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China Bulletin
Was die Personalrochaden über das Machtgefüge hinter Xi verraten

Parteitag Peking
© picture alliance / dpa | Yang Zheng

Immer wieder flammten dieses Jahr Gerüchte über mögliche interne Streitigkeiten der innerhalb der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) auf. Im Mai und Juni gab es eine Reihe von Artikeln über einen etwaigen Widerspruch zwischen Präsident Xi Jinping und seinem technokratischere Premierminister Li Keqiang. Li würde der unzufriedenen Wirtschaft Unterstützung zuzusagen und zum Teil Xi widersprechen. Seitdem begutachteten Expertinnen und Experten gespannt Lis öffentliche Auftritte, in denen er sich beispielsweise auf die Reformpolitik des Deng Xiaoping berief und Xis Vision von Chinas Zukunft direkt widersprach. Ist das ein Zeichen für die Existenz einer liberaleren Fraktion in Peking, die mit Xis Politik brechen will?

In der Partei gibt es üblicherweise verschiedene Fraktionen, auch wenn sie nach außen hin ihre Einheit wahrt und das Machtgefüge deshalb nicht klar ersichtlich ist. Mit Hilfe von Antikorruptionskampagnen hat Xi in den vergangenen Jahren wichtige Oppositionsfraktionen im inneren Zirkel der Partei ausradiert und mit seinem „Denken Xi Jinpings“ seine persönliche Ideologie immer mehr in den Mittelpunkt der Partei gerückt. Nun könnte ihm der diesjährige Parteitag die Gelegenheit bieten, eigene Protegés ins Politbüro zu heben und so in seiner dritten Amtszeit eine Alleinstellung in China zu erlangen, wie sie vor ihm nur Mao Zedong innehatte.

Dass Xi Jinping im Oktober seine dritte Amtszeit als chinesischer Präsident antreten wird, bezweifeln trotz aller Gerüchte derzeit nur wenige. Die bisher geltenden Regeln für eine geordnete Machtübergabe finden bei Xi keine Anwendung mehr: Xi wird der erste chinesische Staatschef seit Mao sein, der mehr als zwei Amtszeiten bestreitet, nachdem der Nationale Volkskongress diese Begrenzung 2018 abgeschafft hat. Auch die inoffizielle Regel der KPCh, wonach Parteifunktionäre im Alter von 68 Jahren ihre Ämter abtreten, findet keine Anwendung. Xi ist 69 Jahre alt.

Widerstand und Gegenwind für Xi

Doch gerade in diesem Jahr ist die Unzufriedenheit mit Xis Covid- und Wirtschaftspolitik deutlich und öffentlich geworden. Destruktive und unvorhersehbare Lockdowns gepaart mit einer Immobilienkrise schwächten das Wirtschaftswachstum und sorgen für Unsicherheit. Bankenkrisen sorgten sogar dafür, dass manche Menschen auf ihr Erspartes nicht zugreifen konnten. Die Dissidentin Cai Xia, die das Machtgefüge in China aus persönlicher Erfahrung kennt, konstatiert: „Chinas Staatschef sieht sich nicht nur mit internem Dissens, sondern auch mit einer heftigen Gegenreaktion der Bevölkerung konfrontiert“.

Wie wird der neue Premier zu Xi stehen?

Li hatte im März angekündigt, keine dritte Amtszeit als Premierminister anzustreben. Im Sommer gab es deshalb sogar Gerüchte, er solle statt Xi neuer Generalsekretär der Partei werden. Die meisten Expertinnen und Experten halten das aber für unrealistisch und erwarten, dass Li schlicht in Rente geht. Aufschlussreich wird aber die Neubesetzung seines Amtes. Bisher war es üblich, dass der Premierminister immer einer anderen, konkurrierenden Fraktion als der des Präsidenten angehörte, sodass ein gewisser Ausgleich und gegenseitige Kontrolle gegeben waren. So war es auch vor 10 Jahren, als Xi und Li an die Macht kamen.

Als Top-Kandidaten für das Amt des Premiers gelten Wang Yang und Hu Chunhua. Wang Yang gehörte zwar ursprünglich nicht zu Xis Fraktion und gilt eher als wirtschaftspolitischer Reformer, schien in den letzten Jahren aber gut mit Xi zu stehen. Gerade deshalb könnte seine Wahl einen plausiblen Kompromiss darstellen, der zumindest den Anschein eines Ausgleichs wahrt. Eine Übernahme des Postens durch den Li Keqiang nahestehenden bisherigen Vize-Premier Hu Chunhua hingegen gilt als weniger ideal für Xi und wäre ein deutliches Anzeichen für den Einfluss einer Li Keqiang nahestehenden und an den früheren Präsidenten Hu Jintao anknüpfenden Fraktion. Sollte es Xi anstelle der beiden gelingen, in diesem zweitwichtigsten Staatsamt einen seiner Protegés zu platzieren, würde das seine Machtfülle noch präzedenzloser machen. Als solche Kandidaten werden unter anderem Chen Min’er und Li Qiang genannt, auch wenn diese beiden noch nicht Vize-Premiers gewesen sind und somit ein wichtiges Kriterium für das Amt nicht erfüllen.

Indizien für Xis Machtposition in der Partei

Gerade der Verbleib des letzteren könnte ein Gradmesser für Xis Macht sein. Li Qiang stand als Hauptverantwortlicher für den drakonischen Lockdown in Shanghai dieses Jahr in der Kritik. Xi deckte ihm zwar den Rücken, aber es bleibt unklar, wie sehr die Kritik seinem Ansehen geschadet hat. Zuvor noch als Xi-Wunschkandidat für das Amt des Premiers gehandelt, stellen manche Beobachter nun sogar in Frage, ob er es beim Parteitag überhaupt in den ständigen Ausschuss schafft. Als Chef der KPCh in Shanghai und enger Verbündeter Xis gilt er eigentlich als prädestiniert für dieses höchste Entscheidungsgremium, zumal seit den 80er Jahren alle bis auf einen Shanghaier KPCh-Vorsitzenden diesen Schritt geschafft hatten. Schafft er es nicht, wäre das also eine Überraschung. Beim Parteitag zeigt sich nun, wie weit ihn seine Loyalität zu Xi trotz des Desasters in Shanghai bringt.

Bisher weist trotz Xis Schwierigkeiten im Jahr 2022 noch nichts darauf hin, dass Xis Position im Vorfeld des Parteitages stark geschwächt ist. Dass das Datum des Parteitages bereits für Oktober festgesetzt wurde, werten Expertinnen und Experten als Zeichen, dass die wichtigsten Entscheidungen feststehen und nicht überaus kontrovers waren. Xis kürzliche Auslandsreise nach Zentralasien deutet ebenfalls darauf hin, dass nicht etwa ein interner Machtkampf seine volle Aufmerksamkeit verlangen würde. So rechnen derzeit die meisten Analystinnen und Analysten damit, dass Xi seine Personalien durchbringen und gestärkt aus dem Parteitag hervorgehen wird. Sollte sich das bewahrheiten, heißt das aber nicht, dass es keine Kritik oder Unzufriedenheit mit seinem Kurs gäbe. Es wäre vielmehr ein Zeichen dafür, dass das Politbüro eine Versammlung von Jasagern ist, aus dem Xi keinen Gegenwind mehr zu befürchten hat.

* Thomas Grosser studiert Sinologie (MA) an der Universität Münster und macht derzeit ein Auslandssemester in Taiwan.