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Betrugsvorwurf gegen Milliardär Adani überschattet Indiens Aufholjagd

Gautam Adani

Gautam Adani

© Source: Wikimedia Commons

An Superlativen mangelt es Indien aktuell nicht. Das Schwellenland wird noch 2023 China als bevölkerungsreichstes Land der Welt ablösen, so eine Prognose der UN. Mit Wachstumsraten um die sieben Prozent erzielt Indien den höchsten Wert unter allen großen Volkswirtschaften. Und mit rund 122 Milliarden US-Dollar kündigte Regierungschef Narendra Modi die größte Investitionsoffensive in der Geschichte des Landes an. Ein weiterer Rekord überschattet jedoch seit Januar die positiven Nachrichten aus der mittlerweile fünfgrößten Volkswirtschaft der Welt. Hindenburg Research, ein aktivistischer Fonds aus den USA, wirft dem indischen Unternehmer Gautam Adani „den größten Betrug in der Wirtschaftsgeschichte“ vor. Dabei soll es um Bilanzbetrug, Marktmanipulation und Überschuldung gehen. Er habe Indien systematisch ausgeplündert. Ausgerechnet Adani hatte zuletzt besonders stark von Modis bisherigen Infrastrukturprojekten profitiert. Der Gründer und Chef der Adani Gruppe bestreitet die massiven Vorwürfe und bezeichnet den Hindenburg-Report sogar als „Angriff auf Indien“. Er stellte die Untersuchung der Bilanzen durch einen unabhängigen Wirtschaftsprüfer in Aussicht.

Der im Westen bislang weitgehend unbekannte Gautam Adani belegte laut Forbes in der Liste der reichsten Menschen der Welt zuletzt nach Bernard Arnault und Elon Musk den dritten Platz. Das Vermögen des 60-Jährigen wurde auf gut 126 Milliarden Dollar geschätzt. Seit Bekanntwerden der Betrugsvorwürfe ist sein Reichtum jedoch im freien Fall. Um Schulden abbauen zu können und das Vertrauen der Investoren unter Beweis zu stellen, wollte der Multimilliardär Aktien in Höhe von 2,5 Milliarden US-Dollar platzieren, musste die Platzierung jedoch zurückziehen, weil der Aktienkurs weiter absackte. Zu diesem Zeitpunkt hatte sein Firmen-Konglomerat, das vor den Beschuldigungen mit rund 220 Milliarden US-Dollar bewertet worden war, bereits laut Handelsblatt 107 Milliarden US-Dollar an Börsenwert verloren.

Den Grundstein für sein Imperium hatte der Sohn von Textilhändlern 1988 mit der Adani Enterprises Ltd. gelegt, die mit Agrar- und Energieerzeugnissen handelte. Später kamen Rohstoffe und Textilien hinzu. Das Wachstum des Konglomerats finanzierte der Studienabbrecher durch umfangreiche Kredite. Heute ist der Hafen im westindischen Mundra (Gujarat), den Adani ab 1995 für sein eigenes Handelsgeschäft gebaut hatte, der größte privat betriebene Hafen des Landes und größter Containerhafen des Subkontinents. Die in Ahmedabad (Gujarat) ansässige Gruppe zählt zudem unter anderem zu den größten Flughafenbetreibern Indiens, ist einer der wichtigsten Zementhersteller und größter Kohleproduzent und -händler. Für weltweite Schlagzeilen und massive Proteste von Klimaschützern sorgte ein Großprojekt des Inders in Australien. Dort baut der Unternehmer aktuell eines der größten Kohlebergwerke der Welt, das Steinkohlebergwerk Carmichael. Für den Transport der Kohle muss ein Kanal durch das Great Barrier Reef gebaggert werden, das als weltgrößtes zusammenhängendes Korallenriff als UNESCO-Welterbe gelistet ist.

Mittlerweile ist Adani allerdings auch stark in das Geschäft mit erneuerbaren Energien eingestiegen und diversifiziert in andere Wirtschaftsbereiche. Ende 2022 übernahm er zum Beispiel die Mehrheit am indischen TV-Sender NDTV. Der Industrielle gilt als eine der einflussreichsten Personen des Landes, er pflegte schon enge Kontakte zu Narendra Modi, als dieser noch Chief Minister von Gujarat war.

Sieben Unternehmen der Gruppe sind an der Börse notiert. Laut Hindenburg Research haben diese in den vergangenen drei Jahren im Schnitt um 819 Prozent im Kurs zugelegt. Adani soll die Kurse manipuliert haben, um dann die überteuerten Aktien als Sicherheit für Kredite zu verwenden. Zu den Kreditgebern zählen neben einheimischen auch zahlreiche internationale Banken. Zu weiteren Vorwürfen zählt, dass in Führungspositionen des Konzerns Verwandte des Gründers platziert wurden, die mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt gekommen seien. Im Fokus stehen Briefkastenfirmen, allein 38 auf Mauritius, die künstliche Umsätze und Gewinne erzeugt haben sollen.

Hindenburg Research LLC wurde 2017 von Nathan Anderson als Investment-Research-Unternehmen mit Schwerpunkt auf Aktivisten-Leerverkäufe gegründet und sitzt in New York City. Ein Shortseller (Leerverkäufer) leiht sich gegen eine Gebühr Aktien und verkauft diese weiter. Die Hoffnung der Spekulanten: Fällt der Kurs der Aktie danach, können die Leerverkäufer die Papiere zu einem niedrigeren Kurs zurückkaufen. Die Differenz zwischen Kauf- und Verkaufskurs abzüglich der Leihgebühr ist dann ihr Gewinn. Hindenburg Research gibt in seinem Report an, eine Short-Position bei Adani-Aktien zu besitzen, benennt aber nicht die Größenordnung. Anders als Hedgefonds, die nur mit geliehenen Aktien spekulieren, attackieren aktivistische Fonds wie Hindenburg Research auch die Unternehmen, bei denen sie auf Kursverluste wetten. Dafür veröffentlichen sie umfangreiche Reports mit Vorwürfen und tragen so selbst zu den Kursverlusten bei. An dem Adani-Report haben die Aktivisten nach eigenen Angaben zwei Jahre lang gearbeitet. Er umfasst 413 Seiten.

Noch sind die Vorwürfe nicht bewiesen. In anderen Fällen, etwa des pleite gegangenen deutschen Finanzdienstleisters Wirecrad, behielten Shortseller wie Fraser Perring mit ihren Anschuldigungen am Ende recht. Auch Anderson lag mit Recherchen richtig. Laut Wirtschaftswoche veröffentlichte er ein Video, in dem Trevor Milton, Chef des Wasserstoff-Lkw-Startups Nikola, einen Truck einfach bergab rollen ließ, obwohl er behauptete, der Antrieb würde längst funktionieren. Ein US-Gericht sprach Milton später wegen mehrfachen Betrugs schuldig.

Der weltweit für Schlagzeilen sorgende Fall Adani kommt für Asiens drittgrößte Volkswirtschaft zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Das wachstumsstarke Schwellenland will sich als alternativer Investitionsstandort bei ausländischen Investoren in Stellung bringen. Als die zahlreichen und hartnäckigen Corona-Lockdowns die Produktion in China massiv behinderten und sich der Taiwan-Konflikt zuspitzte, loteten etwa US-Konzerne neue Standorte aus, um unabhängiger von China zu werden. Als Erfolg konnte Indien zum Beispiel verbuchen, dass Apple einen Teil der i-Phone-Produktion in das südindische Chennai verlagerte. Auch in Deutschland ist das so genannte China-Decoupling in Politik und Wirtschaft ein Thema.

Internationale Aufmerksamkeit wird Indien zudem als erstmaliger Gastgeber eines G20-Gipfels genießen. Für ein Jahr übernimmt Indien die Präsidentschaft in der Gruppe der größten Industrie- und Schwellenländer, die sich im September in New Delhi treffen. Sollten sich die Vorwürfe gegen die Adani Group erhärten, wirft das nicht nur ein schlechtes Licht auf den Standort, sondern auch auf die Behörden vor Ort. Denn die vertrauten dem Unternehmer große Infrastrukturprojekte an. Auch das jüngst veröffentlichte Ranking der internationalen Nichtregierungsorganisation Transparency International zeigt, wie schwer sich Indien damit tut, die größten Schwächen des Standorts wirkungsvoll zu bekämpfen. In der Rangliste des Korruptionswahrnehmungsindex belegte Indien im vergangenen Jahr wie schon 2021 unter 180 Staaten den 85. Platz. Im Ranking der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen rutschte Indien zuletzt auf Rang 150 von 180 Ländern ab. Entsprechend kritisch war die Übernahme des TV-Senders durch begleitet worden. Kritiker fürchten negative Auswirkungen auf die Pressefreiheit in Indien. NDTV ist bekannt dafür, regierungskritische Stimmen zu publizieren.