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Chatkontrolle
Chatkontrolle - Die Befürworter geraten immer mehr unter Druck!

An illustrative image showing social media, chat and communication apps displayed on a mobile phone. 

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© picture alliance / NurPhoto | Artur Widak

Der Anlass für einen schon seit Monaten schwelenden Streit innerhalb der Ampel-Koalition ist ernst. Schon seit dem Mai 2022 liegt ein Verordnungs-Entwurf der EU-Kommission vor, der als Ziel die Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet vorgibt. Aufgrund der im Entwurf vorgesehenen weitreichenden Überwachungsmaßnahmen im Bereich der Kommunikation wurde er von Beginn an auf den Begriff „Chatkontrolle“ getauft.

Der Hintergrund für das Vorgehen auf europäischer Ebene hat nicht in erster Linie mit Kommunikation zu tun, sondern adressiert ein ernstes Problem. 2022 fielen im Durchschnitt 47 Kinder pro Tag sexualisierter Gewalt zum Opfer. Die Anzahl der ausermittelten Fälle von Missbrauchsdarstellungen im Internet betrug nach Bericht der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs rund 18.700 im Jahr 2021 – Tendenz seit Jahren steigend. Die Dunkelziffern dürften deutlich darüber liegen. Laut Bericht machen es insbesondere verbesserte Verschlüsselung von Kommunikation und verbraucherfreundliche Dienstleistungen im Darknet den Täterinnen und Tätern leichter. Hier möchte der Vorschlag der EU-Kommission ansetzen.

Der Vorschlag enthält unter anderem die Mittel des anlasslosen Scannens und Überwachens der Kommunikation im digitalen Raum, um entsprechende Inhalte aufzuspüren. Konkret sieht er - nach entsprechender Anweisung durch z.B. die neu zu schaffende Koordinierungsbehörde -  eine Pflicht für Hostingdienste und Kommunikationsdienstleister vor, Technologien einzusetzen, die Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs und Kontaktaufnahme zu Kindern („Grooming“) in sexueller Absicht erkennen sollen. Entsprechende Anweisungen sollen schon erlassen werden, wenn ein erhebliches Risiko besteht, dass der Dienst zum Zweck des sexuellen Kindesmissbrauchs im Internet genutzt werden könnte. Darunter lässt sich pauschal eigentlich jeder digitale Kommunikationsdienst fassen. Ist die Anweisung erstmal in der Welt, muss die entsprechende Kommunikation aller Nutzerinnen und Nutzer gescannt werden.

Digitale Kommunikation unter Generalverdacht

Bei Kommunikation, die unverschlüsselt ist oder nur auf ihrem Weg von einem Server zum anderen verschlüsselt wird (Transportverschlüsselung), ist das für die Anbieter relativ leicht mittels Einsetzen von Technologien in Verbindung mit dem Server zu bewerkstelligen. Schon dies stellt aber erhebliche Eingriffe in die Grundrechte der Kommunikationsfreiheit (Art. 5 GG) und den Schutz der Privatsphäre (Art. 2 I und 1 I, Art. 10, 13 GG) dar. Digitale Kommunikation wird unter Generalverdacht gestellt, bei einer im Entwurf selbst angenommenen Fehlerquote von 12 Prozent würden tausende private Nachrichten täglich zu Unrecht durchleuchtet und könnten bei Strafverfolgungsbehörden landen.

Ein Zugriff auf Ende-zu-Ende-verschlüsselte Inhalte ist den Diensteanbietern hingegen technisch nicht ohne Weiteres möglich. Er gelingt nur, wenn schon die noch nicht verschickten Inhalte auf den Geräten der Nutzerinnen und Nutzer gescannt werden. Dieses sogenannte Client-Side-Scanning, erreichbar mit einer in die jeweilige App eingebaute Überwachungssoftware, ist noch eingriffsintensiver, weil sie auf verschlüsselte Kommunikation zugreift. Übertragen in die analoge Welt würde dies bedeuten, dass schon beim Verfassen eines Briefes mitgelesen wird. Nebenbei würde auch der Sicherheit und Privatsphäre im digitalen Raum erheblicher Schaden zugeführt, weil die eigentlich sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung faktisch ausgehebelt würde.

Eine wirkliche Debatte über die Vorschläge ist seit der Veröffentlichung des Kommissions-Vorschlags nicht möglich. Denn dazu müssten die Pläne der EU-Kommission wenigstens gewinnbringend sein, also Kindesmissbrauch und der Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen im Internet tatsächlich einen Riegel vorschieben können. Grundsätzlich können Grundrechte wie z.B. die Kommunikationsfreiheit nämlich zugunsten anderer, gewichtigerer Grundrechte, in diesem Falle die Rechte der Kinder auf körperliche Unversehrtheit, eingeschränkt werden. Bei der grundrechtlichen Abwägung spielt die Effektivität einer Maßnahme jedoch eine wichtige Rolle.

Nicht nur Datenschützer und Bürgerrechtsorganisationen, sondern auch Vertreterinnen und Vertreter der Sicherheitsbehörden bewerten den geplanten Entwurf als viel zu weitreichend verglichen mit dem erhofften Nutzen. Der Entwurf werde nicht signifikant zu mehr Aufklärung bei Straftaten führen, so beispielsweise das Ergebnis der öffentlichen Anhörung im Deutschen Bundestag zur Chatkontrolle im März. Eine kürzlich veröffentlichte Studie des Wissenschaftlichen Dienstes des Europäischen Parlaments prognostiziert einen Anstieg der fälschlich gemeldeten Inhalte aufgrund der geringen Genauigkeit und dem Rückgang der Treffsicherheit von Verdachtsfällen. Die nationalen Strafverfolgungsbehörden würden dadurch mit einem erheblichen Mehraufwand belastet, während gleichzeitig die Verfolgung der tatsächlich stattfindenden sexuellen Missbrauchsfälle auf der Strecke bliebe.

Kommissions-Entwurf steht im Widerspruch mit der Europäischen Grundrechtecharta

Das sehen auch die Ampel-Koalitionspartner von FDP und Grünen so. Insbesondere die FDP-geführten Ministerien schlagen Alarm. Sie bemängeln nicht nur die erheblichen Einschränkungen der Bürgerrechte, sondern monieren auch das Brechen des Koalitionsvertrags. Darin heißt es ausdrücklich: „allgemeine Überwachungspflichten, Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation und eine Identifizierungspflicht lehnen wir ab“. Innenministerin Nancy Faeser möchte trotzdem für die geplante Verordnung stimmen, obwohl auch der Bundesrat und die überwiegende Anzahl der Expertinnen und Experten in ihren Analysen die geplanten Neuregelungen für verfassungswidrig halten. Zwar einigte sich die Bundesregierung mittlerweile auf eine etwas moderatere Position, die das Scannen verschlüsselter Kommunikation und das Client-Side-Scanning ausschließt. Zu einer ähnlich klaren Positionierung im Umgang mit unverschlüsselten Daten konnte sich die Koalition bisher aber nicht durchringen.

Einigen FDP-Ministern und -Parlamentariern ist das nicht genug. Digitalminister Volker Wissing (FDP) macht schon lange deutlich, dass ihm der Entwurf zur Chatkontrolle zu weit gehe. Auch Justizminister Marco Buschmann (FDP) hat sich sehr kritisch zu dem Entwurf der EU-Kommission geäußert. Da die Verhandlungen auf europäischer Ebene im Trilog zwischen EU-Kommission, Europäischem Rat und Europäischem Parlament immer näher rücken, intensiviert Justizminister Buschmann nun sein Engagement auf europäischer Ebene. Am Freitag erschien ein offener Brief, den Buschmann zusammen mit seinen deutschsprachigen Amtskolleginnen und -kollegen aus Luxemburg, Österreich, Liechtenstein und der Schweiz verfasst hat. Sie stellen das Vorhaben der EU-Kommission insgesamt in Frage.

Rückendeckung bekommen die Autorinnen und Autoren vom Juristischen Dienst des Rates und dem Wissenschaftlichen Dienst des Europäischen Parlaments. Zwei durch sie erstellte Gutachten kommen zu dem Ergebnis, dass der Kommissions-Entwurf auch im Widerspruch mit der Europäischen Grundrechtecharta (konkret Art. 7 und 8 EU-GRCh, Recht auf Schutz des Privatlebens und private Kommunikation und Schutz personenbezogener Daten) stehen dürfte. Die geplanten Regelungen könnten nicht nur unverhältnismäßig sein, gerade im Hinblick auf den Zugriff auf verschlüsselte Kommunikation, sondern mitunter gar den Wesensgehalt der Grundrechte angreifen. Im Rahmen einer grundrechtlichen Prüfung ist das der schwerste Vorwurf, der erhoben werden kann, denn er würde bedeuten, dass bestimmte Grundrechte nicht nur eingeschränkt, sondern komplett ausgehöhlt werden.

Obwohl die Federführung bei den europäischen Innenministerien liegt, bleibt zu hoffen, dass der Entwurf insgesamt noch abgewendet werden kann. Möchte man wirklich effektiv gegen sexuellen Kindesmissbrauch vorgehen, bräuchte es beispielsweise personelle Aufstockung bei den Strafverfolgungsbehörden und eine bessere Schwerpunktbildung. Was hingegen wenig zur Lösung des Problems beiträgt, sind durch eine Flut von Meldungen überforderte Behörden und von weitreichender Überwachung verunsicherte Bürgerinnen und Bürger.