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Tiananmen-Massaker
4. Juni in Hongkong: Sicherheitsproblem statt Gedenktag

Eine Kerze steht am Freitag, den 4. Juni 2021, in der Nähe des Victoria-Parks in Hongkong. Dort versammelten sich in den vergangenen Jahren immer wieder Menschen zu einer Mahnwache.

Eine Kerze steht am Freitag, den 4. Juni 2021, in der Nähe des Victoria-Parks in Hongkong. Dort versammelten sich in den vergangenen Jahren immer wieder Menschen zu einer Mahnwache.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Vincent Yu

Zunzi ist einer der bekanntesten und am längsten tätigen politischen Karikaturisten Hongkongs. Oder besser gesagt: Er war es. Ende Mai 2023 veröffentlichte er sein letztes Werk. 40 Jahren lang hatte er mit spitzer Feder politische Karikaturen in der Hongkonger Zeitung MingPao Daily gezeichnet. Seine Arbeiten decken den größten Teil der modernen Geschichte Hongkongs ab. Er machte sich über Politiker und Beamte lustig. Er kommentierte mit seinen Zeichnungen die britische Kolonialzeit, die Rückgabe Hongkongs an China, die Anfänge Hongkongs als Teil der Volksrepublik hin zu den Repressionen unter dem Nationalen Sicherheitsgesetz.

Zunzis Schöpfungen wurden in den vergangenen Jahren von Hongkonger Beamten heftig kritisiert. Der Secretary of Security, eine Art Sicherheitsminister, bezeichnete seine Arbeit als "höchst irreführend". Er beschuldigte den Künstler, "den Ruf der Regierung von Hongkong absichtlich in den Schmutz gezogen zu haben". Nach mehreren Warnungen und Kritikrunden von offizieller Seite verstand die Zeitung MingPao die Botschaft und willigte schließlich ein, keine Werke von Zunzi mehr zu veröffentlichen. Sein politisch-satirisches Wirken war eine Institution und zudem Symbol für die einst freie und offene Gesellschaft Hongkongs.

Wäre es Zunzi erlaubt geblieben, seine politische Karikatur weiter zu veröffentlichen, hätte er seine Kunst in diesem Jahr sicherlich genutzt, um die Art und Weise zu kritisieren, in der die Behörden mittlerweile die jährliche Gedenkfeier zum 4. Juni unterbinden. Die Behörden wollen sicherzustellen, dass niemand das Tiananmen-Massaker, das am 4. Juni 1989 in Peking stattfand, auch nur erwähnt - weder auf den Straßen Hongkongs noch in den sozialen Medien.

Am 4. Juni geht es in Hongkong nur noch um Sicherheit

Die Verabschiedung des sogenannten Nationalen Sicherheitsgesetzes ist nun schon fast drei Jahre her. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Behörden genug haben und dass es an der Zeit wäre, die Stadt zumindest teilweise wieder zu dem zu machen, was sie einmal war: frei, kosmopolitisch, weltoffen. Stattdessen sind die Beamten nach dem Aufbau des Sicherheitsapparats, der von der öffentlichen Hand Hongkongs finanziert wird, nun ständig auf der Suche nach neuen Aufgaben. Sie müssen ihre Existenz rechtfertigen. Denn protestiert wird auf den Straßen Hongkongs schon lange nicht mehr. Also sieht der Apparat nun nicht mehr auf der Straße, sondern überall Gefahren für die nationale Sicherheit. Die Statue 'Säule der Schande', die an das Tiananmen-Massaker vom 4. Juni erinnert, wurde 2021 von der Universität Hongkong entfernt. Seitdem steht die zwei Tonnen schwere Kupferstatue in einem Containerhof, verborgen von den Augen der Öffentlichkeit. Man könnte meinen, damit sei der Fall abgeschlossen. Doch Anfang Mai dieses Jahres erwirkte die Nationale Sicherheitspolizei einen Durchsuchungsbefehl, um die Statue im Rahmen von Ermittlungen wegen Anstiftung zum Aufruhr zu beschlagnahmen. Wie eine verborgene Statue eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen soll, bleibt ein Rätsel.

4. Juni in Hongkong: zwischen 1990 und 2020 strömten jedes Jahr Hunderttausende Hongkongerinnen und Hongkonger friedlich in den Victoria Park, um mit einer Kerzenwache der Ereignisse des 4. Juni zu gedenken. In Peking kamen 1989 Tausende von Menschen im Gewehrfeuer oder durch die Panzer der Volksbefreiungsarmee ums Leben. Früher war Hongkong der einzige Ort in China, an dem die Behörden ein offenes und friedliches Gedenken an den 4. Juni erlaubten. Die Hongkonger Polizei beobachtete still am Rande, um Ruhe und Ordnung sicherzustellen. Sie griff nie ein. Die demokratischen Parteien und die Zivilgesellschaft Hongkongs errichteten Straßenstände außerhalb des Victoria Parks, um mit den Bürgern in Kontakt zu treten, Souvenirs zu verkaufen oder Spenden zu sammeln. Bei keiner Kundgebung kam es jemals zu Gewalt. Kerzen erleuchteten den Victoria Park und symbolisierten die Hoffnung und das Streben nach einem neuen, demokratischen China. All dies gehört nun der Vergangenheit an. Heute sehen die Hongkonger Behörden dem 4. Juni mit Sorge entgegen. Sie organisieren pro-chinesische Gruppen, die den Victoria Park besetzten und sicherzustellen, dass keine Gedenkfeier stattfindet. Alle sensiblen Orte werden an dem Tag von der Polizei abgesperrt. Hunderttausende mit Kerzen im Victoria Park? Nicht im neuen Hongkong.

4. Juni 2019, Hongkong, China: Anlässlich des 30. Jahrestages des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking 1989 findet im Hongkonger Victoria Park eine Mahnwache bei Kerzenlicht statt.

4. Juni 2019, Hongkong, China: Anlässlich des 30. Jahrestages des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking 1989 findet im Hongkonger Victoria Park eine Mahnwache bei Kerzenlicht statt.

© picture alliance / ZUMAPRESS.com | Jayne Russell

Pro-China-Gruppen im Victoria Park, Aktivisten im Gefängnis

Die Gedenkfeier für den 4. Juni war in der Vergangenheit von der "Hongkonger Allianz zur Unterstützung der Patriotischen Demokratischen Bewegung" organisiert worden. Ihre Anführer, Albert Ho und Chow Hang-tung, sind derzeit inhaftiert wegen Verbrechen gegen die nationale Sicherheit. Eine Freilassung auf Kaution wurde ihnen verweigert. Chow, eine prominente pro-demokratische Aktivistin und Anwältin, ist die diesjährige Preisträgerin des Gwanju-Preises für Menschenrechte. Es ist der renommierteste Menschenrechtspreis Südkoreas. Eine Sprecherin der in Seoul ansässigen Stiftung sagte, sie habe Besuch von drei chinesischen Konsularbeamten erhalten, die die Stiftung dazu bewegen wollten, Chow den Preis abzuerkennen. Die Stiftung lehnte ab. Die Tatsache, dass chinesische Konsularbeamte in Südkorea et wagten, diesen Schritt zu tun, zeigt den internationalen Charakter der Unterdrückung durch die KPCh. Sie wollen nicht nur, dass sich die Menschen in China ihrem Willen beugen. Sie erwarten auch, dass andere, demokratische Länder ihnen folgen.

Chow und Andere warten nun in Hongkong auf ihre Prozesse. 47 prodemokratische Politikerinnen und Politiker sowie Oppositionsführerinnen und Oppositionsführer stehen wegen Subversion vor Gericht. Ihre Prozesse ziehen sich hin, und folgen nur noch dem Namen nach den eigentlich in Hongkong geltenden rechtstaatlichen Prozessen.

Tiananmen-Gedenken passt nicht zur "Großen Verjüngung"

Die Hongkonger Behörden folgen der Linie, die Staatspräsident Xi in seiner Rede auf dem 20. Parteitag der KPCh vergangenen Oktober in Peking vorgegeben hat. Xi betonte wiederholt die Notwendigkeit, die nationale Sicherheit in den Bereichen Finanzen, Cybersicherheit, Energie und Wirtschaft zu schützen. Dass das ganze Land von nationaler Sicherheit besessen ist, ist Zeichen einer autoritären Gesellschaft. Auch Hongkong befindet sich nun fest im Orbit des chinesischen Staates. Ein Gedenken an den 4. Juni in Hongkong ist für die KPCh inakzeptabel

Xi wendet sich nun zunehmend aggressiv Taiwan zu, wo von den Taiwanerinnen und Taiwanern erwartet wird, dass sie „Ein Land, zwei Systeme" als Formel für eine Vereinigung mit der Volksrepublik akzeptieren. Mit Blick auf Hongkong erwarte ich, dass das taiwanische Volk dieses Angebot bei den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr erneut offen ablehnen wird.

Dennis Kwok ist ehemaliges Mitglied des Legislativrats von Hongkong (2012 bis 2020) und heute Distinguished Scholar an der School of Foreign Service der Georgetown Universität, Partner bei Elliott, Kwok, Levine & Jaroslaw LLP in New York sowie Geschäftsführender Direktor des China Strategic Risks Institute.

 

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