EU-Asylpolitik
Das liberale Europa über den EU-Asyl-Kompromiss
Kaum ein Beobachter hatte diese Einigung nach jahrelangem Tauziehen um eine Asylreform noch für möglich gehalten: Anfang Juni stimmten die Innenministerinnen und -minister der EU-Mitgliedsstaaten, darunter Nancy Faeser (SPD), für eine deutliche Verschärfung der europäischen Asylpolitik.
Neu am Asyl-Kompromiss ist ein Expressverfahren in Einrichtungen an den Außengrenzen für Menschen aus als sicher geltenden Ländern mit geringer Anerkennungsquote. Außerdem wird die unmittelbare Rückführung abgelehnter Asylbewerberinnen und -bewerber in sichere Drittstaaten möglich sein. Die Ampel-Parteien begründeten ihre Zustimmung auch damit, dass eine Einigung gescheitert wäre, wenn Deutschland sich enthalten hätte. Insgesamt ließ sich in den Debatten beobachten, dass sich eine breite Mehrheit in Europa für mehr Kontrolle bei der Einwanderung ausgesprochen hat.
Damit spricht Brekelmans einen wichtigen Punkt an: Express-Rückführungen, die innerhalb von 12 Wochen vonstattengehen sollen, wird es nur geben, wenn mit Drittstaaten entsprechende Abkommen geschlossen würden. Tunesien hat sich nach einem Besuch von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dem niederländischen Premier Mark Rutte (VVD) und Italiens Premier Giorgia Meloni („Fratelli d’Italia“) bereits dagegen ausgesprochen. Ohne diese Abkommen aber würde es in absehbarer Zeit zu unhaltbaren Zuständen in den Lagern an den Außengrenzen der EU kommen und ein zentraler Baustein des Abkommens wäre hinfällig.
Damit spricht in 't Veld ebenfalls einen wichtigen Punkt an: Das Ergebnis der Innenministerinnen und -minister wird nun mit dem Europäischen Parlament verhandelt. Kritiker des Abkommens erhoffen sich hier eine Abschwächung des Kompromisses der Innenministerinnen und -minister. So sollen Ausnahmen für Familien mit minderjährigen Kindern von Verfahren an den Außengrenzen doch noch in den finalen Deal reinverhandelt werden, wofür sich Bundesinnenministerin Faeser schon in den Verhandlungen eingesetzt hat. Gegner befürchten allerdings, dass es dadurch zu falschen Anreizen kommen könnte, wie z.B. Minderjährige auf die gefährlichen Migrationsrouten überhaupt erst mitzunehmen.
Österreich
Auch Stefanie Krisper (NEOS), Nationalratabgeordnete in Wien, begrüßt die Einigung grundsätzlich, mahnt jedoch den Schutz der Menschenrechte an - und sieht das Europäische Parlament in der Pflicht. Sie macht darüber hinaus auf die gelegentliche Diskrepanz zwischen Rechtslage und Praxis aufmerksam, wie z.B. bei illegalen „Push-Backs“ an den Außengrenzen. Zu der Kritik aus Menschenrechtssicht gehören neben der Einhaltung von Mindeststandards in den Unterkünften an den Grenzen beispielsweise auch der begrenzte Zugang zu Rechtshilfe an den Außengrenzen sowie mangelnder Rechtsschutz beim Einlegen von Widerspruch gegen abgelehnte Asylbescheide.
Johannes Vogel, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, stellt damit einen wichtigen Zusammenhang in den Fokus. Denn wer Europa als Binnenraum versteht, vielleicht sogar einen europäischen Bundesstaat befürwortet und zentrale Errungenschaften der EU wie den Schengen-Raum nicht gefährden will, wird zu der Überzeugung kommen, dass die Außengrenzen dieses Raumes besser kontrolliert werden müssen. Andernfalls drohen Hardliner in vielen Mitgliedsstaaten damit, wieder Grenzkontrollen innerhalb der EU durchzuführen und so die Freizügigkeit der EU-Bürger schleichend zu beenden. Ohne eine bessere Kontrolle der Außengrenzen wäre ein Erstarken dieser Kräfte bei den kommenden Wahlen zu befürchten.