Die Namensgebung der Stiftung geht auf Theodor Heuss zurück, der damit bewusst den Bezug zu der von Friedrich Naumann 1918 gegründeten "Staatsbürgerschule" herstellen wollte. Beim offiziellen Gründungsakt am 14. November 1958 in der Godesberger Redoute sprach Heuss vor einer Elite aus Politik, Kultur und Wirtschaft daher über Naumanns Erbe und gab damit der Stiftung ihre Richtung: Sie sollte ein geistiges Zentrum des Deutschen Liberalismus werden.
Friedrich Naumann, wie Dahrendorf, war auch kein „geborener“ Liberaler, sondern entstammte einem anderen politischen Milieu, bei ihm dem konservativen, bei Dahrendorf dem sozialdemokratischen. Beide hatten aber einen klaren Blick für die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen ihrer jeweiligen Zeit und den Herausforderungen, die sich daraus für die Politik ergaben. Über ihre historisch-politischen Analysen, die sie beide in voluminöser Form vorlegten, fanden sie beide dann zum Liberalismus, Naumann 1903 und Dahrendorf 1967. Und beide verfolgten mit ihrem Beitritt langfristige strategische Ziele, die allerdings Dahrendorf bald wieder für die Wissenschaft aufgab, ehe er ein Jahrzehnt später nochmals den deutschen Liberalen zu Hilfe eilte und an die Spitze der Naumann-Stiftung trat.
Friedrich Naumann dagegen verfolgte trotz der „Leidensgeschichte des Liberalismus“, die er diagnostizierte, seine Ziele und Visionen beharrlich. 1911 schrieb er in einem Buch mit dem vielsagenden Titel „Freiheitskämpfe: „Wir brauchen in Deutschland eine Rückkehr der Gesinnungen zu den starken Geistern, ohne die wir überhaupt nicht sein würden, einen Liberalismus des Lebens und Denkens, der weit hinausgeht über bloße Partei- und Fraktionskämpfe. An diesem Liberalismus mitzuarbeiten, ist des Verfassers inniges und eifriges Bemühen.“
Naumanns großer Plan
Das Zitat umschreibt recht genau, was Naumann antrieb und was er vorfand. Um 1900 waren die deutschen Liberalen in verschiedene Organisationen gespalten und stritten sich vehement über den politischen Weg, der eingeschlagen werden sollte: als behutsam korrigierender Juniorpartner an der Seite der Konservativen und Alldeutschen – so die Nationalliberalen - oder prinzipienfest und einzelgängerisch im Kampf gegen alle anderen, so Eugen Richters Freisinnige. Größere Zugkraft ging von keiner der beiden Konzeptionen aus: 1903 hatte sich der liberale Stimmenanteil verglichen mit 1871 halbiert; zwar saßen noch knapp 90 liberale Abgeordnete im Reichstag, aber 1874 waren es über 200 gewesen. Vor allem übte keine der liberalen Parteien messbaren politischen Einfluss aus und das geltende Mehrheitswahlrecht drohte im Zeichen der Massenpolitisierung, die bröckelnde Wählerbasis weiter zu schmälern.
Naumann hatte klar erkannt: Wollte man dem gegenzusteuern, bedurfte es zunächst einmal mehr liberaler Geschlossenheit. Diese war für ihn allerdings nur ein Anfang. Die Liberalen mussten, wenn sie ihren politischen Anspruch ernstnahmen, auch eine politische Strategie entwickeln, die den ihren Einfluss stärken und auf eine umfassende Liberalisierung des Kaiserreiches zielen sollte, am besten in Form einer parlamentarischen Monarchie nach britischem Vorbild. Das ging natürlich nicht ohne politischen Bündnispartner.
Ansehnliche Erfolge
Diesen sah er in der Sozialdemokratie, eine Idee, die nicht nur die meisten Nationalliberalen, sondern auch viele altgediente Freisinnige eher schreckte. Naumann traf aber zunächst im Linksliberalismus und dann auch bei jüngeren Nationalliberalen („Jungliberale“) auf Mitstreiter, die seine strategische Vision innerliberal allmählich mehrheitsfähig machten. Zwar gab es anhaltende Debatten darüber unter Liberalen und auch Sozialdemokraten, die selbst von innerparteilichen Kämpfen zwischen „Revisionisten“, auf die Naumann setzte, und „Orthodoxen“ geschüttelt wurden. Aber mittelfristig schien das Konzept aufzugehen: Bis 1910 fanden die Linksliberalen in einer Partei zusammen, das Verhältnis zwischen ihnen und den Nationalliberalen besserte sich so, dass man sich 1912 bei der Reichstagwahl gegenseitig unterstützte. Bei derselben Wahl führten dann auch partielle Absprachen mit der Sozialdemokratie nicht nur dazu, dass Naumanns Linksliberale mehr Stimmen als jemals zuvor erhielten. Im Reichstag war man auch erstmals dicht an eine Mehrheit von Liberalen und Sozialdemokraten herangekommen.
Damit waren innerhalb eines knappen Jahrzehnts doch erstaunliche Fortschritte erzielt worden, die sich positiv auf das Selbstverständnis und die Ausstrahlung des Liberalismus auswirkten. Endlich waren die Liberalen wieder in der Offensive und ihr Erscheinungsbild attraktiv. Das hatten sie nicht allein, aber doch zu einem guten Teil dem Pfarrer a. D. aus dem sächsischen Störmthal zu verdanken, der in seiner Person offenbar sehr viele politische Tugenden vereinigte: Er war fähig, sowohl langfristige Konzepte zu entwickeln als auch organisatorisch die Dinge voranzutreiben. Hinzu kam ein von vielen Zeitgenossen bezeugtes persönliches Charisma, das vor allem die jüngeren, veränderungswilligen „Performer“ des Kaiserreiches anzog: industrielle Pioniere wie Robert Bosch, Gelehrte wie Lujo Brentano und Max Weber, aufstrebende Geister wie Theodor Heuss und seine Frau Elly.
Überhaupt die Frauen: Ihre politische und gesellschaftliche Diskriminierung wollte Naumann beseitigen, auch das war zu dieser Zeit längst nicht Gemeingut sämtlicher Liberalen. Er förderte politische Talente wie Gertrud Bäumer und suchte die Nähe zur Frauenbewegung. Nachdem 1908 Frauen die politische Tätigkeit zugestanden wurde, gehörte der weibliche Teil der liberalen Bewegung zu seiner treuesten Gefolgschaft.
Auf Umwegen zum Ziel
Wir wissen nicht, ob Naumanns großer Plan, das Kaiserreich grundlegend zu reformieren, aufgegangen wäre, wenn der Erste Weltkrieg nicht dazwischen gekommen wäre, mit dem die innenpolitischen Debatten abbrachen. Die Widerstände waren auch so groß. Aber Naumann bot eine politische Option an, auf die bei Gelegenheit zurückgegriffen werden konnte. Das war dann schon in der zweiten Hälfte des Weltkrieges der Fall, als sich eine neue Reformmehrheit abzuzeichnen begann, der nun der politische Katholizismus anstelle der Nationalliberalen angehörte.
Naumann und seinen Mitstreitern wäre es sicherlich lieber gewesen, wenn die Umwandlung des Kaiserreichs in ein parlamentarisches System aus eigener Kraft – wie es im Oktober 1918 kurzzeitig schien – gelungen und nicht als Kind der deutschen Niederlage eingetreten wäre. Aber er stellte sich schnell auf den Boden der neuen Republik, deren demokratische Substanz jetzt nicht nur von rechts, sondern durch neue Gefahren von links bedroht war. Seine ungebrochene Ausstrahlung zeigte sich gleichzeitig auch darin, dass die neue linksliberale Partei bei der Wahl zur Nationalversammlung mit dem Zusatz „Liste Naumann“ warb und großen Erfolg damit hatte. Schon gesundheitlich sehr angeschlagen, setzte sich Naumann bei den Verfassungsberatungen in Weimar vor allem dafür ein, dass das Verhältnis von Kirche und Staat auf eine neue Grundlage gestellt wurde. Er tat dies derart, dass die einschlägigen Paragraphen später ins Grundgesetz übernommen wurden.
Der Parteivorsitzende
Trotz des Wissens um seine eigene Situation, die die von ihm vehement abgelehnten Versailler Friedensbedingungen zusätzlich belasteten, zögerte Friedrich Naumann Mitte Juli 1919 nur kurz, als man ihn aufforderte, den Vorsitz der neugegründete „Deutschen Demokratischen Partei“ zu übernehmen. Sofort machte er sich daran, die recht heterogene, aus Freisinnigen, Teilen der Nationalliberalen und politischen Newcomern zusammengewürfelte Partei zu konsolidieren. Seine besondere Aufmerksamkeit galt der Ausbildung eines geeigneten Nachwuchses, für den gerade auch die noch im Krieg gegründete „Staatsbürgerschule“ sorgen sollte, aber auch die Gründung eines eigenen Jugendverbandes, der „Jungdemokraten“. Beim Erholungsurlaub in Travemünde fiel er dann nicht einmal sechzigjährig Ende August 1919 einem Schlaganfall zum Opfer.
Das Nachleben
Es blieb ihm erspart, die folgenden vielen Krisen und den schließlichen Untergang sowohl des traditionellen Liberalismus als auch der ersten Demokratie in Deutschland miterleben zu müssen. Ob er die Entwicklung bei längerem Leben hätte aufhalten können, darüber kann man nur spekulieren. In jedem Fall hinterließ sein Tod an der Spitze des Liberalismus eine Lücke, die keiner seiner Nachfolger ersetzen konnte, vielleicht mit Ausnahme von Gustav Stresemann, der ähnlich wie Naumann viel Ansehen über die Parteigrenzen hinaus besaß, aber dessen Autorität gerade in der eigenen Partei geringer war und der ebenfalls früh verstarb.
Naumanns große Anhängerschar, allen voran Theodor Heuss, sorgte aber dafür, dass die Erinnerung an ihn und sein Wirken nicht nur die Weimarer Republik, sondern auch die nationalsozialistische Barbarei überdauerte und schließlich wiederum Ausgangspunkt für die „Erneuerung des Liberalismus“ wurde, die er selbst ab 1903 als Lebensaufgabe angesehen hatte.