Ungarn
Orbáns Alleingang Richtung Putin
Ungarns nationalkonservativer Premierminister Viktor Orbán gehört zu den lautesten Kritikern westlicher Sanktionen gegen Russland. Die Beziehung zwischen den beiden Ländern hat ein starkes wirtschaftliches Fundament, insbesondere in Form eines Erdgasliefervertrages. Am 30. Oktober haben Ungarn und Russland bei einem Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Budapest mehrere Abkommen über soziale Sicherheit, Sport und Wirtschaft unterzeichnet. Laut dem ungarischen Außenminister Péter Szijjártó gefährdeten die Konsultationen mit Moskau nicht die Loyalität Ungarns gegenüber seinen NATO- und EU-Partnern. Wie geht die EU mit diesen Spaltungstendenzen um?
Hauptthemen des Besuchs von Vladimir Putin in Budapest werden voraussichtlich russische Gasimporte ab 2021 und der Konflikt in Syrien werden. Unter Viktor Orbán unterstützt Ungarn erfahrungsgemäß – sowohl nukleare als auch fossile – russische Energieprojekte. Seit langem ist das Land energiepolitisch auf Russland angewiesen. Diese Abhängigkeit wird weiter zunehmen, sobald der russische Erdgasgigant Gazprom die „Turkish-Stream-Pipeline“ fertigstellt, die russisches Erdgas durch das Schwarze Meer und die Türkei bis an die EU-Grenze bringen soll. Eine Abzweigung der Pipeline soll Bulgarien, Serbien, Ungarn und die Slowakei mit Gas beliefern.
Die neue Röhre, die russisches Erdgas unter Umgehung der Ukraine nach Mitteleuropa transportieren soll, ist sowohl für Orbán als auch für Putin politisch attraktiv. Mit ihr fielen an die Ukraine zu zahlende Transitgebühren in Milliardenhöhe weg. Auch mit dem vom Kreml finanzierten Ausbau des ungarischen Kernkraftwerkes Paks wird Ungarn immer stärker von Moskau abhängig werden.
Beide Regierungschefs stehen der Ukraine misstrauisch gegenüber und sollen auch die Einstellung des US-Präsidenten Donald Trump gegenüber der Ukraine beeinflusst haben. Bei seinem Besuch im Oval Office im Mai, so ist aus gut unterrichteten Kreisen zu hören, habe Ungarns Premierminister die Ukraine beim US-Präsidenten gezielt in schlechtes Licht gerückt.
Orbán hat in der Vergangenheit die EU-Sanktionen gegen Russland mehrmals kritisiert. Auf dem EU-Gipfel Ende 2018 legte er jedoch kein Veto gegen die Verlängerung der Sanktionen ein. Dies könnte sich in Zukunft ändern, sollte beispielsweise die deutsche Bundesregierung ihre bislang feste Position hierzu aufweichen.
Orbán lobt türkische Offensive in Syrien
Viktor Orbán hat mehrmals Verständnis für die türkische Militäroperation im Norden Syriens geäußert. Sie werde dazu beitragen, eine weitere „Flut von Flüchtlingen“ zu verhindern, die ansonsten nach Europa fliehen würden. Orbán spricht sich vehement gegen Einwanderung aus, lässt Stacheldrahtzäune gegen Flüchtlinge bauen und verschärft das Vorgehen gegen Nichtregierungsorganisationen, die Unterstützung für Flüchtlinge leisten. Vor einigen Tagen verlangte er, die EU solle die Türkei beim Ausbau der Infrastruktur in den türkisch besetzten Gebieten in Nordsyrien finanziell unterstützen.
Ungarn unter Viktor Orbán ist damit der einzige EU-Mitgliedstaat, der den türkischen Einmarsch in Nordsyrien befürwortet. Orbán, seit fast einem Jahrzehnt an der Macht, ist bereits oft mit Brüssel in Konflikt geraten – beispielsweise wegen seiner Weigerung, Migranten im Rahmen einer EU-Quotenregelung aufzunehmen, oder seinen Bemühungen, staatliche Kontrolle über Medien und die akademischen Institutionen im Lande zu verschärfen.
Russlands Kurs ist klar: Putin nutzt jede Meinungsverschiedenheit zwischen den EU-Mitgliedstaaten, um die Europäische Union zu schwächen. Hier ist Viktor Orbáns Ungarn ein dankbarer Angriffspunkt. Orbán seinerseits nutzt die Drohkulisse einer vertieften Annäherung an Russland, um EU-Partner immer wieder zum Einlenken zu bewegen – ganz nach dem Motto: „Behandelt mich gut, sonst gehe ich einen weiteren Schritt auf Moskau zu.“
Seit Beginn der Ukraine-Krise hat sich Orbán bereits sieben Mal mit dem russischen Staatschef getroffen. Je mehr Orbán den Konflikt mit der EU anfacht, desto größer ist die Chance für Russland unter Wladimir Putin, das diplomatische Gleichgewicht innerhalb der EU zu seinen Gunsten zu beeinflussen.
An der geographischen Lage können beide Staatschefs indes nichts ändern: Ungarn ist und bleibt ein zentraler Staat Mitteleuropas und damit der EU, sowohl strategisch als auch kulturell und wirtschaftlich. Eine Politikwende muss aus Ungarn selbst kommen, durch seine Wähler und seine Bevölkerung. Die Kommunalwahlen der vergangenen Woche machen Hoffnung, dass das Land in Bewegung ist. Die in den großen Städten siegreichen frischen politischen Kräfte sollten von den übrigen Mitgliedstaaten auf allen Ebenen ermutigt werden. Hier kommt dem Europäischen Parlament eine große Aufgabe zu. Und die EU selbst sollte das gegen Ungarn eröffnete „Artikel-7-Verfahren“ nutzen, den ungarischen Rechtsstaat zu verteidigen und dem von Orbán forcierten Abbau der pluralistische Vielfalt Einhalt zu gebieten. Das ist die europäische Staatengemeinschaft sich selbst, aber auch jenen Ungarn schuldig, die weiter aktiv für eine offene Gesellschaft, Demokratie und Rechtstaatlichkeit eintreten.
Toni Skorić ist Project Manager für Mitteleuropa und die baltischen Länder im Stiftungsbüro in Prag.