Israel
Iranischer Angriff auf Israel: Die Leiter der Naumann-Büros in Amman, Jerusalem und Beirut im Interview
Der iranische Angriff auf Israel hat nicht nur die unmittelbar Betroffenen, sondern auch die gesamte Region erschüttert. Die Leiter der Büros der Naumann-Stiftung in der Region erklären, wie sie die Situation vor Ort erlebt haben, was die deutsche Politik jetzt tun muss und welche Aufgaben die politischen Stiftungen haben. Jörg Dehnert (Amman), Kristof Kleemann, (Jerusalem) und Aret Demirci (Beirut) im Interview:
Jordanien: "Es geht nicht mehr um die Palästinenserfrage, sondern um eine drohende Eskalation mit dem Iran und Israel"
FNF: Wie haben Sie aus Amman den iranischen Angriff auf Israel erlebt?
Jörg Dehnert (Amman): Wir wurden seitens der Botschaft um 21.30 Uhr informiert, dass der jordanische Luftraum für den zivilen Luftverkehr von 23.00 Uhr an bis auf weiteres geschlossen wird. Später erhielten wir dann die Nachricht, dass wir uns in unseren Wohnungen aufhalten sollten, da Drohnen von Iran über Jordanien abgeschossen würden. Man konnte die Düsenjets aber schon vorher gut wahrnehmen, sie flogen tiefer. Nach Mitternacht haben wir dann die Abschüsse deutlich hören und spüren können, teilweise haben die Fensterscheiben gewackelt. Vereinzelt sind auch Trümmerteile der abgeschossenen Geschosse auf die Straßen gefallen in Amman. Die Düsenjets waren weiterhin deutlich zu vernehmen. Die stärkeren und deutlich hörbaren Kontrollflüge der Düsenjets sind seitdem und auch heute noch in Abständen deutlich zu hören.
Wie blickt man in Jordanien auf die deutsche Reaktion auf den Angriff? Wie ist die Erwartungshaltung gegenüber Deutschland?
Dehnert: Die Haltung in der Bevölkerung ist sehr gespalten, eine Minderheit befürwortet den Angriff auf Israel, während die größer werdende Mehrheit wohl erkannt hat, in welcher „Gemengelage“ sich Jordanien nun befindet. Es geht nicht mehr um die Palästinenserfrage, sondern um eine drohende Eskalation mit dem Iran und Israel. Auch verdeutlicht die Verletzung des jordanischen Luftraums durch den Iran, dass jordanische Interessen für den Iran keine Rolle spielen, dies hat dem Mullah Regime sicherlich geschadet in der arabischen Welt, zumal auch die Saudis Drohen über ihrem Hoheitsgebiet angeschossen haben.
Was die Erwartungshaltung Deutschlands anbelangt, so ist diese weiterhin gering. Der Vertrauensverlust durch die Reaktionen der Bundesrepublik nach dem 7. Oktober ist weiterhin groß. Die Stellungnahmen des BK und der AM nach dem Angriff „stehen fest an der Seite Israels“ haben diesen bisherigen Eindruck nur noch verstärkt. Es fehlte der Verweis, dass diese neue Eskalation, die ja nun ein israelisch-iranischer Konflikt ist, sich nicht negativ auf die Situation in Gaza, d.h. heißt die Verhandlungen und die Linderung des Leides der palästinensischen Zivilbevölkerung auswirken dürfe. Dieses Defizit wiegt umso schwerer, da es wohl keine Toten und bisher nur ein schwerverletztes Mädchen gegeben hat, in Gaza aber täglich viele Menschen sterben und die humanitäre Situation weiterhin dramatisch ist.
Was sollte die deutsche Politik aus Ihrer Sicht berücksichtigen?
Dehnert: Die deutsche Politik sollte ausgewogener und vor allem konstanter argumentieren. Man kann nicht je nach Akteur, und dann wechselhaft für eine Seite starke Worte finden. Es fehlt die Konstanz und Ausgewogenheit in den Stellungnahmen deutscher Politik.
Israel: "Seit dem 7. Oktober befindet sich das Land im Ausnahmezustand"
FNF: Wie haben Sie vor Ort den iranischen Angriff auf Israel erlebt?
Kristof Kleemann (Jerusalem): Am Samstagabend fanden sowohl in Jerusalem als auch Tel Aviv große Demonstrationen gegen die Regierung statt, die mit den Nachrichten über den iranischen Angriff abrupt beendet wurden. Die Menschen in Israel sind solche Situationen zwar gewohnt, seit dem 7. Oktober befindet sich das Land in einer Art Ausnahmezustand. Dennoch hatte dieser Angriff eine neue Qualität, gerade weil der Beschuss so massiv war und sich über einen sehr langen Zeitraum hinzog. Viele Menschen saßen bis spät in die Nacht vor den Fernseher, um die Nachrichten zu verfolgen, mehrfach mussten die Schutzräume aufgesucht werden. In Jerusalem und anderen Teilen des Landes kam es in der späten Nacht mehrfach zu Luftalarm, direkt über der Stadt wurden mehrere ballistische Raketen abgeschossen. Auch ich bin erst in der späten Nacht ins Bett gegangen, als klar wurde, dass der Angriff erfolgreich abgefangen wurde.
Wie blickt man in Israel auf die deutsche Reaktion auf den Angriff? Wie ist die Erwartungshaltung gegenüber Deutschland?
Kleemann: Zwar hat Deutschland, anders als die USA, Großbritannien oder Frankreich nicht an der Verteidigung des iranischen Angriffs mitgewirkt. Dennoch wird die Solidarität Deutschlands mit Israel im Land hochgeschätzt. Aus Sicht Israels war der iranische Angriff ein Tabubruch. Es ist auch das erste Mal seit 1991, dass Israel von einem UN-Mitgliedsstaat angegriffen wird. Damals hatte der Irak Dutzende Scud-Raketen auf israelisches Gebiet gefeuert. Deshalb wird Jerusalem auch dafür Verständnis verlangen, dass auf einen solchen beispiellosen Angriff reagiert werden muss. Laut Presseberichten haben die israelischen Streitkräfte bereits entschieden, wie sie den Iran und seine Stellvertreter angreifen werden, hat sich aber noch nicht auf den Zeitpunkt festgelegt. Allein die Tatsache, dass eine Entscheidung getroffen wurde, zeigt, wie entschlossen die israelische Führung ist, auch wenn alles darauf hindeutet, dass Jerusalem immer noch bestrebt ist, den Angriff abzuschwächen, um einen regionalen Krieg zu vermeiden. So komisch es klingen mag: im Westen unterschätzen wir manchmal die Toleranz der Akteure im Nahen Osten, Konflikte auf einem gewissen Niveau zu managen.
Was sollte die deutsche Politik aus Ihrer Sicht berücksichtigen?
Kleemann: Außenministerin Baerbock befindet sich derzeit in Israel, um mit Präsident Herzog über die aktuelle Lage zu beraten. Deutschland setzt sich für eine Deeskalation der Lage ein. Der Westen sollte aus meiner Sicht vor allem darauf drängen, dass Israel auf die Allianz, die bei der Abwehr des iranischen Angriffs geholfen hat, aufzubauen. Dies könnte auch eine Chance für Israel bieten, in der Region wieder Fuß zu fassen. Man darf ja nicht vergessen, dass Israel vor dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober kurz davor war, die Beziehungen mit Saudi-Arabien zu normalisieren. Saudi-Arabien war eines der Länder in der Region, die sich stillschweigend bereit erklärten, mit den USA Informationen über einen drohenden iranischen Angriff auszutauschen. Wenn es Israel schafft, dies wiederzubeleben und eine breite Allianz gegen den Iran zu etablieren, wäre damit viel gewonnen. Deshalb bietet die aktuelle Lage auch eine Chance.
"Libanon ist aufgrund der Hisbollah-Miliz ungewollt in den Konflikt involviert"
FNF: Wie haben Sie in Beirut den iranischen Angriff auf Israel erlebt?
Aret Demirci (Beirut): Wir wurden nahezu zeitgleich von Eilmeldungen verschiedener Nachrichtenagenturen und seitens der Botschaft über den bevorstehenden Angriff Irans auf Israel informiert. Intern im Team haben wir unverzüglich die Telefonkette für Notfälle zum Einsatz gebracht, sodass wir in kürzester Zeit wussten, wer sich wo aufhält. Zum Glück hielten sich nahezu alle Kolleginnen und Kollegen zum Zeitpunkt des Angriffs zu Hause in Sicherheit auf – doch eine Kollegin war bereits am Flughafen, da sie wenige Stunden später nach Deutschland fliegen sollte, um an einem Seminar unserer hauseigenen Akademie teilzunehmen. Der Flughafen Beirut befindet sich im Süden der Stadt in der Hisbollah-Hochburg und ist daher stets der Gefahr ausgesetzt, im Falle einer Auseinandersetzung zwischen der Hisbollah und Israel angegriffen zu werden, wie das in der Vergangenheit bereits mehrfach geschehen ist. Unsere Kollegin berichtete von chaotischen Zuständen am Flughafen, da sämtliche Flüge gestrichen wurden, nachdem der libanesische Luftraum gesperrt worden war. Im Fernsehen konnten wir live beobachten, wie tausende Menschen die Tankstellen stürmten, um sich mit Kraftstoff und dem Nötigsten zu versorgen. Da der Libanon aufgrund der Hisbollah-Miliz ungewollt in den Konflikt involviert ist, hatten die Menschen zur Stunde des Angriffs die berechtigte Sorge, dass auch ihr Land im Falle eines ausgeweiteten Krieges zwischen dem Iran und Israel angegriffen würde – dies ist bislang ausgeblieben und der bewaffnete Konflikt begrenzt sich trotz einer Intensivierung seit dem 7. Oktober weiterhin auf den Süden des Landes. Doch der Angriff des Iran auf Israel hat allen Libanesen noch einmal klargemacht, wie schwach und angreifbar ihr Land ist. Am Ende ist es eine Miliz und nicht die Regierung selbst, die darüber entscheidet, ob der Libanon zum Kriegsschauplatz wird oder nicht.
Wie blickt man im Libanon auf die deutsche Reaktion auf den Angriff? Wie ist die Erwartungshaltung gegenüber Deutschland?
Demirci (Beirut): Ich behaupte, dass kein Libanese, die Hisbollah-Miliz eingeschlossen, sich einen Krieg mit Israel wünscht. Der Libanon war auch schon am 6. Oktober pleite und das politische System konnte keine Lösungen für die gravierenden sozioökonomischen Probleme des Landes anbieten. Seit Jahren wandern tausende gut ausgebildete Menschen ins Ausland ab, da sie keine Zukunft mehr in ihrem eigenen Land sehen. Ein Krieg, in dem der Libanon auf die eine oder andere Art involviert würde, wäre wohl das endgültige Aus für das kleine Land.
Das Problem ist jedoch die erodierende Staatlichkeit des Libanon – ein Prozess, der seit Jahrzehnten andauert und zum heutigen Libanon geführt hat: ein Land, das sich selbst nicht verteidigen kann, dessen Armee einer bewaffneten Miliz weit unterlegen ist und dessen Schicksal in den Händen von außerstaatlichen, ja sogar nicht-libanesischen Akteuren liegt. Geschäftsführender Regierungschef Mikati hat wenige Wochen nach dem 7. Oktober sogar das Offensichtliche ausgesprochen, indem er sagte, die Entscheidung, ob der Libanon in einen Krieg zieht, liege nicht in seinen Händen. Es ist eben diese Ohnmacht, die die Menschen zum Auswandern veranlasst.
Die Erwartungshaltung gegenüber Deutschland in diesem Konflikt ist eher gering – es sind eher Länder wie Frankreich, die USA oder Saudi-Arabien, die einen großen Einfluss auf den Libanon ausüben. Viele in der Zivilgesellschaft sind sich der historischen Last Deutschlands gegenüber Israel bewusst und haben entsprechend keine großen Erwartungen. Äußerungen von deutschen Spitzenämtern wie „wir stehen fest an der Seite Israels“ stärken dieses Gefühl noch.
Die Reaktion Berlins auf die Geschehnisse seit dem 7. Oktober wird zwar, ähnlich wie in der gesamten Region, als zu einseitig und empathielos gegenüber den Palästinensern empfunden. Doch in der libanesischen Bevölkerung – und hier liegt der große Unterschied zu anderen Ländern der arabischen Region - besteht keine einheitliche Meinung zum Konflikt in Gaza. Es bleibt bei verbalen Sympathiebekundungen für die Palästinenser, die aber weder laut geäußert werden noch weitere Aktionen, wie Straßenproteste, nach sich ziehen. Neben der stark fragmentierten Bevölkerung ist dies dem Umstand geschuldet, dass die Palästinenserfrage eine der Gründe für den Ausbruch des Bürgerkrieges (1975-1990) war – die Libanesen befürchten, dass eine Involvierung in einen Konflikt mit Israel erneut mit einem Desaster für das Land enden könnte.
Was sollte die deutsche Politik aus Ihrer Sicht berücksichtigen?
Demirci (Beirut): Der Libanon ist kein „normaler“ Staat – dies sollten sich alle Akteure bei ihren Bewertungen dieses Landes und der Geschehnisse dort bewusst machen. Die Hisbollah wird von vielen Ländern, darunter auch Deutschland, als eine Terrororganisation eingestuft. Doch die Hisbollah ist mehr als das – sie ist eine politische Partei, eine religiöse Autorität, ein soziales Netzwerk mit zahlreichen karitativen Einrichtungen, ein Medienunternehmen, ein Unternehmerverband. Ein Staat im Staat. Sie hat über die Jahre ihre militärisch-politisch-mediale Stärke massiv ausgebaut und ist mittlerweile der wichtigste Player im Land. Über die Hisbollah übt der Iran einen großen Einfluss auf den Libanon aus – die Miliz wurde seit den 1980er Jahren Schritt für Schritt vom Mullah-Regime aufgebaut und ausgeweitet. Heute ist die Hisbollah die wichtigste Waffe im Arsenal Teherans bei seinem Ziel, die sunnitisch-schiitische Konkurrenz in der Region für sich zu entscheiden. Der libanesische Staat hingegen ist angesichts dieser Situation ohnmächtig – sie verfügt über keinerlei Mittel oder Sanktionsmechanismen, der Hisbollah Einhalt zu gebieten. In diesem Zusammenhang sind auch die Formulierungen des geschäftsführenden Regierungschefs von Montag zu lesen – obwohl es Iran war, der am Samstag Israel angegriffen hat und obwohl der terroristische Angriff der Hamas auf israelische Zivilisten am 7. Oktober der Auslöser für den Konflikt war, hat PM Mikati gebetsmühlenartig Tel Aviv beschuldigt, die Region in einen großen Krieg zu zerren. Man muss sich der Größe und Stärke der Hisbollah im Libanon bewusst machen, um solche Äußerungen richtig einordnen zu können.