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Wirtschaft
#EconomicDialogue mit Christine Lagarde: „Expect no wavering“

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© Bundesministerium der Finanzen / Photothek

Wenige wirtschaftspolitische Herausforderungen lösen größere Sorgen in der deutschen Bevölkerung aus als eine hohe Inflationsrate. Zurückzuführen ist dies auch auf die Schrecken der Hyperinflation von 1921 bis 1923. Im Oktober 1923 verdoppelten sich die Preise alle drei bis vier Tage. Bargeld als Reserve und Zahlungsmittel war faktisch wertlos. Der damit einhergehende Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Institutionen der Weimarer Republik führte zu einem immensen politischen Schaden für die junge deutsche Demokratie. Die Bilder von Kindern, die mit Milliarden-Markscheinen auf der Straße spielen, haben sich tief in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt. Abhilfe konnte erst die Währungsreform von 1923 verschaffen, während der die Mark mit einem Kurs von 1.000.000.000.000 : 1 auf die Rentenmark umgestellt wurde. Es war dem energischen Handeln des damaligen liberalen Reichskanzlers Gustav Stresemann und seines Finanzministers Hans Luther zu verdanken, dass die Währungsreform umgesetzt und so weiterer irreparabler Schaden von der Gesellschaft abgewendet werden konnte (mehr zu Stresemann und zur Währungsreform können Sie hier nachlesen).

Anlässlich dieses historischen Jubiläums lud das Bundesministerium der Finanzen zu einem Dialog zum Thema „Inflation kills democracy“ ein. Das Thema hätte 100 Jahre nach Hyperinflation und Währungsreform kaum aktueller sein können. Denn: Das Schreckgespenst Inflation ist zurück. Seit der Einführung des Euros waren die Inflationsraten nicht so beständig hoch, wie sie es seit dem Ende der Covid-Pandemie und dem Überfall Russlands auf die Ukraine sind.

Wie also kann und muss man Inflation heute begegnen – auch und insbesondere um die Demokratie vor ähnlich schwerwiegenden Schäden, wie sie 1923 entstanden sind, zu schützen? Darüber diskutierten beim #EconomicDialogue Bundesfinanzminister Christian Lindner, EZB-Präsidentin Christine Lagarde, der Ökonom und Vorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung, Professor Karl-Heinz Paqué, sowie der Wirtschaftshistoriker Professor Albrecht Ritschl von der London School of Economics.

Wirtschaftliche Fundament droht zu erodieren

In seinem Impuls-Vortrag warnte Finanzminister Lindner eindringlich vor den verheerenden Auswirkungen, die Inflation potenziell haben kann. Sie schränke nicht nur die Menschen ein, weil diese ihren Lebensstandard nicht halten können, sondern auch, weil die Allokationsfunktion des Marktes gestört wird. Nicht mehr Angebot und Nachfrage, sondern der Verfall des Geldwertes bestimmen so den Preis. Lindner warnte: „Damit droht das wirtschaftliche Fundament zu erodieren“.

Vor diesem Hintergrund würdigte Lindner eingehend die Verdienste Stresemanns, der mit Tatkraft und Optimismus in kürzester Zeit scheinbar unlösbare Probleme bewältigte. Nicht nur beendete er den Ruhrkampf und legte damit den Grundstein für die Stabilisierung der Währung – er konsolidierte auch den Staatshaushalt und ermöglichte somit die Rückkehr zur Preisstabilität und an die internationalen Kapitalmärkte.

Das Vermächtnis Stresemann besteht somit darin, im Jahr 1923 die liberale Demokratie gerettet zu haben. Das, so Lindner, sei „ein Jahrhundertvermächtnis“.

Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank

Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank.

© Bundesministerium der Finanzen / Photothek

Inflation trifft die Ärmsten am stärksten

Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank, knüpfte in ihrem Vortrag an Lindners Impuls an: Die deutsche Geschichte nach dem Ersten Weltkrieg zeige, dass Preisstabilität und Demokratie Hand in Hand gehen. Es gebe, so Lagarde, wenig Zweifel, dass heftige Schwankungen von Preisen das ökonomische Fundament der Demokratie untergraben. Denn: Inflation trifft die Ärmsten am stärksten, geben diese doch einen signifikanten Teil ihres verfügbaren Einkommens für Lebensmittel und Energie aus. Die unterbrochenen Lieferketten während der Covid-Pandemie und die stark gestiegenen Energiepreise als Folge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hatten starke Auswirkungen auf diese zentralen Güter. So verteidigte Lagarde die Entscheidung der Europäischen Zentralbank, die Zinsrate so drastisch wie nie zuvor seit der Einführung des Euros anzuheben, um die Inflationsrate zu senken. Mit Blick auf die Zukunft machte Lagarde deutlich: „Expect no wavering“ – die EZB wird bei ihrem Kurs bleiben, die Inflationsrate zurück auf das anvisierte Niveau von zwei Prozent zu senken.

Nach einem Vortrag des Gouverneurs der Zentralbank Sri Lankas über die Bekämpfung der Inflationsraten von bis zu 67 Prozent im September 2022 folgte der Wirtschaftshistoriker Professor Albrecht Ritschl mit einer historischen Einordnung der Gründe für die Hyperinflation von 1923.

So standen nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zwei unterschiedliche Denkrichtungen bezüglich des Umgangs mit dem Kriegsverlierer Deutschland gegenüber: Auf der einen Seite der idealistische US-Präsident Woodrow Wilson, der an die Reformierbarkeit eines demokratisch geläuterten Deutschlands glaubte, auf der anderen Seite das skeptische Frankreich, das auf hohe Reparationszahlungen bestand. In Deutschland wiederum war man nicht auf den Verlust der Großmachtstellung vorbereiten. Nationalistische Kräfte boykottierten das neue Steuersystem des damaligen Reichsministers der Finanzen, Matthias Erzberger. Unter keinen Umständen, so die vorherrschende Überzeugung der politischen Rechten, sollten durch Steuern die Reparationszahlungen finanziert werden.

Aus dieser Gemengelage heraus entwickelte sich seit 1918 eine stetig ansteigende Inflation, die 1922 schließlich entgleiste. Es waren politisch äußerst angespannte Zeiten, wie die Ermordung Erzbergers 1921 und Walther Rathenaus 1922 zeigte – für die Weimarer Republik stand viel auf dem Spiel.

Auf internationaler Ebene führte schließlich die neue Politik der Verständigung unter Stresemann und dem französischen Außenminister Aristide Briand zu Konzessionen auf beiden Seiten – ein Impuls, der bis heute nachwirkt, betonte Ritschl.

Hinzu kam: Obwohl Deutschland aufgrund seiner historisch hohen Staatsverschuldung kaum kreditwürdig war, wurde es zu einem Kapitalimporteur. Der Dawes-Plan, ermöglicht durch die Politik Stresemanns, sicherte Kredite privater amerikanischer Investoren ab, was zu einem starken Kapitalzufluss in die Weimarer Republik führte.

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© Bundesministerium der Finanzen / Photothek

An die historische Rolle der USA knüpfte auch der Vorstandsvorsitzende der Naumann-Stiftung, Karl-Heinz Paqué, in der anschließenden Diskussion an. Stresemann selbst war es, so erinnerte Paqué, der bereits 1912 die Dynamik der aufstrebenden USA erkannte und sich für die deutsch-amerikanischen Beziehungen einsetzte. Er verstand, dass sich die wirtschaftliche Situation Deutschlands nur nachhaltig verbessern könne, wenn man das ökonomische Potenzial der USA strategisch nutzte. Zwar hätten die Kapitalzuflüsse aus den USA zu einer starken Verschuldung zahlreicher Städte wie Berlin, Hamburg und Köln geführt, was sich insbesondere mit Blick auf die Weltwirtschaftskrise 1929 rächen sollte, doch seien diese Entscheidungen damals rational nachvollziehbar gewesen.

Abschließend hielt Paqué fest: Mit Blick auf die Geschichte nähmen die Deutschen es als viel zu selbstverständlich hin, dass weder das politische System im Zuge der Weltfinanzkrise 2009 noch die Währungsunion während der Eurokrise 2011 zusammengebrochen sind. Anders als zu Zeiten der Weimarer Republik haben Deutschland und Europa heute eine Finanzarchitektur, die sich – trotz aller berechtigter Kritik – bewährt hat.