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Polen
Polen vor der Präsidentschaftswahl: Neuer Favorit auf der politischen Bühne?

Rafał Trzaskowski
Der Oppositionskandidat Rafał Trzaskowski bei einer Veranstaltung in Krakau © picture alliance / NurPhoto | Beata Zawrzel

Am 3. Juni gab die polnische Sejmmarschallin Elżbieta Witek, der die Funktionen der Parlamentspräsidentin zukommen, bekannt, dass Polens Staatspräsident am 28. Juni gewählt wird. Die wochenlange Ungewissheit bezüglich des neuen Wahldatums ist damit zu Ende. Sollte kein Kandidat beim ersten Wahlgang mehr als 50% der Stimmen gewinnen, kommt es am 12. Juli zu einer Stichwahl. Der Amtsinhaber Andrzej Duda, der der regierenden national-konservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) nahesteht, führt mit zirka 41% in den aktuellen Meinungsumfragen. In den letzten Wochen sank seine Popularität jedoch deutlich. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums scheint das größte Oppositionsbündnis „Bürgerkoalition“ (KO) mit ihrem neuen Kandidaten, dem populären Warschauer Oberbürgermeister Rafał Trzaskowski, im Aufwind zu sein. 

Wahlen, die nicht stattfanden

Die Präsidentenwahl war ursprünglich für den 10. Mai geplant. Als die Coronakrise ausbrach, forderte die polnische Opposition eine Verschiebung des Wahltermins und betonte mehrmals, dass kein fairer Wahlkampf wegen der Pandemie möglich wäre. Die PiS wollte ihr Momentum jedoch um jeden Preis nutzen, da die Popularität von ihrem Kandidaten Andrzej Duda während der Krise sprunghaft anstieg. Damaligen Umfragen zufolge konnte er sich Hoffnungen auf eine Wiederwahl in der ersten Runde machen. 

Die PiS bestand lange auf dem Termin und wollte die Wahl als reine Briefwahl organisieren. Eine dafür nötige Änderung des Wahlrechts scheiterte jedoch am inneren Widerstand in der Regierungskoalition von PiS und zwei kleineren Parteien, die im polnischen Unterhaus (Sejm) über eine absolute Mehrheit verfügen. Da die Wahllokale am 10. Mai geschlossen blieben und die Wahl somit de facto nicht stattfand, erklärte die staatliche Wahlkommission (PKW) die Wahlen für ungültig.

Die Wahlverschiebung war ein schwerer Schlag für die PiS, die seitdem in Umfragen um fünf Prozentpunkte schrumpfte. Die Popularität von Duda rutschte sogar von über 60% Anfang Mai auf circa 41% ab – nicht zuletzt auch wegen der angekündigten Kandidatur von Trzaskowski.

Letzte Woche verabschiedete das polnische Parlament den neuen Gesetzentwurf zur Änderung des Wahlgesetzes, laut dem die Wahlen nun in einem gemischten System stattfinden werden: Die Wähler können selbst entscheiden, ob sie traditionell in Wahllokalen, oder per Briefwahl abstimmen möchten. 

Darüber hinaus wollte das von der Opposition kontrollierte Oberhaus des Parlaments (Senat) unter anderem einen Änderungsantrag einbringen, der den potentiellen Kandidaten mindestens 10 Tage für die notwendige Unterschriftensammlung eingeräumt hätte. Um bei der Wahl antreten zu können, benötigen die Bewerber mindestens 100.000 Unterschriften. Der Sejm lehnte jedoch die Mehrheit der vom Senat beschlossenen Änderungen im Wahlrecht ab. Dem einzigen neuen Kandidaten Rafał Trzaskowski verblieben damit nur 7 Tage für das Sammeln der notwendigen Unterschriften.

Neuer Kandidat der Bürgerkoalition

Schon am Wochenende berichteten die polnischen Medien, dass der neue Kandidat des proeuropäischen liberal-konservativen Oppositionsbündnisses „Bürgerkoalition“ Trzaskowski bereits doppelt so viele Unterschriften erhielt, wie für seine Kandidatur erforderlich sind. Trzaskowski forderte seine Unterstützer jedoch auf, die Unterschriften weiterhin bis zum Ablauf der Frist vorzulegen. 

Mitte Mai löste der 48-jährige Warschauer Bürgermeister Trzaskowski die KO-Kandidatin Małgorzata Kidawa-Błońska ab, die ihre Kandidatur nach der Verschiebung der Wahl zurückzog. Noch vor der Pandemie galt Kidawa-Blońska mit 25% in den Meinungsumfragen als der größte Herausforderer von Duda. Die Corona-Krise machte es jedoch unmöglich, die Kampagne unter fairen Bedingungen fortzusetzen und Kidawa-Błońska verlor allmählich an Unterstützung. Darüber hinaus irritierte sie viele ihre Wähler, als sie vorschlug, die Wahlen im Mai zu boykottieren, ohne sich aus dem Rennen zurückzuziehen. Ihre Umfragewerte fielen daraufhin auf einen einstelligen Wert.

Trzaskowski hingegen startete seine Kampagne energisch und selbstsicher. Bei einer der ersten Pressekonferenzen nach seiner Nominierung als KO-Kandidat versprach er, im Falle seiner Wahl die Ausgaben für das Gesundheitssystem wesentlich zu erhöhen. Auch wolle er statt des Senders TVP einen neuen öffentlichen Sender nach dem Vorbild der BBC gründen. Die Art und Weise, wie PiS staatliche Medien für „Propaganda“ verwendet, „vergiftet unser öffentliches Leben“, erläuterte er. Laut seinen eigenen Worten wolle er eine aktive Präsidentschaft und keine „stille Teilhabe“, wie Duda. So lautet sein Werbeslogan: „Starker Präsident, gemeinsames Polen“.  

In den letzten Wochen stiegen seine Zustimmungswerte deutlich. Jüngsten Umfragen zufolge liegt er mit circa 27% hinter dem amtierenden Duda (rund 41%) und weit vor dem drittplatzierten Szymon Hołownia (rund 13%), einem unabhängigen proeuropäischen Kandidaten der Mitte. In der zweiten Wahlrunde würde Duda wahrscheinlich nur mit einem knappen Vorsprung von 1 oder 2 % gewinnen - laut einigen Meinungsumfragen könnte aber auch Trzaskowski, wie auch Hołownia, im zweiten Wahlgang gegen Duda gewinnen.

Trzaskowski ist kein Neuling in der Politik. Der 48-jährige Oberbürgermeister und Politiker der Bürgerplattform (PO) ist ehemaliger polnischer Europaminister und EU-Abgeordneter. Innerhalb des liberalkonservativen Lagers gilt er als profilierter Gesellschaftsliberaler, der sich für die LGBT-Rechte und eine klare Trennung zwischen Staat und Kirche in dem streng katholischen Land einsetzt. Im letzten Jahr beteiligte er sich an einer LGBT-Parade in Warschau, womit er sich klar gegen den Anti-LGBT-Kurs der polnischen Regierung stellte.  

Trzaskowski ist vor allem bei den städtischen liberalen Wählern populär, was aber auch als seine Schwäche angesehen werden kann. Die PiS wird nun ihre traditionelle Wählerschaft in kleineren Städten und ländlichen Gebieten mobilisieren. Einige PiS-Spitzenpolitiker versuchten bereits, die liberalen Ansichten des Warschauer Bürgermeisters als eine Bedrohung für die polnischen Traditionen darzustellen. "Wir werden [bei diesen Wahlen] die Wahl zwischen dem weiß-roten Polen, das vom derzeitigen Präsidenten vertreten wird, und einem Regenbogen-Polen [von Trzaskowski] haben", sagte Krzysztof Sobolewski, Vorsitzender des PiS-Exekutivkomitees, in einem Interview mit Polskie Radio.

Trzaskowski versicherte bereits, dass die Wahl eines Oppositionspräsidenten zu keinem Stillstand führen würde. "Ich werde kein Präsident sein, der gegen die Regierung kämpft, ich werde kein Präsident der totalen Opposition sein", sagte Trzaskowski. "Ein Präsident muss zusammenarbeiten."

Alle Möglichkeiten auf dem Tisch

In den letzten Wochen wurde Dudas Wahlkampagne durch manche Affären einiger PiS-Politiker geschwächt. Dem Gesundheitsminister Łukasz Szumowski, der für die Reaktion auf die Pandemiekrise in den vorherigen Wochen hochgelobt wurde, wird nun ein Interessenkonflikt vorgeworfen. Auch die Affäre um die Löschung  des Kaczyński-kritischen Liedes „Dein Schmerz ist besser als mein Schmerz“ aus der Hitparade des dritten polnischen Radioprogramms erregte eine Welle der Empörung. Dazu bemerken die Polen zunehmend die sich verschlechternde wirtschaftliche Situation - einer der Gründe, warum die PiS die Präsidentschaftswahlen so schnell wie möglich abhalten wollte.

Sollte Trzaskowski gegen Duda gewinnen, wird sich die machtpolitische Konstellation in Polen wesentlich ändern, da die PiS eine weitere wichtige Position verlieren würde. Ohne die Mehrheit im Senat und mit knapper Mehrheit im Sejm wäre es dann für den PiS-Chef Jarosław Kaczyński schwierig, seine umstrittenen Pläne zum Umbau des Justizwesens und der staatlichen Medien durchzusetzen.   

Die Wahlumfragen zeigen jedoch, dass noch nichts entschieden ist. Im Spiel bleibt auch der unabhängige Kandidat Hołownia, der aufgrund seiner starken Kampagne in den sozialen Netzwerken während der Coronakrise oft als „Geheimtipp“ bei der Wahl bezeichnet wurde. Angesichts der starken Polarisierung der polnischen Politik wird erwartet, dass die Stichwahl in der zweiten Runde äußerst knapp und unvorhersehbar ausfällt.