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Bulgarien
Regierungskrise in Bulgarien – Reformerregierung vor dem Ende?

Der bulgarische Premierminister Kiril Petkov

Der bulgarische Premierminister Kiril Petkov

© picture alliance / EPA | STEPHANIE LECOCQ

Die Party ist vorbei, die Koalition ist dahin – so lautete sinngemäß die Botschaft von Slafi Trifonov, als er vor zwei Tagen überraschend die Nachricht verkündete, seine Partei Es gibt so ein Volk (ITN) werde aus der Vierer-Koalition austreten. „Hiermit beende ich diese Koalition und dieses Leiden“, waren die Worte des 55-jährigen Parteivorsitzenden und Komikers, dessen berühmt-berüchtigte Video-Statements stets zwischen Peinlichkeit und Propaganda oszillieren. Damit steht die Regierung des Reformers Kiril Petkov vor einem Aus – nach nur sechs Monaten.

Viele Bulgaren hatten große Hoffnung – nun kann es schon wieder vorbei sein

Dabei hatten die Bulgaren große Hoffnung in diese Regierung gesetzt: Nach drei Wahlen und einer gefühlten Ewigkeit der politischen Unsicherheit gab es endlich eine Regierung. Und was für eine: Mit Wir setzen den Wandel fort (PP) von Petkov – gemeinsam mit seinem „Buddy“ und Finanzminister Asen Vassilev „Harvard Boys“ genannt – und Da, Bulgaria gab es gleich zwei Reformer-Parteien in der Koalition, die sich mit großem Elan und Begeisterung für einen echten gesellschaftspolitischen Wandel einsetzten. Mit den anderen beiden Koalitionsparteien, Es gibt so ein Volk des besagten Trifonov und der Sozialistischen Partei, musste Petkov wohl oder übel einen Kompromiss eingehen, um eine mehrheitsfähige Regierung zustande zu bringen. Auch wenn hiermit Streit vorprogrammiert war, so gab es doch wenigstens eine Regierungsoption jenseits der beiden Parteien des alten Establishments, GERB von Langzeitministerprädient Borissov und Bewegung für Rechte und Freiheiten (MRF), denen stets vorgeworfen wird, in dunkle Geschäfte mitverwickelt zu sein. Die Party konnte also beginnen!

Aber wie das für gewöhnlich ist, wenn man auf eine gute Party geht: Alles ist wunderbar, bis man am nächsten Tag mit einem schlimmen Kater aufwacht.

TV-Komiker kündigt die Koalition und stürzt das Land in eine politische Krise

Der Talkshowmaster, Schlagersänger und Chef der populistischen ITN, sprunghaft und unberechenbar, trat wie gewohnt auf seinem Lieblingsportal Facebook auf und gab zwei Gründe für seine Entscheidung bekannt: Nordmazedonien und Geld.

Wenige Minuten zuvor hatten Außenministerin Teodora Genchovska und Grozdan Karadjov, Minister für Regionale Entwicklung (beide von Es gibt so ein Volk), die Kabinettssitzung demonstrativ verlassen und schon einmal einen Vorgeschmack gegeben für das, was noch kommen sollte.

Trifonov, dessen Partei bislang selten durch konstruktive Zusammenarbeit aufgefallen war, warf Ministerpräsident Petkov vor, im Konflikt mit Nordmazedonien eine eigene Agenda zu verfolgen: Petkov habe in Brüssel angedeutet, entgegen der Koalitionsvereinbarung Bulgariens Veto für die Aufnahme der EU-Beitrittsgespräche mit Skopje einseitig aufzuheben. Fehlgeleitet von seiner außenpolitischen Beraterin, führe Petkov geheime Gespräche zur Aufhebung der Blockade Sofias, ohne dies mit der Außenministerin abzusprechen. Er warf Petkov sogar „Landesverrat“ vor – das war gefühlt der Moment, als es kein Zurück mehr gab.

Ferner warf Trifonov Finanzminister Asen Vassilev (ebenfalls von PP) vor, er habe in den vergangenen Monaten ganze neun Milliarden Lev (knapp 4,6 Milliarden EUR) auf intransparente Art und Weise ausgegeben – und damit die Gefahr eines Staatsbankrotts heraufbeschworen.

Nur eine halbe Stunde später meldete sich Petkov zu Wort und zeigte sich kämpferisch: „Wir haben versprochen, Bulgarien zu ändern und das werden wir auch tun“. Er gab bekannt, er werde mit einer Minderheitsregierung weiterregieren und hoffe dabei auf die Stimmen von ITN-Abgeordneten, die – ungleich ihrem Parteichef – weiterhin die Reformagenda der Regierung fortsetzen möchten.

Der wahre Grund für Trifonovs Schritt, die Koalition zu beenden, sei laut Petkov die Entscheidung der Regierung gewesen, keine zusätzlichen 3,6 Milliarden Lev (ca. 1,84 Milliarden EUR) an das Ministerium für Regionale Entwicklung für Straßenbau zu genehmigen. Der zuständige Minister habe vor, dieses Geld an Firmen zu vergeben, die im Verdacht stünden, in der Vergangenheit in die eigene Tasche gewirtschaftet zu haben. Schließlich warf er Trifonov – sichtlich gereizt von dessen Unberechenbarkeiten – vor, jegliche Versuche der Regierung, die staatliche Anti-Korruptionsstelle zu reformieren, sabotiert zu haben.

Ministerpräsident Petkov will es wissen – Minderheitsregierung

Eine Minderheitsregierung sei besser als eine, die Reformen blockieren würde, so Petkov in Richtung Trifonov. Es gebe mit Sicherheit genug Abgeordnete, die „nicht auf der Seite der Korruption und der Mafia, sondern auf der Seite der Reformen“ stünden. Während seiner gesamten Rede versuchte sich Petkov am Spagat, Trifonov hart anzugehen, ohne es sich jedoch mit den ITN-Abgeordneten zu verscherzen.

Neben dem Außenministerium und dem Ministerium für Regionale Entwicklung waren auch die Ressorts Sport und Energie bislang unter der Führung von Politikern aus den Reihen von ITN. Noch hat Ministerpräsident Petkov sich nicht zur Neubesetzung dieser Häuser geäußert.

Angesichte der dramatischen Entwicklungen gibt es drei mögliche Optionen für Petkov und seine Schrumpf-Koalition:

  1. Petkov hat bereits bekanntgegeben, dass er es mit einer Minderheitsregierung probieren möchte – Rückendeckung von seinen Partnerparteien hat er dafür. Ohne die Unterstützung von ITN schrumpft seine Regierungskoalition auf 109 Sitze, für eine Mehrheit werden jedoch mindestens 121 benötigt. Es wird sich schon sehr bald zeigen, wie stark die Parteidisziplin in Trifonovs Partei ist. Dass die Option „Koalition der Willigen“ auf schwachen Beinen steht, bedarf keiner weiteren Erklärung. Falls sich in den Reihen von Trifonovs Partei nicht zwölf für die Mehrheit notwendige „Rebellen“ finden lassen, ist Petkov schnell auf die Unterstützung von GERB oder MRF angewiesen, die Gefallen daran haben werden, die Reformagenda der Regierung zu begraben. Eine Zusammenarbeit mit GERB oder MRF hätte auch große Reputationsschäden für Petkov und seine PP.
     
  2. Petkov kann noch so lange regieren, bis das Parlament entweder ein Misstrauensvotum gegen seine Regierung stellt oder wenn über den Haushalt abgestimmt wird – in beiden Fällen würde Petkov womöglich scheitern, was das Ende für sein Kabinett bedeuten würde. In diesem Fall müsste Präsident Radev, womöglich der größte Putin-Versteher Bulgariens, Petkov mit einer Regierungsbildung beauftragen, da seine Partei die größte Fraktion im Parlament darstellt. Bei einem Scheitern müsste Radev dann die zweitgrößte Fraktion, GERB, mit der Regierungsbildung beauftragen. Im Falle eines weiteren Scheiterns kann der Präsident in der dritten und letzten Runde nach seinem Gusto entscheiden, wer mit der Regierungsbildung beauftragt wird.
     
  3. Im Falle eines Scheiterns bei allen drei Versuchen zur Regierungsbildung muss der Präsident das Parlament auflösen, eine Interimsregierung bilden und Neuwahlen ankündigen, die Anfang Herbst stattfinden würden. Umfragen zufolge würden die beiden rechtspopulistischen, anti-europäischen und Kreml-freundlichen Parteien Vazrazdhane und „Balgarski Vazhod“ des ehemaligen Verteidigungsministers Yanev deutlich an Zustimmung gewinnen.

Bulgarien stehen wieder schwierige Zeiten bevor – die Aufbruchsstimmung und der Wille, Dinge endlich und grundlegend zu ändern, sind längst verflogen. In einer Zeit, in der sich bisherige vermeintliche Gewissheiten zunehmend als ungewiss entpuppen, kann sich der Zauber des Neuanfangs schnell ins Gegenteil verkehren, werden die Erwartungen enttäuscht. Es besteht die Gefahr, dass die alten Kräfte, die das Land über Jahrzehnte wie einen Selbstbedienungsladen ausgeplündert haben, wieder an die Macht gelangen. Die Party könnte vorbei sein – zu früh.