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Türkei
Anlässlich des 8.März: Frauenrechte in der Türkei

Demonstranten anlässlich des Internationalen Frauentag

Demonstranten anlässlich des Internationalen Frauentag am 8. März 2022 in Istanbul

© picture alliance / ZUMAPRESS.com | Ibrahim Oner

Die Frauenbewegung in der Türkei trug ihre Anliegen erstmals nach dem Militärputsch von 1980 auf die Straße. Seither hat sie sich zu einer Bewegung entwickelt, die im Stande ist, für ihre Vielfalt einzutreten und ihre Rechte zu verteidigen. Auch wenn es in den letzten Jahren in der Türkei genau wie überall auf der Welt Reibungspunkte und Meinungsverschiedenheiten zwischen Trans- und Frauenbewegung gibt, haben die feministischen Demonstrationen am 8. März für alle eine besondere Bedeutung.

Bekanntlich hat die Türkei am 20. März 2021 ihren Austritt aus der Istanbul-Konvention erklärt. Die Istanbul-Konvention ist das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Das Übereinkommen wurde während des Europarat-Vorsitzes der Türkei 2011 erarbeitet und von den Mitgliedstaaten unterzeichnet und trat zuerst in der Türkei in Kraft. Die Tatsache, dass das Übereinkommen einst vom türkischen Parlament verabschiedet wurde, der Austritt jedoch per Dekret des Staatspräsidenten erfolgte, hat bei Juristen für heftige Diskussionen gesorgt;  auch die Frauenbewegung hat das präsidale Votum nicht anerkannt. Dennoch wurde der Austritt trotz Social-Media-Kampagnen und beim obersten Gerichtshof eingereichten Klagen von Menschenrechtsvertretern, Anwaltskammern und Oppositionsparteien am 1. Juli 2021 wirksam.

Die Diskussionen über den Austritt aus der Istanbul-Konvention, die der breiten Öffentlichkeit bis dahin eher wenig bekannt war, haben aber auch zur Bewusstseinsbildung über den Inhalt und die Bedeutung dieses Übereinkommens in der Gesellschaft beigetragen. In der Folge stieg auch die Bekanntheit des Gesetzes Nr. 6284 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Das Gesetz wurde 2012 mit grosser Unterstützung der Zivilgesellschaft verabschiedet, um gesetzlich neu zu definieren, welche Maßnahmen bei Gewalt gegen Frauen anzuwenden sind. Frauenrechtsverteidiger und -verteidgerinnen haben stets betont, wie wichtig es ist, geltendes Recht richtig umzusetzen. Sie erwarten von Polizei, Staatanwälten und Richtern, sich von persönlichen Auslegungen zu distanzieren und die geltenden Gesetze in vollem Umfang umzusetzen.

Was sind die Gründe dafür, dass die türkische Frauenbewegung so tief verwurzelt und widerstandsfähig ist? Nicht vielen ist bekannt, dass die erste türkische Frauenzeitung noch zu Zeiten des osmanischen Reichs 1895 gegründet wurde. 1923 entstand der türkische Frauenbund, der sich aktiv für Frauenrechte einsetzte, in der Folge aber nicht in eine politische Partei umgewandelt werden konnte. Bereits bei den Regionalwahlen 1930 bzw. bei den Parlamentswahlen 1934 erhielten türkische Frauen aktives und passives Wahlrecht. Die Beziehungen türkischer Frauen zur internationalen Frauenbewegung gehen auf die Teilnahme am Internationalen Frauenkongress in Marseille im Jahr 1935 zurück. Die auf diesem historischen Fundament entstandene feministische Bewegung ist mit der Zeit immer vielfältiger geworden. Spätestens nach der Jahrtausendwende und besonders im Zuge des EU-Beitrittprozesses und der Modernisierung der Gesetzgebung hat die türkische Frauenbewegung zu voller Kraft gefunden. 

Allerdings werden heute weder das Zivilrecht noch das Strafrecht so umgesetzt, wie es sich die Frauenbewegung mit großem Aufwand erkämpft hatte. Besonders seit den Wahlen im Jahr 2007 hat sich bezüglich der Frauenrechte ein Diskurs etabliert, der sich weniger an internationalen liberalen Normen orientiert, als vielmehr an einem Begriff der Geschlechtergleichheit, der in Wahrheit auf konservativem Gedankengut basiert, eine naturgegebene Ungleichheit der Geschlechter suggeriert und die bestehenden, hart erkämpften Frauenrechte aushöhlt. Da ein ähnlicher Diskurs im Einklang mit der katholischen Kirche auch in der internationalen Öffentlichkeit immer mehr Verbreitung findet, bewegen sich Frauenrechtlerinnen und -rechtler auf immer dünnerem Eis.

Die Istanbul-Konvention wurde nicht nur in der Türkei suspendiert, sondern wird auch in Ländern wie Polen, Slowenien und Ungarn in Frage gestellt. Bewegungen, die gegen Geschlechtergleichheit eintreten, sind auf dem Vormarsch. Dies ist nicht nur für türkische Frauen, sondern für alle liberal gesinnten Menschen auf der Welt ein ernstzunehmendes Problem.