherorts, wenn nicht gar überall, hat die Corona-Krise nun lediglich beschleunigt, was an strukturellen Veränderungen sowieso anstand. Vorher jedoch hätten die Unternehmen die unverzichtbaren Anpassungen mit eigenen Mitteln stemmen müssen.
Jetzt aber hilft die Öffentlichkeit bei der Finanzierung – und zwar in nahezu unbegrenztem Ausmaß. Der Bundeswirtschaftsminister hat sogar in staatstragender Weise eine Jobgarantie abgegeben. Altmaier erklärte, dafür zu sorgen, dass kein einziger Arbeitsplatz durch die Folgen der Corona-Abwehrmaßnahmen verloren gehe.
Derartige Versprechungen machen es für Firmen einfacher und günstiger denn je, Kosteneinsparungen, die Entsorgung struktureller Altlasten, Entlassungen oder Schließungen mit den Verwerfungen durch Corona zu rechtfertigen.
Besonders drastisch nutzen die südeuropäischen Euro-Länder die Krise, um Wiederaufbauhilfen nachzufragen. Sie stoßen in Nordeuropa auf offene Ohren – wenn auch nicht überall. Einige staunen, mit welcher Leichtigkeit, andere erschrecken mit welcher Freigiebigkeit Hunderte von Milliarden Euro an EU-Mitglieder verteilt werden.
Vordergründig soll profitieren, wer von der Corona-Krise wirtschaftlich besonders stark betroffen ist. Im Kern aber sind und bleiben die zusätzlich fließenden Gelder reine Transferzahlungen.
Verstaatlichung schreitet voran
Eher symbolischer Art ist die Diskussion unter den Geberländern, ob es sich bei den Hilfen um Kredite oder Zuschüsse handelt. Denn kaum jemand erwartet wirklich, dass hoch verschuldete Euro-Staaten jemals alle Verbindlichkeiten bedienen werden.
Gegen Solidarität spricht wenig, aber für Finanzhilfen ohne Strukturanpassungen nicht viel mehr. Wenn mehr oder weniger ungeprüft weitere Unterstützung geleistet wird, besteht die Gefahr, dass nach der Krise vieles bleibt wie zuvor.
Damit aber ist vorgezeichnet, dass das Fass der Transferzahlungen keinen Boden findet. Vielmehr werden Erwartungen auf eine immerwährende Fortsetzung geschürt, die letztlich einem Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe entgegenlaufen.
Für die Gesellschaft werden in Europa Schritt für Schritt die Notstandsmaßnahmen der Corona-Pandemie gelockert. In der Wirtschaft jedoch ist man noch nicht einmal ansatzweise so weit. Im Gegenteil.
Noch schreitet die Verstaatlichung weiter voran. Die Staaten schnüren immer neue Finanzpakete, um Unternehmen zu stabilisieren und Arbeitsplätze zu sichern. In gewissen Fällen mag das alternativlos und damit die richtige Vorgehensweise (gewesen) sein.
Entwicklungsbremse Mitnahme-Ökonomie
Vielfach jedoch provozieren staatliche Hilfsangebote schlichte Mitnahmeeffekte. Damit ist gemeint, dass auch Firmen unterstützt werden, die es gar nicht nötig haben, weil sie an sich überhaupt nicht gefährdet sind.
Existenz und nicht Effizienz genügen momentan, um an Geld zu kommen. Wenn es erfolgreicher scheint, in Brüssel oder Berlin einen Unterstützungsantrag zu platzieren, als mit aller Kraft profitable Geschäftsmodelle für die Post-Corona-Zeit auf den Weg zu bringen, wird von Managern eben eher lobbyiert als innoviert.
Nicht mehr die Kunden, sondern Minister und deren Verwaltungen entscheiden dann über Sein oder nicht Sein von Firmen.
In einer Mitnahme-Ökonomie fördert der Staat entweder erfolglose Unternehmen, die ohne Subventionen nicht überleben könnten. Er stützt Firmen mit Geschäftsmodellen aus einer vergangenen Welt(wirtschaft), die künftig so nie mehr sein wird.
Oder er sponsert Firmen, die auch ohne Unterstützung profitabel sind. In beiden Fällen werden strukturelle Anpassungen verzögert oder gar verhindert. Das kann eine Weile gut gehen.
Leistung statt Lobbyismus
Weder innerhalb der EU noch in Deutschland kann jedoch eine Mitnahme-Ökonomie zum Dauerzustand werden. Je länger man nämlich daran festhält, umso schwieriger wird ein Ausstieg werden.
Im Laufe der Zeit gewöhnen sich immer mehr Menschen, Betriebe und Branchen an die Staatsgelder. Andere hingegen verlieren zunehmend den Anreiz, durch Leistung statt durch Lobbyismus, das Überleben zu sichern.
Denn der Staat kann nur den wirtschaftlich Erfolgreichen jenes Steuergeld abknöpfen, mit dem er die Finanzhilfen an alle übrigen finanziert. Das bestraft jene, die Geld verdienen – und es belohnt andere, die auf Unterstützung hoffen.
Deshalb müsste ein Exit-Plan jetzt verbindlich aufzeigen, unter welchen Vorgaben die ökonomischen Notstandsmaßnahmen wann beendet werden.
Eine starke soziale Marktwirtschaft ist eine wesentliche, wenn nicht gar unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass Gesellschaft und Staat schwerste Herausforderungen erfolgreich bewältigen können. Das ist eine zentrale Erkenntnis der von Land zu Land unterschiedlichen Corona-Abwehrstrategien. Sie bleibt auch nach der Krise gültig.
Der Artikel erschien am 28.05. in DER WELT und ist online hier zu finden.