Internationale Politik
Politisches Erdbeben in Hanoi: KP wechselt Staatsspitzen
2022 war für Vietnam ein erfolgreiches Jahr. Wirtschaftlich hat das Land wieder an Fahrt aufgenommen und ein BSP-Wachstum von acht Prozent hingelegt. Getrübt wurde dies durch einige Skandale im Dschungel von Investments und Korruption. Allerdings deutete nichts auf den Paukenschlag zum vietnamesischen Neujahrsfest hin: Vietnams Präsident Nguyen Xuan Phuc trat zurück. Der genaue Grund für den Rücktritt des Präsidenten ist unklar. Kurz vorher waren der stellvertretende Ministerpräsident sowie zwei Minister entlassen worden. Die Wechsel der Staatsspitzen stehen im Kontext einer Anti-Korruptionskampagne, die der mächtigste Mann Vietnams leitet: der Generalsekretär der Kommunistischen Partei (KPV) Nguyen Phu Trong.
Die Anti-Korruptionskampagne des KPV-Generalsekretärs Trong führte zu erheblicher Unruhe im Politikbetrieb. Korruption ist ein großer Hemmschuh in der wirtschaftlichen Entwicklung Vietnams und für weite Teile der Bevölkerung ein Ärgernis. Trong ermittelte in mehreren hochkarätigen Korruptionsfällen, darunter der „Viet A-Skandal“, bei dem es um die Beschaffung massiv überteuerter Corona-Tests geht. In diesen Bestechungsskandal soll auch die Ehefrau des nun zurückgetretenen Präsidenten Phuc verwickelt sein. Die Ermittlungen führten Anfang des Jahres zur Entlassung des stellvertretenden Ministerpräsidenten und zu strafrechtlichen Verfolgungen von mehr als 100 Personen. Darunter sind hochrangige Beamte wie der ehemalige Gesundheitsminister und der ehemalige Minister für Wissenschaft und Technologie. Weitere Skandale betrafen Bestechungen anlässlich der Rückführungsflüge von Staatsbürgern während der Corona-Pandemie, Angebotsmanipulationen bei staatlichen Aufträgen und viele andere Skandale unter Beteiligung von Staatdienern.
Ex-Präsident Phuc – ein altgedienter Parteikader
Der nun zurückgetretene Staatspräsident Phuc, ein 69-Jähriger aus Zentralvietnam, hatte eine steile Parteikarriere vorzuweisen. Von 1997 bis 2006 war er Vorsitzender des Volkskomitees seiner Heimatprovinz. 2011 wurde er Vizepremier Vietnams, 2016 Premier und 2021 Präsident. Phuc wurde den Reformern zugeordnet und hatte eine gewisse Offenheit gegenüber dem Westen.
In Vietnams politischer Elite rumort es. Zum einen würde es nicht überraschen, wenn weitere Stühle wackeln, zum Beispiel der von Premierminister Pham Minh Chinh. Zum anderen muss ein neuer Staatspräsident gefunden werden. Sicherheitsminister To Lam sowie Truong Thi Mai, die Leiterin der Zentralen Abteilung für Personal und Organisation der KPV, haben Chancen. Wichtig für die internationale Geschäftswelt wird es sein, kein allzu langes Machtvakuum an der Spitze des Landes zu sehen. Sollte es zu monatelangen Grabenkämpfen mit unsicherem Ausgang kommen, könnte die Attraktivität Vietnams als rechtssicheres Ziel ausländischer Direktinvestitionen und als Handelspartner in Mitleidenschaft gezogen werden. Eine Veränderung des politischen Systems ist indes nicht zu erwarten. Hierzu sitzt die KPV zu stark im Sattel. Und solange es mit der Wirtschaft bergauf geht, ist auch kein Unmut seitens der Bevölkerung zu erwarten.
Chance auf Neuanfang
In der vietnamesischen Kultur bedeutet der Beginn eines neuen Jahres immer auch ein Großreinemachen in jeglicher Hinsicht. Auch nun, zum „Jahr der Katze“, werden Häuser geputzt, neue Arbeitsstellen angetreten oder Schulden zurückgezahlt. So gesehen passen die aktuellen, politischen Personalwechsel ins Konzept. Vernunft und Selbsterhaltungstrieb der Führung wird wahrscheinlich dafür sorgen, dass die Spitzen des Staates sehr bald neu besetzt sein werden.
Viele Vietnamesen hoffen indes, dass mit diesem Neuanfang die grassierende Korruption endlich zurückgeht und dass das Land aus diesem reinigenden Gewitter gestärkt hervorgeht. Das Ersetzen korrupter Führungspersönlichkeiten könnte den Weg für bessere Kader ebnen. Dies würde der Partei helfen, Rückhalt in der Bevölkerung zu stärken und Vietnams geplanten Aufstieg zur Industrienation zu befördern.
*Andreas Stoffers leitet das Vietnam-Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Hanoi.