Gustav Stresemann
Ein doppeltes Verhängnis
Als Gustav Stresemann vor 90 Jahre gerade mal 51-jährig einem Schlaganfall zum Opfer fiel, trat nicht nur der erste deutsche Friedensnobelpreisträger von der politischen Bühne ab. Mit dem Tod des „einzigen Staatsmannes, den die Weimarer Republik hervorgebracht hat“, so der englische Historiker Jonathan Wright, stürzte auch eine tragende Säule ein, auf der die politische Stabilität der Weimarer Republik ruhte.
Das zeigte sich sehr rasch, sowohl mit Blick auf den deutschen Liberalismus als auch auf die gesamte politische Kultur Weimars. Nach der für die Liberalen nicht besonders erfolgreichen, aber auch noch nicht desaströsen Reichstagswahl vom Mai 1928 hatte Stresemann als Vorsitzender der rechtsliberalen DVP für eine parlamentarisch mehrheitsfähige „Große Koalition“ aus Liberalen, Sozialdemokraten und politischem Katholizismus gekämpft und diese fast im Alleingang, vor allem gegen Widerstände aus der eigenen Partei, auch durchgesetzt. Er tat dies nicht nur, um sein außenpolitisches Werk der Verständigung mit den Siegermächten des Weltkriegs fortzusetzen, sondern auch, weil er angesichts der Radikalisierung im konservativen Lager keine Alternative für eine stabile Regierung sah.
Doch die „Große Koalition“ stand auf wackeligen Füßen, nicht nur, aber auch wegen der permanenten Querschüsse aus Stresemanns eigener DVP. Stresemanns letztes Lebensjahr war innenpolitisch ein permanenter Kampf um die Fortführung der Koalition. Dies war auch mit einer der Gründe, warum der DVP-Vorsitzenden nun anders als 1918 eine Fusion mit der linksliberalen Schwesterpartei DDP anstrebte: Damit sollte die bürgerlich-liberale Mitte gestärkt und der eigene rechte Flügel diszipliniert oder notfalls abgestoßen werden. Diese Verhandlungen intensivierten sich im Laufe des Jahres 1929 und standen eigentlich kurz vor dem Abschluss, als Stresemann, zwar seit langem von Krankheit gezeichnet, aber dann doch überraschend starb.
Der liberalen Fusion war damit die entscheidende Grundlage entzogen. Beide Parteien gingen wieder ihre eigenen, immer weiter auseinanderführenden Wege, die zunächst zur Marginalisierung und dann zur – nicht ganz freiwilligen – Auflösung führten. Es hätte aber auch anders kommen können, sicherlich nicht zum Schaden der Weimarer Republik und damit der gesamten weiteren deutschen Entwicklung ab 1930.
Denn auch für die politische Stabilität, symbolisiert durch die – wohlgemerkt: damalige – Große Koalition, fiel mit Stresemanns Tod die wichtige Klammer weg, DVPler und Sozialdemokraten konnten nun ihre gegenseitige Abneigung rücksichtslos ausleben. Sechs Monate später zerbrach die letzte Regierung Weimars, die sich auf eine parlamentarische Mehrheit stützen konnte. Was folgte, war eine immer rasantere Radikalisierung der politischen Kultur einerseits und eine immer autoritärer geführte Regierungspolitik andererseits, was dann gerade einmal drei Jahre nach Stresemanns Tod in die Nazi-Diktatur mündete.
Somit steht der dritte Oktober zumindest aus liberaler Sicht nicht nur für einen Freudentag, sondern bildet auch ein Datum, an dem es um Tragik und vertane Chancen geht. Man kann durchaus einen inneren Zusammenhang zwischen diesen beiden Aspekten sehen: Die Entwicklung, die mit dem 3. Oktober 1929 von den meisten Zeitgenossen unbemerkt ihren Anfang nahm, endete eigentlich erst am gleichen Tag 61 Jahre später. Deshalb sollte man heute nicht nur an den 29. Jahrestag der Wiedervereinigung, sondern auch an das Wirken eines großen liberalen Staatsmanns erinnern, dessen Bedeutung man im Nachhinein sehr viel besser abschätzen kann als zu seinen Lebzeiten.
Stresemann neu betrachtet – Eine Veranstaltung zum 90. Todestag
Ein enger Freund des Friedensnobelpreisträgers Gustav Stresemann schrieb unmittelbar nach seinem Tod: „Mehr als ein Verlust – ein Unglück!“ Im Alter von gerade einmal 51 Jahren war der frühere Reichskanzler, langjährige Außenminister und Vorsitzende der liberalen Deutschen Volkspartei (DVP) am 3. Oktober 1929 einem Schlaganfall erlegen. Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit erinnerte mit einer Veranstaltung im Gustav-Stresemann-Institut in Bonn an einen der bedeutendsten Staatsmänner des 20. Jahrhunderts.