Mittelmeerdialog
Tourismus am Mittelmeer, Veränderungen notwendig
Der Tourismus kann nicht von dem lokalen, nationalen oder globalen Kontext getrennt werden. Ob Epidemien, Kriege oder Wirtschaftskrisen, alles, was in seinem Umfeld geschieht wirkt sich auf ihn aus und wie wir gesehen haben, hatte die Covid-19-Pandemie schwerwiegende Auswirkungen auf den Tourismussektor.
Die Branche hat in den letzten 70 Jahren ein spektakuläres Wachstum erlebt. Die Folgen von Missmanagement sollten uns nicht von den großen Chancen ablenken, die der Sektor bietet. Durch den Querschnittscharakter wirkt er sich auf 70 andere Wirtschaftszweige aus und zeigt sich für 10% des BIP und 10% der Beschäftigung verantwortlich.
Von den 7,2 Milliarden Menschen auf der Welt überquerten im Jahr 2019 1,5 Milliarden die Grenzen für Freizeitreisen. Die Umsätze stiegen auf 1,7 Billionen USD, was fast 5 Milliarden USD pro Tag entspricht.
Der Mittelmeerraum ist mit fast 400 Millionen Touristen das führende Tourismusgebiet der Welt mit 32% aller internationalen Ankünfte und 30% der weltweiten Einnahmen. Auf ihn entfallen 13% der Ausfuhren und 23% der Dienstleistungen und es werden mehr als 20 Millionen Menschen beschäftigt. Die Region verfügt über 20% der weltweiten Hotelkapazitäten, insgesamt gibt es 10.000 Reiseziele, etwa 100.000 Hotels und eine Million Restaurants. Trotz dieser Zahlen ist der Tourismus auf beiden Seiten des Mittelmeers nach wie vor heterogen und fragmentiert.
Der Tourismus ist ein Motor für das Wirtschaftswachstum sowie den Aufschwung im Mittelmeerraum. Die Fähigkeit andere Sektoren mitzuziehen, liegt durch die Multiplikatoreffekte auf der Hand.
Wenn er verantwortungsvoll betrieben wird, fördert der Tourismus ein integratives Wachstum, schafft Arbeitsplätze und KMU, zieht Investitionen an, stärkt, erhält und schützt die Umwelt, bewahrt und fördert die Kultur. Covid-19 hat auch sehr deutlich gemacht, dass die persönliche Gesundheit und das Wohlbefinden sehr wichtig sind. Es ist daher eine Gelegenheit, den Tourismus neu zu beleben und ein neues, nachhaltigeres Tourismusmodell nach der Pandemie zu implementieren.
Optimismus ist wichtig, aber Veränderungen sind notwendig. Die Pandemiekrise zwingt uns dazu, das Wirtschaftsmodell zu überdenken. Es ist notwendig neue Wege der Vermarktung und des Wachstums zu finden. Die Zusammenarbeit mit den Tourismusgebieten muss gepflegt und der Sozialtourismus überdacht werden.
Die naheliegendste Antwort ist, diese große Krise zu überwinden und den Wert des Tourismus im Mittelmeerraum zu steigern. Doch wie sieht die Strategie aus, und welche Instrumente werden die Wirtschaftsakteure und Communities einsetzen? Der Austausch von Praktiken und die Koordinierung zwischen den Ländern auf beiden Seiten des Mittelmeers sollten dabei im Vordergrund stehen.
Regierungen, der Privatsektor und die internationale Gemeinschaft müssen zusammenarbeiten, um Covid-19 und diese beispiellose soziale und wirtschaftliche Krise zu bewältigen. Die Fähigkeit Impulse zu setzen, wird jedoch von Land zu Land sehr unterschiedlich sein. Dabei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, wie z. B. die Infrastruktur, die Humanressourcen, die wirtschaftliche Kapazität und auch politische Faktoren. Es ist dringend nötig, die Auswirkungen der Krise zu mildern, die Erholung des Tourismus sicherzustellen und den Sektor in die Lage zu versetzen, eine führende Rolle bei der allgemeinen Erholung zu spielen.
Um den Aufschwung zu beschleunigen ist es notwendig, Konjunkturmaßnahmen zu fördern und finanzielle Anreize für Investitionen in den Tourismus zu schaffen wie z.B.: Unterstützung für die Erhaltung von Arbeitsplätzen, Rettung von KMU und Förderung von Neugründungen in diesem Sektor, Unterstützung der schwächsten Bevölkerungsgruppen, Überprüfung der Steuern und Abgaben, die den Verkehr und den Tourismus betreffen, Sicherstellung von Verbraucherschutz, Förderung von Veranstaltungen und Kongressen, Förderung neuer Arbeitsplätze und Bildung, insbesondere auf digitaler Ebene, Einbeziehung des Tourismus in nationale und regionale wirtschaftliche Notfallmechanismen, um das Vertrauen wiederherzustellen und die Nachfrage zu stimulieren, Schaffung von Mechanismen und Strategien für das Krisenmanagement. Insgesamt sollte dem Tourismus in Wiederaufbauprogrammen und in der Entwicklungshilfe Vorrang eingeräumt werden.
Allein die Aussicht auf den Klimawandel stellt eine ernsthafte Bedrohung für Entwicklung und Nachhaltigkeit dar und es entstehen Herausforderungen für die Zukunft, insbesondere in Bezug auf nachhaltiges Tourismusmanagement. Das Angebot im Mittelmeerraum muss verbessert werden, sowohl im Hinblick auf seine kulturelle Vielfalt als auch auf seine historische Bedeutung, mit besonderem Augenmerk auf die große vorhandene biologische Vielfalt.
Der Tourismussektor hat bewiesen, dass er in der Lage ist, sich an Marktveränderungen anzupassen und trotz anhaltender wirtschaftlicher und geopolitischer Herausforderungen Wachstum zu erzielen. Jetzt ist es an der Zeit, die Situation der Tourismusbranche neu zu bewerten und zu analysieren, da sich der Wettbewerb und die Kunden verändert haben. Es ist an der Zeit zusammenzuarbeiten und die Kräfte zu bündeln um in einer globalen Welt wettbewerbsfähig zu sein. Es muss auf eine nachhaltige Entwicklung gesetzt werden, die uns ermöglicht den Wachstumspfad weiter zu beschreiten.
Es bedarf einer regionalen Tourismusagentur, einer Institution, die auf öffentlich-privater Zusammenarbeit basiert und Kräfte bündelt um innovative Lösungen zu erzielen.
Die Schaffung einer einheitlichen Marke für den gesamten Mittelmeerraum ist der Schlüssel zur Förderung gemeinsamer Werbe- und Marketingtools, um auf dem globalen Markt wettbewerbsfähig zu sein, den Anteil des Mittelmeerraums am Tourismusmarkt zu erhöhen, Einkommen zu generieren, Arbeitsplätze zu schaffen und die soziale Kluft zu verringern.
Es muss jedoch sichergestellt werden, dass die Erholung und Ausweitung des Tourismus der gesamten Bevölkerung zugutekommt und im Einklang mit den SDG (Sustainable Development Goals), den Herausforderungen dieser Pandemie und dem Klimawandel steht, was für die langfristige Nachhaltigkeit von grundlegender Bedeutung ist.
Anwar Zibaoui. Gründer von AZMEDA Advisers & Consulting Group, Internationale Strategische Unternehmensberatung in Europa, dem Nahen Osten, Afrika, der Golfregion und dem Mittelmeerraum. Generalkoordinator der ASCAME, der wichtigsten und repräsentativsten Organisation des Privatsektors im Mittelmeerraum, 23 Länder, 350 Industrie- und Handelskammern und ähnliche. Koordinator der Mediterranean Week von Führungskräften der Wirtschaft.