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Berufsbildungsbericht 2024
Wirtschaftskraft durch Bildungspolitik

Lehren aus dem Berufsbildungsbericht 2024
Auszubildende in Metallberufen hier bei der Grundausbildung,

Auszubildende in Metallberufen hier bei der Grundausbildung.

© picture alliance / Rupert Oberhäuser | Rupert Oberhäuser

Wo Licht ist, ist auch Schatten: So könnte man den Berufsbildungsbericht 2024 beschreiben. Das Thema der beruflichen Ausbildung und hinreichender Qualifizierung junger Menschen ist indes zu wichtig, um einfach darüber hinwegzugehen. Die kränkelnde deutsche Wirtschaft braucht gut ausgebildete Fachkräfte. Wie könnte die Standortsicherheit für mittelständische Unternehmen gesichert werden, wenn der wichtigste Faktor für wirtschaftlichen Erfolg immer weiter abhandenkommt?

Denn die Unternehmen sprechen eine klare Sprache: Noch vor den steigenden Energiekosten, der überbordenden Bürokratie und der Steuer- und Abgabenlast nennen die meisten befragten Unternehmer die mangelnde Verfügbarkeit von Arbeitskräften und Fachkräften als drängendstes Problem für den Wirtschaftsstandort. Letzteres resultiert aus einer Gemengelage ungünstiger Rahmenbedingungen. Neben der zunehmend spürbaren Überalterung und Verrentung der hervorragend ausgebildeten Erwerbsbevölkerung, deren Ausbildungskosten sich aus volkswirtschaftlicher Sicht inzwischen mehrfach amortisiert haben, hat sich auch das durchschnittliche Bildungsniveau der nachrückenden Absolventen verändert. Die Krux: Veränderungen im Bildungssystem machen sich immer erst nach einer gewissen Zeit bemerkbar. Lehrpläne müssen angepasst, Dozenten geschult und schließlich die zu Qualifizierenden ausgebildet werden. Es dauert also eine Weile, bis Verbesserungen spürbar werden, genauso wie es Zeit braucht, ein gut etabliertes Bildungssystem zu verschlechtern. So weit, so gut.

Wachsende Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage

Blickt man auf den aktuellen Berufsausbildungsbericht, sticht zunächst vor allem eine positive Botschaft hervor. Die Zahl neu abgeschlossener Ausbildungsverträge im dualen System stieg um 3 %. So wurden 489.200 Verträge abgeschlossen. Auch der Anstieg des Ausbildungsangebotes auf über 560.000 Stellen ist positiv zu sehen.

Allerdings ist das Missverhältnis zwischen offenen Ausbildungsstellen und „unversorgten“ Suchenden weiter gestiegen. Weniger Firmen konnten also einen offenen Ausbildungsplatz besetzen, während viele Suchende kein individuell passendes Angebot gefunden haben. Die Berufe, in denen erneut prozentual besonders viele Ausbildungsstellen unbesetzt blieben, sind u.a. Klempner, Fachverkäufer im Lebensmittelhandwerk sowie Beton- und Stahlbetonbauer. In absoluten Zahlen ist es jedoch der Beruf Kauffrau/Kaufmann im Einzelhandel trauriger Spitzenreiter, für den 6.736 Stellen unbesetzt blieben, wobei hier laut Berufsbildungsbericht aufgrund von noch unversorgten Bewerberinnen und Bewerbern von einem „gemeinsamen Auftreten von Versorgungs- und Besetzungsproblemen“ gesprochen werden kann.

Auf der anderen Seite stehen die Berufe, in denen es mehr Gesuche als Ausbildungsangebote gab. Hier führen die ersten drei Plätze bei den unerfüllten Ausbildungswünschen die Berufe Mediengestalter in Bild und Ton, Tierpfleger sowie Gestalter für visuelles Marketing an.

Diese wachsende Diskrepanz zwischen Berufswünschen und tatsächlichem Bedarfen zu verringern muss als zentrale Aufgabe verstanden werden. Jobmessen und frühzeitige Beratungen sollten hierfür weiteren Raum bekommen.

Alarmierender Anstieg der Ungelernten in Deutschland

Ein ganz zentraler Aspekt des Berufsbildungsbericht 2024 liefert allerdings Anlass zur Sorge: Der Anstieg der nicht formal Qualifizierten bzw. Ungelernten in der Altersgruppe der 20- bis 34-Jährigen.  2,86 Mio. junge Menschen verfügen demnach über keine formale berufliche oder schulische Qualifikation. Die Sprengkraft dieser Zahl ist immens. Die Aufstiegschancen dieses Personenkreises sind signifikant geringer im Vergleich zu Personen mit einer formalen Qualifikation. Es ist ein Alarmruf für das gesellschaftliche Aufstiegsversprechen.

Die nüchterne Analyse der veröffentlichten Zahlen lässt zudem zu Tage treten, dass es erheblichen Verbesserungsbedarf bei der Qualifikation zugezogener Personen gibt. Der Berufsbildungsbericht hält hierzu fest: „Während junge Erwachsene zwischen 20 und 34 Jahren mit einer deutschen Staatsbürgerschaft eine nfQ-Quote [nicht-formal-Qualifizierten-Quote, Anm.] von nur 12,7 % (2021: 11,7 %) vorwiesen, waren es bei den ausländischen Gleichaltrigen mit einer Quote von 38,1 % (2021: 38,1 %) genau dreimal so viele. Auch Personen mit Migrationshintergrund blieben überdurchschnittlich häufig ohne formale Qualifizierung. Im Jahr 2022 lag die nfQ-Quote der 20- bis 34-jährigen Migrantinnen und Migranten mit eigener Migrationserfahrung bei 39,1 % (2021: 38,1 %)“ (S. 108)

An diesen Zahlen zeigt sich einmal mehr, dass sich im derzeitigen Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland etwas tun muss. Wenn Potenziale junger Menschen gehoben werden sollen, dürfen Zahlen wie diese nicht ohne Konsequenzen bleiben. Insofern ist das Startchancenprogramm des Bundes als dringend notwendig einzuschätzen. Was es braucht, ist mehr und passgenauere Hilfe für Schülerinnen und Schüler durch Stärkung der Entscheidungskompetenzen der Schulen vor Ort. Es ist nun an den Bundesländern, die sich bietende Chance zu ergreifen. Nur eine gute Ausbildung eröffnet den Menschen, gleich ob hier Geborenen oder Zugewanderten, Lebenschancen.

Ruf nach einer „Bildungswende“,

Auch die von Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger geplante Verankerung des Feststellungsverfahrens im Berufsbildungsvalidierungs- und –digitalisierungsgesetz ist ein richtiger Schritt, um dieser problematischen Entwicklung entgegenzuwirken. Hinter dem etwas sperrigen Begriff verbirgt sich die Möglichkeit, dass Personen ohne formale Qualifikation unter bestimmten Umständen auf Antrag ihre Kompetenzen und beruflichen Handlungsfähigkeiten bewerten lassen können - etwa von der zuständigen Handwerkskammer. Bestenfalls kann somit die Tür einer weiteren Qualifizierung als sog. Feststellungsabsolvent geöffnet werden.

Die jetzt zutage tretenden Ergebnisse sind nicht zuletzt das Ergebnis eines über Jahre vernachlässigten Bildungssystems. Der Ruf nach einer „Bildungswende“, der langfristigen Grundlage für Fortschritt und Wohlstand, muss deshalb in den Kanon der „Wirtschaftswende“ aufgenommen werden. Denn Bildung braucht Zeit - und die ist knapp.