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US-Handelspolitik unter Biden: Vorsichtiger Optimismus ist angebracht

Joe Biden
Joe Biden © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Evan Vucci

Am 20.1.2021 wird Joseph Biden ins Amt des US-Präsidenten eingeführt. Die Hoffnung, gerade in Deutschland, ist, dass sich vieles unter dem neuen Präsidenten ändern wird. In diesem Essay wird der Frage nachgegangen, inwieweit Änderungen in der Handelspolitik zu erwarten sind. In ihrem Essay analysiert Prof. Dr. Xenia Matschke von der Universität Trier, dass es Gründe für verhaltenen Optimismus gibt, auch wenn sich vorerst nicht viel ändern wird.

Freierer Handel durch Abbau von Handelsbarrieren erhöht die Wohlfahrt der Welt. Er erlaubt es den Ländern, sich auf die Produktion der Güter zu konzentrieren, bei denen sie relative Effizienzvorteile haben. Vorteil des freieren Handels wie auch der damit konzeptionell eng verwandten Arbeitsteilung ist, dass insgesamt effizienter und mehr produziert werden kann. Hinzu kommen Vorteile aus mehr Produktvielfalt. Das Mehr an Gütern beschränkt sich dabei nicht nur auf materielle Güter und Quantität. Diesen Vorteilen stehen Nachteile für diejenigen Branchen gegenüber, die durch freieren Handel schrumpfen, weil sich die Produktion in andere Länder verlagert, wie auch für Produktionsfaktoren, die in diesen Branchen überproportional beschäftigt sind. In Summe sind diese temporären, auf kleinere Gruppen beschränkten Nachteile geringer als die langfristigen, über die Bevölkerung breit gestreuten Vorteile. Doch gerade deshalb ist Handelsliberalisierung politisch oft schwer durchzusetzen, weil Politiker Wahlen gewinnen müssen und deshalb kurzfristige, aber hohe Kosten bei Schlüsselwählern oft höher gewichten als den langfristigen, aber breit verteilten und dadurch pro Kopf eher kleinen Nutzen für die Allgemeinheit.

Handelspolitik ist jedoch eher selten ein Thema, das von Politikern im Wahlkampf in den Mittelpunkt gerückt wird. Donald Trump aber hat Handelspolitik zu einem zentralen Baustein seines „America First“-Programms gemacht. Im Wahlkampf positionierte sich in Antwort auch Hillary Clinton kritisch zum Abschluss neuer Handelsabkommen.[1] Trumps Meinung nach hat die USA schlechte Handelsabkommen geschlossen, die dazu führten, dass andere Länder Firmen stehlen und Arbeitsplätze zerstören.[2] Man müsse diese anderen Länder durch protektionistische Maßnahmen zwingen, ihre Handelsbilanzüberschüsse gegenüber den USA abzubauen. Daraus möglicherweise resultierende Handelskriege seien leicht zu gewinnen.[3] Donald Trump zufolge sind in der Handelspolitik die Gewinne des einen die Verluste des anderen, eine volkswirtschaftlich betrachtet abstruse Ansicht, weil Außenhandel zu einer Zunahme des weltweiten Wohlstandes führt, nicht zu einer bloßen Umverteilung. Genauso wenig ist es eigentlich möglich, willkürlich gegen ausgewählte Länder neue Handelsbarrieren zu beschließen, da die USA als WTO-Mitglied an das Prinzip der Nichtdiskriminierung im Handel gebunden ist. Die letzten vier Jahre haben jedoch gezeigt, wie viel an Regelbruch letztlich möglich ist.

Die heutige handelspolitische Weltordnung besteht in ihren Grundsätzen seit über 70 Jahren und wurde von den USA grundlegend geprägt (vgl. im folgenden Van den Bossche und Zdouc, 2017, S 82ff.). Im Oktober 1947 wurde das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen GATT von 23 Ländern unterschrieben, am 1.1.1948 trat es in Kraft. Die Gründung der zugehörigen Welthandelsorganisation scheiterte am Widerstand des US-Kongresses, erst 1995 wurde eine entsprechende Organisation, die WTO, ins Leben gerufen. Seitdem ist die Welthandelsordnung mehr und mehr in schweres Fahrwasser geraten. Die jetzige GATT-Verhandlungsrunde, die 2001 begonnene Doha-Runde, hat zwar nicht offiziell geendet, gilt aber allgemein als gescheitert. Dafür gibt es verschiedene Ursachen, aber ein wesentlicher Grund liegt darin, dass sich die USA von der in großen Teilen selbst konzipierten Welthandelsordnung auch schon vor Donald Trump zunehmend entfremdet hatte.

Die Gründung der WTO führte auch zu einer Institutionalisierung der Konfliktschlichtung. Seit 1995 ergriffen immer mehr Länder die Möglichkeit, gegen als unfair empfundene Handelspraktiken der USA über die WTO-Schiedsgerichtsbarkeit vorzugehen (Bown und Keynes, 2020). Damit wurde die faktische Vorrangstellung der USA im Rahmen des GATT zunehmend in Frage gestellt.  2001 begann nicht nur die Doha-Runde, sondern es war auch das Jahr des chinesischen WTO-Beitritts. China als Erstunterzeichner-Staat des GATT war aus dem GATT während der Revolutionswirren Ende der 1940er Jahre ausgeschieden und hatte erst 1986 eine Wiederaufnahme beantragt. Chinas WTO-Beitritt 2001, so war man sich in der westlichen Welt weitgehend einig, sei ein wichtiger Schritt, um China mit seinem damals bereits vorhandenen, aber noch wenig genutzten wirtschaftlichen Potential in eine marktwirtschaftlich orientierte Welthandelsordnung einzubetten.  2018 dagegen hieß es im Jahresbericht des US-Handelsrepräsentanten Lighthizer (2018, S. 2) an den US-Kongress: „It seems clear that the United States erred in supporting China’s entry into the WTO on terms that have proven to be ineffective in securing China’s embrace of an open, market-orientated trade regime.“ Diese negative Einschätzung ist harsch, ähnliche, etwas diplomatischer formulierte Einschätzungen finden sich jedoch auch schon in Vorjahresberichten. Die USA monieren bereits seit längerem, dass sich China zwar nach außen hin scheinbar an die GATT-Regeln hält, im Binnenbereich aber die Regeln aushebelt, zum Beispiel durch Subventionen an Staatsbetriebe und fehlenden Schutz intellektuellen (ausländischen) Eigentums.

Die Sicht, dass sich China nicht wirklich an die GATT-Regeln hält, ist in der westlichen Welt verbreitet, jedoch spiegelt sich dies nicht in der Anzahl der Handelsstreitigkeiten innerhalb der WTO wider. Auf der WTO-Webseite[4] (Stand 7.1.2021) werden 45 Handelsstreitigkeiten gegen China für den Zeitraum 2002-2020 angegeben, davon wurden 23 Verfahren von den USA angestrengt. Gegen die USA gab es im gleichen Zeitraum 100 Verfahren, davon 16 von China initiiert. In den USA führte die Vielzahl der Verfahren gegen ihre Handelspraktiken zu steigendem Unmut. Vor Gründung der WTO hatten die USA handelspolitisch oft den Alleingang gewählt, diese Möglichkeit war seit der Gründung der WTO immer häufiger versperrt bzw. mündete in Klagen anderer WTO-Mitglieder. 2016 legte die Obama-Regierung das erste Mal gegen die Einsetzung eines Richters für das 7-köpfige Appellationsgericht der WTO ihr Veto ein (Bown und Keynes, 2020).

Die Trump-Regierung griff diese Vorgehensweise auf und blockierte die Neubesetzung jeder Richterposition des WTO-Appellationsgerichts, die ab 2017 frei wurde (Bown und Keynes, 2020). Dies führte dazu, dass ab dem 11. Dezember 2019 die Anzahl der Richter unter die Mindestanzahl von 3 sank und das Gericht nicht mehr entscheidungsfähig war. Seit dem 1.12.2020 sind alle Stellen unbesetzt, nachdem der letzte Richter, ein Chinese, aus dem Amt schied.[5]

Eine der ersten Amtshandlungen von Donald Trump war, die Transpazifische Partnerschaft, ein Freihandelsabkommen der Länder im pazifischen Raum, das China ausschloss und von den USA initiiert worden war, aufzukündigen. Protektionistische Maßnahmen folgten, so die Verhängung von Stahl- und Aluminiumzöllen gerade auch gegen Partnerländer, wie z.B. die EU, die mit dem Schutz der nationalen Sicherheit begründet wurde. Ferner die den Partnern Mexiko und Kanada aufgezwungene Neuverhandlung des NAFTA-Freihandelsabkommens, die inhaltlich letztlich aber deutlich weniger Änderungen brachte, als die Trumpsche Rhetorik (NAFTA als „the worst trade deal maybe ever signed anywhere“[6]) erwarten ließ. Oder der Handelskrieg mit China, der schließlich in einem Abkommen mündete, in dem China sich verpflichtete, den Einkauf von US-Gütern deutlich zu erhöhen, ohne dass letztlich diese Verpflichtung erfüllt wurde (Bown, 2020), was in einem marktwirtschaftlichen System auch nur schwer zu erreichen ist. Die Trumpschen Maßnahmen waren dabei stets darauf ausgerichtet, Druck auf Handelspartner auszuüben und sie so zu Zugeständnissen zu bewegen. Entstehende Handelskonflikte und Verstöße gegen geltendes internationales Recht wurden billigend in Kauf genommen oder gar als Erfolg angepriesen.[7] Auch der komplette Ausstieg aus der WTO wurde von Trump angedacht.[8]

Die Aussichten, dass sich die US-Handelspolitik schnell und grundlegend ändern wird, sind durchmischt. Bereits die Ankündigung einer aggressiveren Handelspolitik kam bei der US-amerikanischen Industriearbeiterschaft in schrumpfenden Branchen gut an, die sonst traditionell demokratisch gewählt hatte. So gelang es Trump, in der Wahl 2016 wichtige Swing States im Rust Belt, in dem viele durch Importkonkurrenz schrumpfende Industrien beheimatet sind, für sich zu gewinnen. Aber auch 2020 ging die Wahl knapp aus: Tatsächlich erhielt Trump mehr Stimmen als zum Beispiel Obama 2012. Dies ist den Demokraten bewusst. Und nicht nur die republikanische Partei hat sich wegbewegt von einer grundsätzlich bejahenden Position gegenüber Außenhandel, auch bei den Demokraten ist diese Entwicklung zu beobachten, wo linke, globalisierungskritische Gruppierungen zunehmend an Einfluss gewonnen haben. Schon vor 2016 wurde die stattfindende Polarisierung der US-Wählerschaft ursächlich mit höherem Importdruck in Verbindung gebracht. Es wäre daher auch aus Sicht des gemäßigten Demokraten Joe Biden problematisch, zu viel Freihandel auf die Agenda zu setzen. Gerade seine Haltung gegenüber einem zunehmend autoritär und auch nach außen aggressiv auftretenden China wird nicht grundsätzlich anders sein, wie Biden bereits in einem Interview mit der New York Times angekündigt hat.[9] Da die wirtschaftspolitische Agenda Chinas auch in anderen westlichen Ländern zunehmend skeptisch beurteilt wird, ist ein deutliches Umschwenken aus deutscher und EU-Sicht wohl auch kaum erwünscht. Hoffnung besteht dagegen, dass die handelspolitischen Konflikte mit den westlichen Alliierten gelöst werden können. Auch erscheint eine wieder zunehmende Einbindung der USA in die WTO wünschenswert und möglich. Jedoch sollte man nicht vergessen, dass die US-amerikanische Unzufriedenheit mit der WTO schon vor Trump bestand. Eher schlecht stehen kurzfristig die Aussichten für das US-EU-Freihandelsabkommen TTIP. Hier gab es schon vor 2017 auf EU- wie auf US-Seite innenpolitischen Widerstand, der sich in den 4 Jahren Trump-Regierung nicht abgeschwächt haben dürfte, auch da einiges an politischem Porzellan zerschlagen und Vertrauen zerstört worden ist.

Es gibt zwar Grund, optimistisch in die handelspolitische Zukunft zu schauen, aber auf starke und schnelle Veränderungen sollte man eher nicht hoffen.[10]

Prof. Dr. Xenia Matschke ist Professorin an der Universität Trier und Vertrauensdozentin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

[1] https://www.huffpost.com/entry/hillary-clinton-tpp_n_56157832e4b0fad159…
[2] In seiner Inauguralansprache am 20.1.2017 sagte Donald Trump: We must protect our borders from the ravages of other countries making our products, stealing our companies, and destroying our jobs.”
[3] Tweet von Donald Trump am 2.3.2018: „Trade wars are good and easy to win.” Zitiert nach Reuters https://www.reuters.com/article/us-usa-trade-trump-idUSKCN1GE1E9
[4] https://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/dispu_by_country_e.htm
[5] WTO | Dispute settlement - Appellate Body
[6] So Trump am 26.9.2016 in der TV-Debatte mit Hillary Clinton: https://www.youtube.com/watch?v=kl2QShtOwbU
[7] https://ustr.gov/about-us/policy-offices/press-office/fact-sheets/2020/…
[8] "Hundert Mal" angedroht: Trump soll WTO-Austritt der USA wünschen - n-tv.de (n-tv.de)
[9] https://www.nytimes.com/2020/12/02/opinion/biden-interview-mcconnell-ch…
[10] Diese Sicht wird z.B. auch vom BDI (2020) vertreten. McDowell (2020) äußert sich noch skeptischer.