Reformen
Kampf der Ideologien
Was haben Gustav Stresemann, Ludwig Erhard, Leslek Balcarowicz und Javier Milei gemeinsam? Ganz einfach: Alle vier haben ihrem Volk zu ihrer Regierungszeit drastische Reformen zugemutet - im Kampf gegen offene oder verdeckte Inflation, für mehr Stabilität und Wachstum in der Zukunft.
Alle vier sind dabei gewaltige Risiken eingegangen, um eine radikale Wirtschaftswende zu mehr Marktwirtschaft zu erreichen. Reichskanzler Stresemann ersetzte im November 1923 die völlig wertlose alte Reichsmark durch die sogenannte Rentenmark, und die blieb wertstabil, weil u.a. durch Massenentlassungen im öffentlichen Dienst der Haushalt ausgeglichen wurde. Es folgte mit dem Dawes-Plan die Öffnung nach außen, der Zustrom amerikanischen Kapitals und die Rückkehr des Wachstums.
#EconomicDialogue mit Christine Lagarde: „Expect no wavering“
Die Hyperinflation von 1921 bis 1923 hat tiefe Narben im kollektiven Gedächtnis der Deutschen hinterlassen. Die Sorgen vor einer erneuten Inflationskrise sind heute so präsent wie vor 100 Jahren. Wie kann und muss man Inflation heute begegnen – auch und insbesondere um die Demokratie vor ähnlich schwerwiegenden Schäden, wie sie 1923 entstanden sind, zu schützen? Darüber diskutierten beim #EconomicDialogue Bundesfinanzminister Christian Lindner, EZB-Präsidentin Christine Lagarde, der Ökonom und Vorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung, Professor Karl-Heinz Paqué, sowie der Wirtschaftshistoriker Professor Albrecht Ritschl von der London School of Economics.
Der spätere westdeutsche Wirtschaftsminister Ludwig Erhard kombinierte im Juni 1948 die Währungsreform der Alliierten mit einer Liberalisierung der Preise - gegen den erbitterten Widerstand der Sozialdemokraten und ihrer Experten. Der Erfolg gab ihm Recht - selbstverständlich erst nach anfänglichen Härten und steigender Arbeitslosigkeit. Es kam aber schließlich doch ein "Wirtschaftswunder".
Der polnische Finanzminister Leslek Balcerowicz liberalisierte Anfang der neunziger Jahre die Preise - nach Jahrzehnten der Preiskontrollen im Kommunismus, mit drastischen Haushaltskürzungen und massiven Realeinkommensverlusten für die Menschen durch die nun offene Inflation. Es folgten Deregulierung und Privatisierung, und nach Jahren der Opfer setzte schließlich ein nachhaltiges Wachstum ein, das bis heute anhält. Seit einem Jahr ist nun Argentinien dran: Der umstrittene Präsident Javier Milei bekämpft - ähnlich wie seinerzeit Balcerowicz - die Hyperinflation durch drastische Ausgabenkürzungen, die es der Zentralbank ermöglichen, die Refinanzierung des Staates durch Gelddrucken zu beenden. Und er hat erste Erfolge damit, auch wenn der Weg zum wirtschaftlichen Wachstum noch lang und steinig ist.
Ein Jahr Wirtschaftspolitik von Javier Milei
Javier Milei trat im Dezember 2023 das Amt des argentinischen Präsidenten an und kämpft seitdem gegen Hyperinflation, hohe Armut und wirtschaftliche Missstände. Ein Jahr später: erste Erfolge, aber viele Herausforderungen.
Für Stresemann, Erhard und Balcerowicz gibt es Jahrzehnte nach ihren historischen Leistungen in Deutschland eigentlich nur Lob. Ganz anders bei Milei. Dies hat einen simplen Grund: Javier Milei ist ein bekennender libertärer Anarcho-Kapitalist mit starken rechtspopulistischen Neigungen, der mit Vox in Spanien, Bolsonaro in Brasilien und Trump in den USA sympathisiert. Schlussfolgerung: Was er tut, kann und darf nicht richtig sein, auch wenn es demokratisch legitimiert ist, und zwar, weil er es tut - und nicht jemand mit den Meriten des Middle-of-the-Road demokratischen Mainstreams. Geschähe all dies zum Beispiel unter sozialdemokratischer Flagge - wie in Argentinien unter Carlos Menem mit seinem Finanzminister Domingo Cavallo in den neunziger Jahren, dann würde das Maßnahmenpaket wahrscheinlich überhaupt nicht kritisiert. Damals jedenfalls blieb es in Deutschland zu Argentinien erstaunlich ruhig, obwohl die Maßnahmen nicht minder einschneidend waren (allerdings schließlich leider scheiterten).
Was sagt uns dies? Ganz einfach: In Deutschland kommt es offenbar mehr darauf an, wer in der Wirtschafts- und Finanzpolitik das Steuer der Reformen lenkt, und nicht auf das, was tatsächlich geschieht. Dies ist nicht nur heuchlerisch, sondern auch schädlich. Es verhindert eine sachliche Auseinandersetzung mit den Inhalten.
Wichtiger noch: Es verhindert, dass der "Mut zur Disruption" durch Reformen als Kraft für eine positive Veränderung zur angemessenen Kenntnis genommen wird. Als der FDP-Vorsitzende Christian Lindner jüngst Milei und Musk als Beispiele dieses Muts hervorhob - Milei in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, Musk bei technologischen Durchbrüchen und Innovationen -, wurde ihm prompt vorgehalten, er mache sich Rechtspopulisten zum Vorbild. Das ist natürlich diffamierender Unsinn: Lindner plädiert doch nur für "mehr Mut" in der deutschen Politik - und da hat er nun wirklich Recht, wenn man sich die allgemeine Verkrampfung des Diskurses über Reformen vor Augen führt.
Dass der Oppositionsführer der Union Friedrich Merz sich davon gleich deutlich distanzierte, zeigt eigentlich nur, wie wenig ernst es die Union offenbar mit "disruptiven Reformen" meint. Das ist ein schlechtes Omen, denn Merz hat sicherlich gute Chancen, der neue Kanzler in Deutschland nach den Neuwahlen zu werden. Will er wirklich so weitermachen wie bisher? Sieht er nicht den Bedarf an tiefgreifenden Reformen in Deutschland? Er sollte nochmals darüber nachdenken.
Impulse für eine liberale Wachstumsagenda
Christian Lindner im Dialog: Weniger Bürokratie, niedrigere Steuern, pragmatische Klima- und Energiepolitik – diskutieren Sie am 9.12. konkrete Impulse für eine liberale Wachstumsagenda.