Spanien
Katalanischer Ministerpräsident des Amtes enthoben – neue Ausschreitungen in Barcelona?
Katalonien steht die nächste Verfassungskrise ins Haus. Der oberste Gerichtshof Spaniens hat am Montag ein Urteil seines katalanischen Pendants von vergangenem Dezember bestätigt, wonach der amtierende Ministerpräsident Kataloniens, Quim Torra, für eineinhalb Jahre von der Ausübung jeden politischen Amtes gesperrt wird. Ihm war Ungehorsam gegenüber einer Anordnung der obersten spanischen Wahlbehörde zur Last gelegt worden. Diese hatte nach einer Beschwerde der liberalen Partei „Ciudadanos“ (Bürger) in der Hochphase des spanischen Wahlkampfs im März 2019 wiederholt verlangt, Protestplakate gegen die Haftstrafen für die Anführer des illegalen katalanischen Unabhängigkeitsreferendums aus dem Jahr 2017 von öffentlichen Gebäuden in Katalonien zu entfernen. Dem wollte Torra nicht nachkommen und ließ die Plakate hängen. In der Urteilsbegründung hebt der Oberste Gerichtshof hervor, dass es Torra durchaus freistehe, Symbole oder Plakate zu verwenden, die seine politische Identität wiederspiegeln, er dies aber nicht in Wahlkampfzeiten dürfe, wie ihm dies von der Wahlbehörde explizit aufgetragen worden sei.
Mit dem Urteil muss er sein Amt als „president“ in den nächsten Tagen aufgeben, sollte er nicht noch versuchen, eine Aussetzung des Urteils beim Verfassungsgericht zu beantragen. Dem allerdings werden wenig Chancen eingeräumt. Nach Medienberichten ist Torra ohnehin schon auf der Suche nach Büroräumen als Ex-Ministerpräsident, offenbar in Girona, rund 100km nördlich von Barcelona gelegen. Er wäre der erste Ex-„president“ mit einem Büro außerhalb der katalanischen Hauptstadt, die ihm in der Vergangenheit schon mal zu wenig katalanisch war.
Das heutige Urteil ist das neueste Kapitel in einer jahrelangen Abfolge politisch-juristischer Scharmützel zwischen den katalanischen Unabhängigkeits-Befürwortern und der spanischen Politik einerseits und der unabhängigen Justiz andererseits. Es fällt zudem in eine aufgeheizte Debatte um eine Initiative der Mitte-Links-Regierung Spaniens unter Premierminister Pedro Sánchez, eine Begnadigung der zum Teil zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilten „politischen Gefangenen“ des Referendums, wie sie von den Unabhängigkeits-Verfechtern genannt werden, zu verhandeln.
Wie es derweilen in Katalonien weitergeht, ist noch unklar. Kurzfristig könnte es zu Unruhen in größeren Städten, insbesondere in Barcelona, kommen. Montagabend wurde hier für 19:30 Uhr zu einer ersten Kundgebung aufgerufen. Auch juristisch einwandfreie Prozesse und Urteile sind Waffen im Kampf für eine „katalanische Republik“ geworden - sie dienen als Beleg für die „Unterdrückung“ der Katalanen durch die spanischen Institutionen, denen wenig mehr bleibt, als ihre verfassungsgemäßen Aufträge zu erfüllen. Der Respekt für Rechtsstaat und Vernunft ist auch hier schon lange unter die Räder gekommen – und dies wird sogar klar forciert. So werden in Katalonien zum Teil ganz bewusst Regelungen erlassen, von denen klar ist, dass das Verfassungsgericht sie wegen fehlender Zuständigkeit wieder kippen wird - nur um sich im Anschluss als Opfer der Zentralgewalt stilisieren zu können.
Unklar ist auch noch, ob es zu Neuwahlen kommt, die Torra in seinen letzten Tagen als Ministerpräsident noch einberufen könnte (was er aber bislang abgelehnt hat) oder ob sein Stellvertreter Pere Aragonès als geschäftsführender Ministerpräsident die Amtsgeschäfte weiterführt. 28 Jahre nach den Olympischen Spielen in Barcelona ist von der damaligen Aufbruchstimmung nicht viel geblieben – quälende Selbstbeschäftigung ohne Gewinner lähmt die Region.
David Henneberger ist Projektleiter des Mittelmeerdialogs der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit Sitz in Madrid.