Extremismus
Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für unsere Demokratie
Die Wiedereinführung der beerdigten Vorratsdatenspeicherung ist Augenwischerei. Stattdessen sollte die Bundesregierung in der Bekämpfung des Rechtsextremismus auf die Gefährderansprache setzen, schreibt Vize-Vorstandsvorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Zurück aus der Sommerpause scheint sich das Innenministerium endlich dem dringenden Problem des rechtsextremistischen Terrorismus zuwenden zu wollen. Es gibt konkrete Reformpläne. Aktuellen Medienberichten zufolge soll zunächst das Bundeskriminalamt in diesem Bereich neu aufgestellt und personell gestärkt werden. Endlich, möchte man sagen, denn die Selbstenttarnung des Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) im November 2011 ist bereits acht Jahre her.
Der NSU-Fall hat damals massive Defizite der staatlichen Ermittlungen und eine fatale Fixierung der Behörden auf das Opferumfeld anstatt auf den aggressiven, gewalttätigen Rechtsextremismus offenbart. Die wachsende rechte Hetze und steigende Gewaltbereitschaft wurde im Zuge der Flüchtlingsdebatte unübersehbar.
Schließlich der Schock: die brutale Ermordung des Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke aus rechtsextremistischer Gesinnung. Viel zu spät wird der Rechtsextremismus als die derzeit größte Gefahr für unsere Demokratie wahrgenommen!
Von den umfangreichen sicherheitspolitischen Vorhaben, die bisher in den Medien umrissen wurden, stechen drei Aspekte bereits hervor: So soll vor allem Hasskriminalität im Netz bekämpft werden und eine „nationale Stelle zur konsequenten Bekämpfung“ im BKA entstehen. Diese neue Einheit soll verstärkt das Internet beobachten und eng mit den Providern und sozialen Netzwerken kooperieren. Allerdings soll es in diesem Zusammenhang offenbar auch zur Rückkehr der Vorratsdatenspeicherung (VDS) „durch die Hintertür“ kommen.
Die genauen Pläne sind zwar noch nicht bekannt, es sollen aber wohl sämtliche IP-Adressen der Nutzer, etwa auf sozialen Netzwerken, im Rahmen der VDS gespeichert werden. Dies führte der BKA-Chef Holger Münch gerade erst in einem Interview aus und verstieg sich zu einem Vergleich mit dem Straßenverkehr: Was dort das Kfz-Kennzeichen sei, wäre im Netz die IP-Adresse.
Plan des BKA ist zurückzuweisen
Diese Pläne des BKA zur anlasslosen Speicherung aller IP-Adressen sind selbstverständlich zurückzuweisen. Einerseits muss schon aus EU- und verfassungsrechtlichen Gründen grundsätzlich von der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung Abstand genommen werden, da sie durch entsprechende deutsche und europäische Gerichtsentscheidungen bereits ausgesetzt wurde. Die Bundesregierung zeigt sich hier leider uneinsichtig.
Andererseits geht der Vergleich der anlasslosen Speicherung aller IP-Adressen mit der Überwachung von Kfz-Kennzeichen vollkommen an der juristischen Realität vorbei. Denn es wird ja keinesfalls pauschal jedes Kennzeichen im Straßenverkehr vorratsmäßig erfasst. Vielmehr gelten für die automatisierte Erfassung von Kfz-Kennzeichen engste verfassungsrechtliche Grenzen aufgrund der hohen Eingriffsintensität in die Persönlichkeitsrechte der Bürgerinnen und Bürger – das hat das BVerfG zum Ende des letzten Jahres entschieden.
Zudem sollen im Rahmen der geplanten Reformen die Netzwerk- und Plattformbetreiber Hass und Hetze künftig nicht mehr einfach löschen können, sondern dazu verpflichtet werden, diese an das BKA weiterzuleiten. Grundsätzlich geht dieser Schritt in die richtige Richtung, da die Netzwerke zu mehr Transparenz und Kooperation mit den deutschen Strafverfolgungsbehörden angehalten würden.
Das grundsätzliche Problem, dass staatliche Strafverfolgungs- und Rechtsdurchsetzungsaufgaben den Netzwerkbetreibern überlassen werden, wird dabei jedoch nicht gelöst. Stattdessen muss bei den Staatsanwaltschaften angesetzt werden: Vorbildlich sind die staatsanwaltlichen Sonderdezernate gegen Hasskriminalität wie die Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime des Landes Nordrhein-Westfalen.
Dürfen keine Zeit mehr verlieren
Der Präventionsarbeit muss endlich höchste Priorität bei der Bekämpfung rechter Gewalt zugemessen werden. Zuverlässig müssen Gefahrenpotenziale erkannt und minimiert werden. Dazu planen die Sicherheitsbehörden, endlich entsprechende Instrumente aus der Bekämpfung islamistischen Terrors, wie das RADAR-System, auf Rechtsextremisten zu übertragen. Unverständlich ist, dass dies erst jetzt geschieht. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die meisten rechtsextremen Attentäter den Behörden bekannt waren.
Wir brauchen endlich gezielte Gefährderansprachen von rechtsextremen Gefährdern, wie sie zum Beispiel bei IS-Kämpfern eingesetzt werden, die nach Deutschland zurückkehren. Aber auch eine effektive Milieuarbeit und Szenebeobachtung gerade bei Rechtsextremisten ist wichtig. Diese bekennen sich öffentlich viel seltener zu ihren Taten und Ideologien als etwa islamistische Extremisten und agieren oft im Untergrund.
Die sich abzeichnenden Reformpläne greifen damit zwar endlich eines der dringendsten sicherheitspolitischen Themen unserer Zeit auf, setzen aber teilweise auf die falschen Mittel, kommen zu spät und greifen zu kurz. Insbesondere die beabsichtigte Wiedereinführung der juristisch beerdigten Vorratsdatenspeicherung unter dem Deckmantel der Bekämpfung von Hasskriminalität ist Augenwischerei.
Stattdessen sollte die Bundesregierung in der Bekämpfung des Rechtsextremismus auf effektive Mittel wie die Gefährderansprache setzen. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Die steigende Gewaltbereitschaft, die ihren Ausdruck auch in Todes- und Feindeslisten findet, bedroht mehr als Leib und Leben. Wir sind Augenzeugen eines bislang unbekannten Angriffs von rechts.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist Vize-Vorstandsvorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und Bundesjustizministerin a. D.
Dieser Beitrag erschien erstmals am 26. August 2019 in der WELT.