Krieg in Europa
Ola Rondiak: „Heute gewinnt die Ukraine ihre Identität zurück“
Ola Rondiak, eine amerikanische Künstlerin ukrainischer Herkunft, ist im Exil geboren und aufgewachsen, beschloss aber in die unabhängige Ukraine zurückzukehren. Ola und ihre Familie lebten nach dem Zweiten Weltkrieg im Ausland und bewahrten ihre ukrainische Identität. Die Künstlerin sieht, wie die Ukrainer heute diese Identität empfinden und wieder für sie kämpfen. Genau das gibt sie in ihren Werken wieder. Wie Ola den Ausbruch des Krieges überlebte, wo sie ihre Kräfte für den Kampf und für ihre Kunst zur Unterstützung der Armee schöpft, erzählte sie der WoMo in einem Interview.
Viktoria Pokatis: Wie ist es Ihrer Familie gelungen, während der vielen Jahre der Emigration ihre Identität zu bewahren?
Ola Rondiak: Meine Eltern mussten nach dem Zweiten Weltkrieg emigrieren, meine Mutter und mein Großvater landeten mit Flüchtlingen in Österreich, meine Großmutter wurde von der Sowjetunion in ein Arbeitslager nach Mordwinien deportiert. Das ist unsere tragische Geschichte. Für meine Eltern war es wichtig, die ukrainische Kultur und Geschichte an uns weiterzugeben, sie hatten Angst, dass die Ukraine ihre Kultur verlieren würde, weil die Sowjetunion eine Russifizierung durchführte. Unglaublich, wie sich die Geschichte wiederholen kann. Als Kind habe ich immer gesagt, dass ich Ukrainerin bin, ich war stolz darauf. Ich ging jeden Samstag zur ukrainischen Schule, es war mein Leben, meine Inspiration, meine Identität. Als die Ukraine unabhängig wurde, habe ich gerade geheiratet, und mein Mann und ich beschlossen, in die Ukraine zu ziehen, um unsere Wurzeln zu verstehen. Ich kannte die Ukraine so, wie sie meine Mutter im Alter von 11 Jahren verließ. Aber als ich nach Kiew kam, haben mich nur wenige Leute verstanden, weil in der Hauptstadt alle Russisch sprachen. Es war wie ein Messerstich ins Herz. Warum versteht mich niemand? Was ist hier los? Die Realität hat mich überrascht. Natürlich haben 60 Jahre unter der Sowjetunion ihre Drecksarbeit geleistet – die Ukraine hat sich nicht so entwickelt, wie sie es hätte tun sollen.
Später gab es die Orange Revolution, dann die Revolution der Würde. Es war die Wahl der Ukrainer, ihres unerschütterlichen Geistes.
Was hat Ihre Eltern dazu gezwungen, die Ukraine zu verlassen?
Sie lebten in der Westukraine. Mein Großvater war ukrainischer Philologe, Professor und glaubte sehr an die Ukraine, er wollte nicht, dass sich die Ukraine der Sowjetunion unterwirft, er verstand, dass ukrainische Schulen und Kirchen zerstört würden. Er wollte, dass Ukrainisch die Unterrichtssprache in der Schule wäre, deswegen wurde er verhaftet.
Die Mutter erzählte, als ihr Vater zurückkam, habe sie ihn nicht erkannt, da seien nur Haut und Knochen gewesen, er sei gefoltert worden. Ihnen war klar, dass er das nicht noch einmal überleben würde, und so beschlossen er und die Großmutter, dass er für eine Weile in den Westen gehen würde. Sie dachten, die Deutschen würden den Krieg gewinnen und sie würden in den Westen zurückkehren, aber die Front bewegte sich nach Westen und sie konnten nicht zurückkehren. Die Großmutter blieb in Kolomyja, weil ihre 19-jährige Schwester Ola (ich wurde nach ihr benannt) nicht laufen konnte. Leider starb sie später in den Armen der Großmutter. Als meine Mutter und mein Großvater auf der Flucht in Österreich waren, wurde meine Großmutter nach Mordwinien deportiert, weil sie Ukrainern half. Dies war gegen die Regeln der Sowjetunion.
Sie wurde zu 25 Jahren Lager in Mordwinien verurteilt, aber nach 10 Jahren (1956, als Chruschtschow an die Macht kam) wurde sie wie viele andere Deportierte freigelassen. Im Lager begann die Großmutter, Ikonen zu sticken. Als sie freigelassen wurde, nahm sie diese Stickereien mit, indem sie sie auf ihre Kleidung nähte. So überquerten sie den Ozean, als die Großmutter sie einem Priester übergab, der sie nach Amerika brachte. Er landete in Chicago, und 1980 veröffentlichte eine Zeitung einen Artikel über meine Großmutter und ihre Stickerei. Man fand durch die Diaspora meine Familie in Ohio und schickte an sie diese Stickereien in einem Umschlag.
Nach der Revolution der Würde habe ich eine Collage mit Artikeln aus einer Zeitschrift gemacht, das auch symbolisch ist. Da die Großmutter die Ikonen nicht fertiggestellt hat, muss man dies heute tun, denn die Ukraine erkennt sich wieder als frei.
Die Großmutter und der Großvater sahen sich nie wieder, aber sie standen im Briewechsel miteinander. Ich mache Kopien dieser Briefe und füge sie in eine Collage ein. Leider hat meine Mutter meine Großmutter nicht mehr gesehen, seit sie 11 Jahre alt war. Meine Mutter ist jetzt 89.
Welche Traditionen hatte Ihre Familie, um die ukrainische Identität zu bewahren?
Die Diaspora baute schnell ukrainische Schulen auf und organisierte oft Feste nach allen Traditionen. Am Iwan-Kupala-Tag zum Beispiel flocht man Kränze und sprang man über das Feuer. Der am meisten respektierte Feiertag zu Hause ist Weihnachten. Obligatorisch sind die 12 Gerichte an Heiligabend. Vor dem Krieg wohnte meine Schwester in Kiew. Ich fragte sie, wie man Borschtsch macht, sie lachte, weil sie sagte, sie hätte es noch nicht gelernt, und ich dachte, dass jede Ukrainerin Borschtsch kochen kann.
Sehr viele Ukrainer befinden sich heute in der erzwungenen Emigration. Was hat Ihrer Mutter und Ihrem Großvater geholfen, die Emigration zu überleben?
Ich hörte von meiner Mutter, dass es ihr gut ging, weil sie mit ihrem Vater zusammen war, obwohl er 55 Jahre alt war und kein Englisch konnte, es war schwer für ihn. Als sie in die USA kamen, war meine Mutter 16 Jahre alt. Dies ist die Zeit der Selbstverwirklichung als junge Frau, aber ohne die Mutter in der Nähe, ohne ihr Vorbild. Sie war aber froh, dass sie diese Reise begonnen hatten. Sie hielt es für ein Abenteuer, wie es die meisten Kinder tun. Kinder sind stark und können sich schnell an neue Umstände anpassen, aber es fällt mir immer sehr schwer, an Frauen mit kleinen Kindern zu denken. Ukrainer haben einen sehr starken Geist. Dies ist nicht das erste Mal, dass sie einen Völkermord erleben. Diesen Glauben und diese Kraft müssen wir bewahren. In den USA versuche ich, an jeder Wohltätigkeitsveranstaltung teilzunehmen, damit das Geld der Hilfe zugute kommt.
Was war Ihr erstes Bild nach Kriegsbeginn?
Ich habe eine neue Serie mit dem Titel „Frauen des Krieges“ begonnen. Ich wusste wirklich nicht, was ich tun sollte, aber mir wurde klar, dass Weinen nicht hilft, also musste ich Kraft finden und herausfinden, wie man Menschen in Kriegszeiten helfen kann. Ich habe Kohlenstift genommen, obwohl ich nie damit gearbeitet habe, und eine Freundin gebeten, Modell zu stehen. Ich hatte gerade eine Reihe von Gemälden begonnen und eine Galerie in Miami verkaufte sie bereits. Ich hatte nicht einmal Zeit, alle Gemälde zu benennen, und es sind mehr als 50. Später begann man online zu versteigern, und vor kurzem wurde eines der Gemälde für 20.000 Dollar versteigert. Das gesamte Geld kommt der Ukraine zugute.
Und das sind alles ukrainische Frauen. Einmal habe ich in einem sozialen Netzwerk von einer Frau gelesen. Es war Nastja, sie hat mich wirklich beeindruckt. Ich habe diese Geschichte mit Hunden noch nicht einmal gelesen, aber ich habe nur in ihr Gesicht geschaut, inspiriert von ihren Emotionen. Ich habe sofort ein Bild gemacht.
Wie nehmen Sie ukrainische Frauen jetzt wahr, was hat sich an ihnen verändert?
Ich habe von meiner Großmutter gelernt, dass ukrainische Frauen entschlossen, unverwüstlich und stark sind. Dies sind genau die Porträts ukrainischer Frauen, die ich seit 2013 erstelle.
2013 begann ich, mich als Künstlerin zu verwirklichen. Die Kinder wurden eingeschult, und ich beschloss, mein Hobby zum Beruf zu machen. Ich parkte das Auto vor der Garage, richtete mir eine Werkstatt in der Garage ein und begann jeden Tag zu arbeiten. Ich habe entschieden, dass dies mein Schicksal ist, mein Job.
Was war für jede Ihrer Serien grundlegend?
Ich denke, das ist etwas, worüber Kritiker sprechen sollten. Ich reagiere einfach auf alles, was in meinem Leben ist. Dies ist mein Prozess, mich selbst, meine Geschichte, meine Familie, die Tragödie der Ukraine und das, was ich erlebt habe, als wir in die Ukraine gezogen sind, zu verstehen. Es geht um Identität, sie ist in meinen Bildern zu sehen. Als die Kinder klein waren, sind wir oft zwischen der Ukraine und den USA gereist. Die Bilder haben alle meine Lebensgefühle wiedergegeben, ich habe versucht, in der Werkstatt schnell zu arbeiten, um diese Emotionen nicht zu verlieren, sie in den Bildern zu belassen.
Wie haben Ihre Kinder den Krieg wahrgenommen und wie unterstützen Sie sie?
Schwer. Ich glaube, dass Kreativität ein wirksames Mittel ist, um schwierige Zeiten zu überstehen. Sie sind begabt, sie haben musikalisches Talent, ich denke, das hilft ihnen. Als der Krieg begann, war mein Mann in Kiew, ich weckte ihn um 5 Uhr morgens und bat ihn, ins Ausland zu gehen. Es war sehr schwer, denn er ist ein großer Patriot und Unternehmensleiter, er wollte alle unterstützen, aber gleichzeitig wurde ihm klar, dass er außerhalb der Ukraine viel mehr helfen könnte. Er reiste nach Rumänien, kam bis nach Warschau und blieb dort zwei Monate lang, weil er näher am Team in der Ukraine sein wollte. Mein Mann bat mich, nach Warschau zu kommen, aber die Kinder waren in den USA und ich dachte, es wäre besser für mich, bei ihnen zu sein. Ich unterstütze die Kinder, obwohl sie erwachsen sind. Sie sind in der Ukraine aufgewachsen und obwohl sie einen amerikanischen Pass haben, ist die Ukraine ihr Heimatland, und sie wollen wirklich zurück, um alles gemeinsam zu heilen.
Dieser Artikel wurde im Rahmen des speziellen Autorenprojektes "Die Unbeugsamen" in Kooperation mit WoMo veröffentlicht - gefördert durch das Auswärtige Amt.
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