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EU-Beitrittsperspektive Georgien
Stirbt Micheil Saakaschwili im Gefängnis, rückt die EU-Perspektive in weite Ferne

Tbilisi, Georgia

Kundgebung zur Unterstützung der Mitgliedschaft Georgiens in der Europäischen Union am 03. Juli 2022 in Tiflis

© picture alliance / EPA | ZURAB KURTSIKIDZE

Fast zwei Monate lang verhandelten die Anwälte des Ex-Präsidenten ergebnislos vor Gericht über die Aussetzung seiner Strafe. Einig war man sich am Ende zumindest in einem: Läuft es weiter wie bisher, kann es tödlich für Micheil Saakaschwili enden. Über den Rest herrscht Uneinigkeit: die Diagnose, der Auslöser und folglich auch die Behandlung. Er soll selber schuld an seinem Gesundheitszustand sein, werfen ihm Klinikleitung und Regierungsvertreter vor. Schließlich habe er zu Beginn seiner Inhaftierung vor über einem Jahr mit einem 50-tägigen Hungerstreik bewusst seine Gesundheit aufs Spiel gesetzt, um politische Ziele zu erreichen.  

Wie Glaubwürdig ist Saakaschwili?

Saakaschwilis Glaubwürdigkeit ist leicht infrage zu stellen, schließlich wusste er schon immer, seine politische Mission als Medienspektakel zu inszenieren. Allerdings kamen namhafte georgische und ausländische Ärzte nach Untersuchungen zu dem Schluss, dass er Symptome einer ganzen Reihe von Krankheiten hat. US-Ärzte berichteten sogar von Schwermetallen, Arsen und Quecksilber im Blut, die Folgen einer möglichen Vergiftung sein könnten.

Die Ombudsfrau Georgiens sagte bereits vor sechs Wochen, dass der Gesundheitszustand des Inhaftierten die Kriterien für einen Strafaufschub erfülle. Die von ihr zusammengerufenen Ärzte bestätigten, dass Micheil Saakaschwili aktuell nicht ausreichend versorgt wird, da sich sein Gesundheitszustand über Monate verschlechterte. Für einen derart seltenen Fall sei das schlechte georgische Gesundheitssystem nicht angemessen ausgestattet. Seitdem haben sich zahlreiche bekannte Diplomaten und ausländische Politiker dafür ausgesprochen, ihn ins Ausland zu verlegen. In einer Dringlichkeitsdebatte forderte auch das Europäische Parlament unabhängige, medizinische Expertise und wiederholte das Hilfsangebot der EU.

Es geht um viel für Georgien, denn ganz oben auf der Liste der zwölf Punkte, die das Land für die offizielle Erlangung des EU-Kandidatenstatus‘ zu erfüllen hat, steht die Verpflichtung, wirksam gegen die politische Polarisierung vorzugehen. Gemeint sind die gegenseitigen Zerwürfnisse und Rachefeldzüge georgischer Politiker. Jetzt hätte die Regierung die Chance, ein großzügiges Zeichen der Versöhnung zu setzen.

Fragwürdige Gerichtsverfahren

Doch das Gerichtsverfahren zur Aussetzung der Strafe zog sich wochenlang in die Länge. Dabei drängt die Zeit, weil es dem Gefangenen zusehends schlechter geht. Mittlerweile hat er fast 40 Prozent seines Körpergewichtes verloren. Saakashwili sitzt wegen Amtsmissbrauchs und Anstiftung zur Körperverletzung eines politischen Gegners für 6 Jahre in Haft. Der Richter, der jetzt das Verfahren zum Strafaufschub entschied, hat Saakaschwili schon zuvor in einem fragwürdigen Prozess wegen Amtsmissbrauch verurteilt. Ihm traut man kein faires Verfahren zu.

Es bedarf deshalb wohl mehr als des Rechtswegs, den schwerkranke Patienten in Georgien normalerweise einschlagen können. Selbst eine Begnadigung der Präsidentin würde nicht reichen, weil der Staatsanwalt Saakaschwili jederzeit wieder in Haft nehmen könnte, da noch weitere Gerichtsverfahren laufen. Wahrscheinlich kann nur ein einziger Mensch den Weg für eine Verlegung des Ex-Präsidenten ins Ausland freimachen: Bidsina Iwanischwili. Der mächtige Oligarch im Hintergrund der Regierung müsste dafür ein Zeichen an die Präsidentin und den Staatsanwalt zugleich geben.

Die Gefahr der Demokratie ohne Rechtsstaatlichkeit

Georgien hat Saakaschwili viel zu verdanken. Im Präsidentenamt war er ein beispielloser Korruptionsbekämpfer, der Georgien an die Spitze der Reformstaaten im post-sowjetischen Raum brachte. Als erster Präsident in der Geschichte des Landes sorgte er nach seiner Abwahl für eine friedliche Machtübergabe an seinen Opponenten, Bidsina Iwanischwili. Rechtsreformen wurden allerdings auch unter Saakaschwili verschleppt. Anstatt dessen nutzte sein Regierungsapparat die Justiz für politische Zwecke. Die Justiz blieb Werkzeug der Mächtigen. Nun ist er selbst zu ihrem Opfer geworden. 

Auch die Justizreform findet sich unter den zwölf Kriterien für den EU-Kandidatenstatus, neben der Depolarisierung. Micheil Saakaschwilis Fall wirft auf die Regierung in beiden Punkten ein schlechtes Licht. Sein Tod in Haft könnte auch der EU-Kandidatur Georgiens den Garaus bereiten.