KRIEG IN EUROPA
„Man versucht, es nicht in sich aufzunehmen, sondern zu helfen“
Anastasia Didenko, Freiwillige und Oberjuristin der Strafrechtspraxis der LCF Law Group, arbeitet seit Beginn des Krieges in der Vereinigung von Juristinnen „JurFem“. Jetzt engagiert sie sich in der Beratung von Menschen, die Opfer sexueller Gewalt durch das russische Militär wurden. Im Projekt „Die Unbeugsamen“ erzählte sie, was Ukrainer und Ukrainerinnen, die Opfer sexueller Gewalt durch Russen wurden, in einer solchen Situation tun sollten, warum Gewalt im Krieg so verbreitet ist und wie man mit Opfern arbeitet.
Kriegsbeginn: Freiwilligenarbeit und Mitarbeit bei „JurFem“
Ich bin Oberjuristin der Strafrechtspraxis und befasse mich mit white collar crime (das sind Straftaten, bei denen der „Täter“ als Vertreter des Staates, der Wirtschaft, von Funktionären, Beamten usw. auftritt). Ich wiederum habe mich vor dem Krieg nie mit einer solchen Kategorie von Verbrechen wie den Verbrechen gegen die sexuelle Freiheit und Unverletzlichkeit beschäftigt.
Seit Beginn des Krieges war ich in Kiew und in der Region. Ich beschäftigte mich mit der Freiwilligenarbeit und der juristischen Freiwilligenarbeit. Ich sammelte Gelder und organisierte den Kauf von Schutzausrüstung für das Militär, die Lieferung von Babynahrung aus dem Ausland und bearbeitete auch die Anfragen von Menschen, die mir in sozialen Netzwerken über zerstörte Wohnungen, Ausreisen, Wiederherstellung von Dokumenten usw. schrieben. Auch die Ukrainische Anwaltskammer hat eine Hotline für Bürger mit ähnlichen Fragen, bei der ich ebenfalls Anfragen bearbeitete. Meistens beantwortete ich Fragen zu Steuerthemen, Migration, Familie, Kriminalität usw. Im ersten Kriegsmonat schlief ich kaum – normalerweise ging ich morgens ins Bett und schlief bis zum Mittagessen, weil ich dachte, dass dies die sicherste Zeit zum Schlafen sei.
Als Informationen über sexuelle Gewalt durch das russische Militär massiv im Internet veröffentlicht wurden, sah ich, wie für die Initiative „JurFem:Support“ geworben wurde, die sich an Opfer des Krieges richtet, vor allem an Opfer verschiedener Formen sexueller Gewalt. Ich habe die Bewerbung abgeschickt, die Auswahl bestanden und mein Studium begonnen. Der Hauptunterricht fand bei einem Psychologen statt, da dies eine ziemlich spezifische Kategorie von Fällen ist. Im friedlichen Leben versucht man, Emotionen eines jeden Mandanten und seines Falles in sich nicht aufzunehmen, und in dieser Kategorie von Fällen ist das noch wichtiger. Der Psychologe gab praktische Ratschläge, wie man mit dem Opfer kommunizieren kann und wie der Algorithmus dieser Kommunikation sein sollte. Wenn man zum Beispiel mit einem Opfer kommuniziert, darf man nicht mitfiebern und seine Erlebnisse bewerten. Die Kommunikation sollte emotional zurückhaltend sein, denn die Hauptaufgabe eines Anwalts besteht nicht darin, mitzuerleben und psychologisch zu unterstützen, sondern in rechtlicher Hinsicht zu helfen.
Ich habe auch Vorträge gehalten, mich mit Informationsinhalten der Viber-Community „Tell us.YurFem:Support“ beschäftigt, Gespräche mit Opfern geführt, aber sie haben noch keine Anzeigen erstattet, weil sie dazu aus moralischer Sicht nicht bereit sind. Wir besprechen die Anzahl der erstatteten Anzeigen nicht unter Kollegen – alles geschieht im Vertraulichkeitsmodus. Derzeit veranstaltet „JurFem“ die erste Akademie für Menschenrechtsverteidigerinnen in der Ukraine. Die Akademie soll Anwältinnen aus der Ukraine vereinen, die dann in der Lage sein werden, Opfern sexueller Gewalt, einschließlich kriegsbedingter Gewalt, qualitativ hochwertige, geschlechtersensible Hilfe zu leisten.
Ich habe viel Erfahrung in der Begleitung von Strafverfahren und Familienstreitigkeiten und weiß daher, dass Mitleid nicht hilft. Um qualitativ hochwertige Hilfe zu leisten, muss man emotional stabil sein, denn wenn ich alle Situationen „durchlebe“, kann ich nicht rechtlich helfen, und meine Hauptaufgabe als Anwältin besteht darin, qualitativ hochwertige Rechtshilfe zu leisten und die betroffene Person mit rechtlichen Mitteln zu schützen.
Sexuelle Gewalt als Mittel des Drucks und der Einschüchterung während des Krieges
Mit Beginn des Krieges wird sexuelle Gewalt immer häufiger. Und dafür gibt es bestimmte Gründe. Erstens nutzt das Militär sexuelle Gewalt als Strategie, um militärische Ziele zu erreichen. Sexuelle Gewalt kann Massencharakter annehmen und gegen viele Personen verübt werden, dann ist das strategische Ziel ein Großangriff auf die Zivilbevölkerung oder die Begehung von Völkermord.
Zweitens kann sexuelle Gewalt eingesetzt werden, um die Gemeinschaft zu schwächen und die Kontrolle über sie zu erlangen. Sie wird eingesetzt, um eine bestimmte Gruppe von Menschen zu bestrafen oder zu vernichten oder um Menschen zu zwingen, das Gebiet zu verlassen.
Ein weiteres Motiv ist der Versuch, Personen durch ihre bestimmte Stellung, ihren Status oder ihre Rolle in der Gemeinschaft zu beeinflussen. Beispielsweise verübt man sexuelle Gewalt gegen Dorfvorsteher oder ihre Familienangehörigen, um Informationen über den Aufenthalt von Veteranen der Antiterroristischen Operation innerhalb dieser Siedlung, Menschen mit militärischer Erfahrung usw. zu erhalten.
Bataillonskommandeure nutzen das Mittel der sexuellen Gewalt auch, um Soldaten untereinander zu vereinen ‒ etwa als Belohnung für eine erfolgreich abgeschlossene Aufgabe. Ziemlich häufig wird sexuelle Gewalt als Foltermethode eingesetzt. So ist sie beispielsweise unter Soldaten weit verbreitet, die sie in Gefängnissen gegen Gefangene und in den besetzten Gebieten gegen Männer im wehrpflichtigen Alter einsetzen.
Ein weiteres Motiv ist, dass sexuelle Gewalt im Rahmen von rituellen Praktiken ausgeübt werden kann. So ist zum Beispiel unter Soldaten der Glaube weit verbreitet, dass der gemeinsame Geschlechtsverkehr mit Jungfrauen oder Kindern sie heilt und ihnen Unbesiegbarkeit verleiht.
Russische Soldaten begehen sehr oft öffentlich sexuelle Gewalt: Vor den Augen einer Mutter vergewaltigen sie zum Beispiel ihre Kinder oder lassen das Opfer frei, damit es anderen erzählt, was ihm passiert ist. Auf diese Weise erregen die Militärs Schäuder und Panik in der Bevölkerung.
Ich kann die genaue Zahl der Menschen, die unter dieser Gewalt gelitten haben, nicht nennen, weil viele Opfer sich nicht an die Strafverfolgungsbehörden wenden. Im Vergleich zu Frauen melden Männer seltener sexuelle Gewalt gegen sie. Immerhin gibt es in der Gesellschaft derzeit bestimmte Mythen über sexuelle Gewalt gegen Männer, zum Beispiel, dass sie sich wehren könnten, sie stärker seien, psychisch weniger leiden usw. Daher wendet sich nur ein kleiner Prozentsatz der Männer an die Polizei, was aber nicht bedeutet, dass es weniger Opfer gibt als unter den Frauen.
Wir können die folgenden Hauptmerkmale sexueller Gewalt während des Krieges feststellen:
- hat Massencharakter, das heißt, viele Menschen sind davon betroffen;
- hat einen öffentlichen Charakter, wenn die Gewalt vor der Familie oder anderen Personen verübt wird, um psychischen Druck auszuüben und den psychischen Zusammenbruch einer Person zu bewirken;
- Gewalt wird mit besonderer Grausamkeit verübt, da die Opfer häufig Genitalverletzungen davontragen oder an den Folgen der Gewalt sterben.
Sexuelle Gewalt im Völkerrecht
Im Fall Akayesu definierte der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda sexuelle Gewalt als „jede Handlung sexueller Natur, die gegen eine Person unter Umständen begangen wird, die Zwangscharakter haben“.
Der in dem Fall spezifizierte Begriff „Handlung sexueller Natur“ ist ziemlich weit gefasst, und seine Bestandteile können unterschiedlich sein, nämlich von Kommentaren mit sexuellen Konnotationen, die an eine andere Person gerichtet sind, bis hin zu körperlichen Handlungen.
Der Begriff „Zwangscharakter“ ist in einem weiten Sinne zu verstehen und umfasst nicht nur die Verübung körperlicher Gewalt, sondern auch Drohungen, Einschüchterung, Erpressung und andere Formen des Zwangs.
Daher entschied das Gericht weiter, dass „sexuelle Gewalt nicht auf das physische Eindringen in den menschlichen Körper beschränkt ist und Handlungen umfassen kann, die keine Penetration oder sogar körperlichen Kontakt beinhalten“.
Das heißt, sexuelle Gewalt ist nicht nur Vergewaltigung, sondern auch andere Handlungen sexueller Natur.
Sexuelle Gewalt im internationalen Recht umfasst Handlungen wie Vergewaltigung, Androhung jeglicher Form von Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Schwangerschaft, Entblößung, Zwangsprostitution, Genitalverstümmelung, sexuelle Folter, einschließlich Elektroschocks an den Genitalien oder Quetschen der Brustwarzen oder erzwungenes Anschauen sexueller Missbrauch eines Partners oder Kindes und andere Formen.
Was die Definition von Vergewaltigung betrifft, so war der Fall Akayesu die erste Entscheidung, die sich mit der Definition von Vergewaltigung im internationalen Recht befasste. Die Richter stellten fest, dass Vergewaltigung eine Form der Aggression ist und die Hauptelemente des Vergewaltigungsverbrechens nicht in einer mechanischen Beschreibung von Gegenständen und Körperelementen zu finden sind. In diesem Fall wurde der Begriff der Vergewaltigung als „körperliches Eindringen sexueller Art, das unter Zwangsbedingungen gegen eine Person ausgeübt wird“ formuliert.
Die Richter hoben den Zwangscharakter der Umstände hervor, nicht ihre körperliche Ausprägung, und stellten sogar fest, dass „sexuelle Gewalt nicht auf das physische Eindringen in den menschlichen Körper beschränkt ist und Handlungen umfassen kann, die nicht mit Penetration oder sogar physischem Kontakt zusammenhängen“.
Im Fall Furundžija formulierte das Gericht die objektiven Elemente der Vergewaltigung: sexuelle Penetration; die Genitalien des Vergewaltigers oder ein anderer Gegenstand werden vom Täter vaginal, oral oder anal benutzt; durch Nötigung oder Androhung von Gewalt gegen das Opfer.
Die Richter im Fall Kunarac machten deutlich, dass sie die „sexuelle Autonomie“ der Betroffenen/des Betroffenen als den „wahren“ Zweck von Gesetzen gegen Vergewaltigung verstehen. Daher konzentrierten sie sich in erster Linie auf einen sexuellen Akt mit sexueller Penetration, dem die Betroffene/der Betroffene nicht zugestimmt hatte oder in eine Position der „Unfähigkeit zum Widerstand“ versetzt wurde.
Die Normen des humanitären Völkerrechts beinhalten ein klares Verbot von Vergewaltigung und anderen Formen sexueller Gewalt zu jeder Zeit, auch während eines Konflikts.
Artikel 8 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs sieht vor, dass „Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Zwangsprostitution, Zwangsschwangerschaft, Zwangssterilisation oder jede andere Form sexueller Gewalt, die auch einen schweren Verstoß gegen die Genfer Konventionen“ oder „einen schweren Verstoß gegen den gemeinsamen Artikel 3“ darstellt, Kriegsverbrechen sind.
Darüber hinaus ergibt sich auch aus der Rechtsprechung internationaler Strafgerichtshöfe, dass Vergewaltigung der Folter gleichgestellt ist. So setzt der Internationale Strafgerichtshof im Fall Akayesu Vergewaltigung mit Folter gleich und definiert sie als eine Form der Folter.
Unterschied zwischen sexueller Gewalt und Vergewaltigung in der nationalen Gesetzgebung
Artikel 152 des Strafgesetzbuches der Ukraine definiert, dass Vergewaltigung die Begehung sexueller Handlungen im Zusammenhang mit vaginaler, analer oder oraler Penetration in den Körper einer anderen Person unter Verwendung der Genitalien oder eines anderen Gegenstands ohne die freiwillige Zustimmung des Opfers ist.
Die wichtigsten Anzeichen für Vergewaltigung:
- Begehen von Handlungen sexueller Natur.
- Eindringen in den Körper einer anderen Person.
- Die Penetration erfolgt mit den Genitalien oder einem anderen Gegenstand.
- Fehlen der Zustimmung der betroffenen Person.
Artikel 153 des Strafgesetzbuches der Ukraine wiederum definiert sexuelle Gewalt als die Begehung jeglicher Gewalttaten sexueller Natur, die nicht mit dem Eindringen in den Körper einer anderen Person zusammenhängen, ohne die freiwillige Zustimmung der betroffenen Person.
Die wichtigsten Anzeichen für sexuelle Gewalt:
- Begehen von Gewalttaten sexueller Natur.
- Handlungen, die nicht mit dem Eindringen in den Körper einer Person zusammenhängen;
- Fehlen der freiwilligen Zustimmung zur Begehung solcher Handlungen.
Was sind die Unterschiede zwischen Vergewaltigung und sexueller Gewalt?
— Anwesenheit eines gewaltsamen Eindringens
Sexuelle Gewalt sind gewalttätige Handlungen sexueller Natur, die im Gegensatz zu Vergewaltigung nicht das Eindringen in den Körper einer anderen Person beinhalten. Wenn zum Beispiel eine Person gewaltsam entkleidet wird, dann ist das sexuelle Gewalt. Und wenn darauf ein Geschlechtsakt folgte, handelt es sich um Vergewaltigung, weil es zum Eindringen in den Körper der Person kam.
— Anwendung von physischer Gewalt
Bei sexueller Gewalt ist Kraft oder physische Gewalt nicht obligatorisch. So können beispielsweise Überredung oder Unwissenheit über das Geschehen (z. B. in Bezug auf Kinder) genutzt werden. Vergewaltigung wiederum ist oft mit physischer Gewalt verbunden.
— Bewusstsein der Betroffenen/des Betroffenen über das, was passiert
Das Opfer einer Vergewaltigung ist sich fast immer bewusst, was geschieht, und versteht, dass es angegriffen wird. Im Fall von sexueller Gewalt wiederum versteht die betroffene Person nicht immer, dass illegale Handlungen gegen sie verübt werden.
Was ist freiwillige Zustimmung und erzwungene Zustimmung im Zusammenhang mit Vergewaltigung und sexueller Gewalt?
In der ukrainischen Gesetzgebung gibt es auch eine Definition dessen, was eine freiwillige Zustimmung ist – sie ist das Ergebnis des freien Willens einer Person unter Berücksichtigung der Begleitumstände. Das heißt, es sollte keine Drohungen, Gewalt, keinen psychologischen Druck usw. geben. Eine Person muss das Alter der sexuellen Zustimmung erreicht haben, d. h. wenn sie 12-14 Jahre alt ist und dem Sex zustimmt, bedeutet dies nicht, dass eine freiwillige Zustimmung vorliegt. Denn nach den allgemeinen Regeln hat diese Person das Alter der sexuellen Zustimmung noch nicht erreicht. Außerdem muss die Person einwilligungsfähig und sich der Folgen ihres Handelns bewusst sein.
Das Strafgesetzbuch schreibt nicht vor, wie die Begleitumstände sein müssen, so dass sie in jedem Fall gesondert festgelegt werden. Zum Beispiel hat eine Person dem Sex freiwillig zugestimmt, aber diese Person ist nur eingeschränkt einwilligungsfähig und nicht in der Lage, bewusste Entscheidungen zu treffen. In diesem Fall wird die Einwilligung unter Berücksichtigung der Begleitumstände nicht als freiwillig angesehen.
Es gibt ein Video, in dem am Beispiel einer Einladung zum Teetrinken sehr anschaulich erklärt wird, was eine freiwillige Zustimmung ist. Wenn eine Person beispielsweise zustimmt, am Sonntag mit Ihnen Tee zu trinken, bedeutet das nicht, dass sie auch am Samstag oder Freitag mit Ihnen Tee trinken muss. Oder wenn sich eine Person weigert, Tee zu trinken, während Sie ihn einschenken, müssen Sie sie nicht zwingen, Tee zu trinken.
Das Strafgesetzbuch der Ukraine wiederum enthält nicht den Begriff der „erzwungenen Zustimmung“, wenn eine Person Angst hat, den sexuellen Kontakt abzulehnen, wenn sie sich der Umstände bewusst ist. Im Kontext eines bewaffneten Konflikts liegt meiner Meinung nach immer eine „erzwungene Zustimmung“ vor. Schließlich ist der bewaffnete Konflikt selbst ein Umstand, der eine freiwillige Zustimmung nicht zulässt, selbst wenn sie mündlich zum Ausdruck gebracht wurde.
Außerdem gibt es in unserer Gesetzgebung einen solchen Begriff wie Zwang zum Geschlechtsverkehr. Es handelt sich um Artikel 154 des Strafgesetzbuches der Ukraine. Heutzutage gibt es in der Ukraine jedoch eine solche Praxis, dass Zwang zum Geschlechtsverkehr nur in Fällen angewendet wird, in denen die betroffene Person finanziell oder dienstlich vom Täter abhängig war. Dieser Artikel wird nur selten auf sexuelle Gewalt im Krieg angewendet.
Was sind die häufigsten Formen sexueller Gewalt, die von russischen Soldaten gegen Männer verübt werden?
Am häufigsten begeht das Militär Vergewaltigung, Genitalverstümmelung und Zwangssterilisation. Dies wird insbesondere in Filtrationslagern und während des Aufenthalts von Personen in Gefangenschaft angewendet.
Was kann man tun, wenn man von russischen Soldaten sexuell misshandelt wurde?
Zunächst muss sich diese Person um ihre Sicherheit kümmern. Als nächstes ist es notwendig, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen, wobei die individuellen Bedürfnisse und Möglichkeiten der Situation berücksichtigt werden müssen. Vor der Untersuchung nicht duschen, baden, Zähne putzen usw. Dann muss man sich um seine psychologische Gesundheit kümmern. Wenn es die Möglichkeit gibt, muss man einen Spezialisten online/offline kontaktieren. Jetzt gibt es ziemlich viele, darunter auch kostenlose Psychologen, die Opfern sexueller Gewalt helfen. Bewahren Sie die vom Opfer getragene Kleidung auf, da sie Spuren der Tat enthalten kann, sammeln Sie Spuren biologischen Ursprungs (Partikel der Haut des Angreifers unter den Nägeln des Opfers usw.). Notieren Sie bekannte Informationen über die Person/Personen, die die Tat verübt hat/haben, da Sie diese Informationen nach einer Weile vergessen können. Alle Informationen sind wichtig, also notieren Sie Namen, Nachnamen, worüber sie gesprochen haben, wie sie sich angesprochen haben usw.
Es ist auch erforderlich, bei den Strafverfolgungsbehörden eine Anzeige über die Begehung einer Straftat zu erstatten. Die Anzeige kann bei jeder Polizeidienststelle oder Staatsanwaltschaft erstattet werden. Es gibt auch keine Anknüpfung an den Standort der Strafverfolgungsbehörden. Die betroffene Person kann die Polizei oder andere Strafverfolgungsbehörden über Chatbots oder per E-Mail kontaktieren oder sich an Nichtregierungsorganisationen wenden, z. B. an die NRO „JurFem“. Neben der Rechtshilfe bieten diese Organisationen auch psychologische Hilfe an. In den meisten Organisationen steht psychologische Hilfe an erster Stelle, und wenn eine Person wirklich bereit ist, eine Anzeige zu erstatten, arbeiten Anwälte weiter daran und helfen, eine Strafanzeige bei den Strafverfolgungsbehörden zu erstatten.
Das heißt, es ist notwendig zu tun:
- Die Tatsache sexueller Gewalt gegen die betroffene Person zu dokumentieren.
- Verletzungen zu dokumentieren (Fotos, Zeichnungen, Videos usw.).
- Proben von biologischem Material zu sammeln (wenn möglich).
- Strafverfolgungsbehörden zu informieren.
Es gibt bestimmte Besonderheiten, wenn sich die betroffene Person im besetzten Gebiet oder in einem Gebiet befindet, in dem Kampfhandlungen aktiv geführt werden. In Kampfgebieten und besetzten Gebieten ist der Zugang zu medizinischen Einrichtungen und Strafverfolgungsbehörden eingeschränkt oder nicht vorhanden. In diesem Fall kann man sich nach Möglichkeit selbst um die Sicherung der Beweise für sexuelle Gewalt kümmern.
Als Erstes müssen die Spuren der Gewalt am Körper fotografiert werden: fehlende Haare, Prellungen an Armen und Hals usw. Man kann es auf Video aufnehmen. Wenn die betroffene Person moralisch dazu bereit ist, ist es auch möglich, Spuren von Gewalt an den Genitalien zu filmen. Hier geht es um den psychologischen Zustand der betroffenen Person, d. h. sie sollte filmen, was sie bereit ist zu zeigen und was sie bereit ist zu tun. Wenn es nicht möglich ist, diese Spuren zu filmen oder zu fotografieren, sollten sie beschrieben werden, und zwei Personen (wenn möglich) sollten bezeugen, dass die betroffene Person tatsächlich solche Verletzungen hat. Außerdem sollten, wenn möglich, biologische Proben entnommen werden. Normalerweise können sie an den Geschlechtsorganen und unter den Fingernägeln sein. Man muss einen scharfen Gegenstand nehmen und Hautstücke unter den Nägeln herausziehen, sie in einen Papier- oder Polyethylenbeutel packen und die Luft aus dem Beutel herauslassen, damit das Material nicht verdirbt. Der Beutel wird verschlossen und, wenn möglich, mit einem Papierstreifen beklebt. Es ist auch ratsam, dies in Anwesenheit von zwei Zeugen zu tun, die auf einem separaten Blatt Papier schreiben, was sich in diesem Beutel befindet, beispielsweise eine biologische Probe, die unter dem Fingernagel von Person „A“ entnommen wurde. Bei der Entnahme von Proben aus den Geschlechtsorganen ist es notwendig, ein Mulltuch zu befeuchten, in das Geschlechtsorgan einzuführen und dann in einer Papiertüte zu verschließen. Es ist auch ratsam, Informationen über die Personen zu notieren, die dieses Blatt unterzeichnet haben, denn wenn dort nur Nachname und Vorname stehen, wird es schwierig sein, sie zu finden. Denn aufgrund der Situation im Lande ziehen viele Menschen um, ändern ihre Telefonnummern usw. Daher ist es wichtig, einige Kontaktinformationen zu dieser Person zu notieren, damit es später möglich wäre, diese Person zu kontaktieren.
Man kann Informationen an den Internationalen Strafgerichtshof senden über:
- das Büro des Anklägers des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag (man kann in jeder Sprache schreiben);
- das Büro des Generalstaatsanwalts der Ukraine: warcrimes.gov.ua. – eine Website für die zentralisierte Sammlung von Informationen über Kriegsverbrechen, wo man Fotos und Videomaterial hochladen kann, das später zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit in der Ukraine und in internationalen Gremien verwendet wird;
--Telegramm-Bots: der Sicherheitsdienst der Ukraine: @stop_russian_war_bot; Cyber-Polizei der Ukraine: @ukraine_avanger_bot.
Denken Sie daran, dass nur der Täter die Schuld an dem Geschehenen trägt. Die Schuldigen müssen vor Gericht gestellt werden. Wenden Sie sich mit einer Meldung und um Hilfe an NRO, Strafverfolgungsbehörden usw.
Warum es wichtig ist, die Strafverfolgungsbehörden zu kontaktieren
Es ist wichtig, sich an die Strafverfolgungsbehörden zu wenden, denn je mehr Meldungen vorliegen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Personen, die diese Verbrechen begangen haben, identifiziert und vor Gericht gestellt werden können. Ziemlich oft hat dieselbe Person wiederholt Verbrechen gegen die sexuelle Freiheit und Unverletzlichkeit begangen. Eine Betroffene kann den Namen des Soldaten herausfinden, die andere – den Nachnamen, wodurch die Strafverfolgungsbehörden den Täter identifizieren können und die Schuldigen vor Gericht gestellt werden.
Weltweite Erfahrung der Herstellung von Gerechtigkeit in ähnlichen Fällen
Konfliktbedingte sexuelle Gewalt hat keine Verjährung. Daher können sich die Betroffenen auch nach einiger Zeit an die Strafverfolgungsbehörden wenden. Beispiele von Militärtribunalen, in denen Vergewaltiger verurteilt wurden, zeigen, dass sie viele Jahre nach der Begehung der Verbrechen stattfanden.
So hat der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien bis Ende 2016 32 Personen wegen sexueller Gewalt angeklagt. Trotz der Tatsache, dass die militärischen Konflikte Ende der 1990er Jahre endeten. Die Fälle umfassten Fälle von sexueller Gewalt gegen Frauen und Männer.
Wir haben eine Konvention über die Anwendung von Verjährungsfristen auf Kriegsverbrechen, so dass eine Person, die nicht bereit ist, eine Vergewaltigung jetzt bei der Polizei anzuzeigen, dies später tun kann. Zum Beispiel haben Verbrechen gegen die sexuelle Freiheit und Unverletzlichkeit, die nicht im Zusammenhang mit Krieg stehen, eine Verjährungsfrist, nach deren Ablauf der Täter nicht strafrechtlich verfolgt werden kann, aber während des Krieges gibt es keine solche Verjährungsfrist.
Wenn beispielsweise eine Person eine Anzeige erstattet, nachdem drei Jahre vergangen sind, seit die Vergewaltigung an ihr begangen wurde, ist es klar, dass sie normalerweise nicht in der Lage sein wird, Beweise dafür zu sammeln und vorzulegen. Beweise werden nicht verlangt, sie muss nur angeben, unter welchen Umständen es passiert ist, und die Strafverfolgungsbehörden sollten den Fall untersuchen. Natürlich ist es besser, wenn eine Person dokumentarische Beweise, biologische Proben zur Verfügung stellt, weil dies hilft, die Täter schneller zu finden.
Wie wird sexuelle Gewalt während des Krieges nach der ukrainischen Gesetzgebung eingestuft und welche Verantwortung ist vorgesehen?
Wir haben Artikel 152 des Strafgesetzbuches der Ukraine (Vergewaltigung) und Artikel 153 des Strafgesetzbuches der Ukraine (sexuelle Gewalt), aber jetzt registrieren die Strafverfolgungsbehörden Strafverfahren nach Artikel 438 des Strafgesetzbuches der Ukraine (Verstoß gegen Regeln und Sitte des Krieges). Ziemlich häufig registrieren die Strafverfolgungsbehörden Verfahren sowohl nach Artikel 438 als auch nach Artikel 152 oder 153 des Strafgesetzbuches der Ukraine. Dies behindert die Ermittlungen in keiner Weise. Dem Täter drohen 10 bis 15 Jahre Gefängnis, und wenn der Mensch diese Verbrechen wiederholt begeht, dann drohen ihm 15 Jahre bis lebenslange Haft.
„Das Leben kehrt zur Normalität zurück“: über die Wiederherstellung von Ressourcen und Plänen
Jetzt lassen sich Arbeit, Mitarbeit in Projekten und Ressourcenrückgewinnung recht gut verbinden. Seit dem zweiten Kriegsmonat treibe ich wieder Sport, und es hilft mir, Aggressionen abzubauen und zu einem ruhigen emotionalen Zustand zurückzukehren. Auch solche seltenen, aber herzlichen Begegnungen mit Verwandten und Menschen, die mir nahe stehen, helfen derzeit, die Ressource wiederherzustellen.
So habe ich zum Beispiel am Wochenende die Tochter einer Freundin getauft – sie wurde am 22. Februar in Charkiw geboren und war zu Kriegsbeginn mit der Mutter im Krankenhaus. Sie mussten in die Westukraine gehen, und vor kurzem haben wir sie getauft. In solchen Momenten wird es moralisch leichter. Und diese Gespräche bis zum Morgen drehen sich leider mehr um den Krieg... Eine weitere Möglichkeit für mich, meinen emotionalen Zustand wiederherzustellen, ist das Kochen. Während des Kochens bin ich von der Realität abgelenkt und genieße den Prozess des Kochens, dann des Dekorierens und Servierens und schließlich des gemeinsamen Verkostens.
Während des Krieges gab es einen Moment, in dem ich den Eindruck hatte, dass sich meine Werte völlig verändert hatten, aber jetzt kehrt das Leben ein wenig in seine Bahnen zurück, und auch die Werte kehren zurück. Allerdings haben sich die Prioritäten dieser Werte stark verändert. Der wohl größte Wert, der sich während des Krieges herausgebildet hat, ist, dass man sich mehr um seine Lieben und Verwandten kümmert, und materielle Dinge rücken in den Hintergrund.
Was die Pläne betrifft, so möchte ich nicht über globale Pläne sprechen, solange sie nicht umgesetzt werden, aber es gibt eine ganze Menge von Plänen in allen Lebensbereichen. Gerade jetzt ist es leider unmöglich, sich ihrer Umsetzung sicher zu sein. Denn normalerweise hing alles nur von dir selbst ab, und jetzt hängt alles von den Begleitumständen ab, die sich jeden Tag und jede Stunde ändern können. Daher werde ich nur allgemeine Pläne mitteilen: mich beruflich weiterzuentwickeln, zu arbeiten, als Freiwillige tätig zu sein und, wenn möglich, an bereits begonnenen Projekten weiterzuarbeiten.
Dieser Artikel wurde im Rahmen des speziellen Autorenprojektes "Die Unbeugsamen" in Kooperation mit WoMo veröffentlicht - gefördert durch das Auswärtige Amt.
Militärjournalistin Iryna Sampan: „Während vier Monaten adrenalingeladener Freiwilligenarbeit wurde mir klar, dass mir nur der Journalismus helfen kann, wieder zu Kräften zu kommen.“
Iryna Sampan ist eine Militärjournalistin, die bei Kriegsbeginn beschloss, sich freiwillig zu melden und Autos für das Militär zu transportieren, weil sie glaubte, dass dies für die Ukraine im Moment notwendiger ist. Nach vier Monaten kehrte sie jedoch zum Journalismus zurück und bringt jetzt Geschichten über das Militär von der Frontlinie. Im Sonderprojekt „Die Unbeugsamen“ erzählt Iryna warum sie sich für den Journalismus entschied.
Oberleutnant Julia Mykytenko: „Jetzt weigert man sich nicht mehr, unter meinem Kommando zu stehen, nur weil ich eine Frau bin“
Julia Mykytenko trat 2016 zusammen mit ihrem Ehemann in den Dienst der ukrainischen Streitkräfte ein. Von einer „Frauen“-Arbeit im Stab gelang es ihr, auf die Nationale Petro-Sahajdatschnyj-Akademie des Heeres zu gehen und als Kampfoffizierin an die Front zurückzukehren. Nach dem Tod ihres Mannes im Februar 2018 arbeitete sie am Kiewer Militärlyzeum. Im Sonderprojekt „Die Unbeugsamen“ spricht Mykytenko darüber, wie sich die ukrainische Armee veränderte und wie wichtig es ist, an seinem eigenen Platz zu sein.
„Der Krieg ist ein weiterer Fall, der gewonnen werden muss“
Inga Kordynowska ist Inhaberin einer Anwaltskanzlei, die trotz der drohenden Besetzung von Odessa zu Beginn des Krieges in der Stadt blieb und das humanitäre Freiwilligenzentrum von Odessa sowie zwei weitere Projekte zur Unterstützung von Vertriebenen, insbesondere Müttern gründete. Im Sonderprojekt „Die Unbeugsamen“ erzählt sie, wie ihr die Rechtspraxis während des Krieges half und warum humanitäre Hilfe nicht ihr Hauptziel ist, um Kriegsopfern zu helfen.