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Jordanien
Syrischer Bürgerkrieg: Jordanien zwischen Überforderung und Hoffnung

Zur Lage der syrischen Flüchtlinge in Jordanien
Syrische Flüchtlinge in einem Flüchtlingslager in Jordanien.
Syrische Flüchtlinge in einem Flüchtlingslager in Jordanien. © CC BY-NC-ND 2.0 / Flickr / World Bank

Die Situation vor Ort ist verheerend: Zehntausende Syrer drängen sich heimatlos an den Grenzen zu Jordanien und Israel – aber auch zur Türkei, zum Libanon und zum Irak. Am Ende der Kampfhandlungen des syrischen Bürgerkrieges sind noch einmal etwa 300.000 Menschen auf der Flucht aus den zwischenzeitlich an das Assad-Regime gefallenen Provinzen Dara‘a und Quneitra im syrischen Südwesten. Von ursprünglich 22 Millionen Syrern sind 6 Millionen im eigenen Lande heimatlos, leben bis zu 5 Millionen in Lagern und Kommunen Jordaniens, des Libanon und der Türkei. 60.000 Syrer harren seit Mitte 2016 in Rakhban im Niemandsland zwischen Syrien, Jordanien und dem Irak aus, Tausende suchen in diesen Tagen an der Grenze zu Israel Schutz vor dem syrischen Regime. Doch sie öffnete sich nur kurz für den Transit nach Jordanien für die Rettung und Durchreise syrischer Weißhelme. 

Unter der Last seiner Flüchtlinge: Jordaniens Offenheit und Ohnmacht

In Europa ist das Verständnis für die Last, welche die Aufnahmeländer der Flüchtlinge in der unmittelbaren Nachbarschaft Syriens tragen, gering. Jordanien hat zudem nicht nur Syrer, sondern wegen des Golfkriegs von 1991 und des Krieges 2003 auch Hunderttausende von geflohenen Irakern aufgenommen. Hinzu kommen kleinere Kontingente von Flüchtlingen aus dem Jemen und selbst aus Libyen. Zusammengenommen entspricht die Zahl der Flüchtlinge einem Umfang von ca. 20 Prozent der jordanischen Bevölkerung.  Das Haschemitische Königreich gehört damit zu den zehn Staaten, die zusammen mehr als die Hälfte der Flüchtlinge dieser Welt beherbergen. Seit 1990 hat sich die Bevölkerung des ressourcen- und wasserarmen Landes insgesamt verdreifacht.

650.000 syrische Flüchtlinge registrierten die Vereinten Nationen in Jordanien, die Regierung zählt 1,3 Millionen Syrer, die seit Beginn des Bürgerkriegs in den Wüstenstaat gekommen sind. Nur ein Bruchteil von ihnen lebt in den Flüchtlingscamps, 90 Prozent haben sich in den Städten und Gemeinden angesiedelt, wo sie nahezu ohne Hilfe auskommen müssen. Schulsystem, Gesundheitswesen, Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie die staatliche Verwaltung sind längst überlastet. Spannungen und Konkurrenzen zwischen Flüchtlingen und vor allem den armen Bevölkerungsschichten Jordaniens belasten die Kommunen, die sich von der internationalen Gemeinschaft alleingelassen fühlen. 

Zu diesen praktischen Problemen kommen Straffälligkeit und eine Verschlechterung der Sicherheitslage, da sich syrische Kämpfer unter den Flüchtlingen befinden und jordanische IS-Milizionäre zurückgekehrt sind. Da es in den Kriegen den irakischen und den syrischen Exportmarkt ebenso verlor wie die Handelsroute durch Syrien zu den europäischen Märkten, wurde Jordanien auch wirtschaftlich hart getroffen.

Kann Jordanien wirtschaftlich stabilisiert werden?

Im Juni 2018 gab es eine Woche Massenproteste gegen die Sparmaßnahmen der Regierung, die daraufhin umgebildet wurde. Diese sieht sich mit Herausforderungen konfrontiert, die auch uns in Europa sorgen sollten. Denn Jordaniens politische Stabilität ist in der notorisch instabilen Region ein so wichtiges wie zerbrechliches Gut. 

Jordanien muss sich ökonomisch reformieren: Seit Jahren wandern die klügsten Köpfe aus, das Land hat eine hohe Schuldenquote von 94 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und eine weiter steigende Arbeitslosenquote von derzeit über 18 Prozent. Viele Menschen, die ihren bescheidenen Lebensstandard gefährdet sehen, profitieren noch von einer viel zu geringen Steuerquote und eigentlich nicht finanzierbaren Subventionen auf Brot, Wasser und Energie, die auch den Flüchtlingen zugutekommen. Als die Steuern nun auf unterste Einkommen ausgeweitet und angehoben wurden, riefen Gewerkschaften, Berufs- und Wirtschaftsverbände den ersten Generalstreik im Land aus, gefolgt von den größten Demonstrationen seit der Gründung des Staates. Die Regierung hatte es unterlassen, die unverzichtbaren Reformvorhaben mit der Bevölkerung zu kommunizieren, die aufbegehrte, weil sie nicht länger bereit ist, die Lasten von staatlichem Missmanagement, Korruption und Nepotismus zu tragen. Die neue Regierung steht nun in der Pflicht, den Staatshaushalt zu sanieren, ohne noch mehr Menschen in die Armut zu treiben; sie muss der privaten Wirtschaft die Freiheiten gewähren, die Wachstum schafft. Solange nicht nur die Versorgung der Flüchtlinge, sondern auch der jordanischen Bevölkerung von ausländischer Hilfe abhängt, solange steht auch die Stabilität des Landes auf einem brüchigen Fundament.

Eben diese Stabilität ist eine gemeinhin weiter unterschätzte Aufgabe der internationalen Politik. Der Westen und die internationale Gemeinschaft waren nicht fähig, zur Deeskalation in Syrien beizutragen. Nun ist es nicht nur eine humanitäre, moralische Pflicht, Flüchtlingen und Vertriebenen Schutz und Hilfe in den Aufnahmeländern zu bieten, sondern auch ein vorrangiges politisches Interesse, die Aufnahmeländer in der Region bei der Bewältigung ihrer Herausforderungen umfassend zu unterstützen.

Was macht die internationale Gemeinschaft – und wie geht es mit dem Land weiter?

Ende Juni 2018 waren bis zu 300.000 Syrer der Provinz Dara‘a auf der Flucht vor Luftangriffen des Assad-Regimes und seines russischen Verbündeten im Norden Jordaniens gestrandet. Das kleine Haschemitische Königreich öffnete seine Grenzen für die Aufnahme weiterer Flüchtlinge aber nicht. Das Land müsse seine eigenen Interessen und seine Sicherheit schützen, erklärte Außenminister Ayman Safadi. Kalt lässt die Jordanier das Elend in der direkten Nachbarschaft keineswegs: Als die syrischen Vertriebenen begannen, ohne Wasser und Nahrung an der Grenze auszuharren, sammelten die Menschen im Norden Kartoffeln, Getränke, Kleidung und Medikamente. Freiwillige steuerten die Lastwagen voll Hilfsgüter ins Krisengebiet, sobald Syrien die Erlaubnis erteilte und das Risiko für das eigene Leben vertretbar schien. Verletzte, Kranke und Schwangere mussten erklären, dass sie nach einer medizinischen Behandlung wieder nach Syrien zurückkehrten, durften dann aber kurzzeitig die Grenze passieren und wurden in Lazaretten und Krankenhäusern versorgt. Jordanien leistet samt seiner Zivilgesellschaft humanitäre Hilfe, wo immer es kann.

Sinkendes Engagement für Schutzbedürftige vor Ort

In den sozialen Medien hatten Jordanier aus dem In- wie aus dem Ausland unter dem Hashtag #OpenTheBorders gefordert, die Grenzen für die Flüchtenden zu öffnen. Dieser Aufruf richtete sich ausdrücklich auch an die internationale Gemeinschaft. Diese verkennt in ihren Diskussionen zum Umgang mit Flüchtlingen in Europa und zur Einrichtung von Asylzentren, die illegale Einwanderer vom Betreten europäischen Bodens abhalten sollen, dass noch immer ein nur geringer Teil derjenigen, die weltweit Schutz und Existenzgrundlagen suchen, nach Europa zieht. Diejenigen, welche am dringendsten Schutz und Hilfe benötigen, leben als Vertriebene im eigenen Land oder harren in einem Schwebezustand ohne Perspektiven in Nachbarländern aus, die der Versorgung so vieler Menschen nicht gewachsen sind – von Integration erst gar nicht zu reden.

Angesichts zahlreicher Krisenherde und stärker gewordener Bestrebungen zur Abschottung gegen Migration schränken immer mehr Länder und Organisationen ihre Hilfsleistungen und -programme ein – auch für Jordanien. Da ist es verständlich, dass das Königreich derzeit nur denjenigen Schutz anbietet, für welche die internationale Gemeinschaft Unterstützung garantiert. So gewährt Jordanien den über Israel ins Land gekommenen syrischen Weißhelmen nur unter der Bedingung Asyl, dass sie innerhalb von drei Monaten von Deutschland und anderen Staaten aufgenommen werden.

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Die Unterstützung der Internationalen Gemeinschaft

Deutschland steht unter den internationalen Gebern in der bilateralen Zusammenarbeit an zweiter Stelle. In den Jahren 2017 und 2018 stellte es 575 Millionen Euro zur Verfügung; zudem steuert es bis zu einem Drittel der EU-Hilfe bei. Teil dieser finanziellen Hilfe sind günstige Langzeitkredite, die es dem Königreich ermöglichen sollen, seine Staatsschulden umzustrukturieren – so auch ein zusätzliches Darlehen von 87 Millionen Euro, das es der neuen jordanischen Regierung nach den Protesten ermöglicht, die Reformmaßnahmen noch einmal zu beraten und zu modellieren. Darüber hinaus werden die Gelder gezielt für Maßnahmen im Wasser- und Energiesektor sowie in der höheren und beruflichen Bildung eingesetzt.

Die Europäische Union hat Ende 2016 den „Jordan Compact“ mit einem Hilfsvolumen von 1,5 Milliarden Euro aufgelegt. Das Abkommen sieht einen präferentiellen Zugang zum EU-Markt für Produkte der Sektoren Plastik, Chemie und Textilien vor – allerdings nur für Unternehmen, die in einer der 18 ausgewählten Industrie- und Entwicklungszonen ansässig sind und deren Belegschaft zu mindestens 15 Prozent, ab 2019 mindestens 25 Prozent aus syrischen Flüchtlinge besteht. Jordanien verpflichtete sich zur Erteilung von 200.000 Arbeitsgenehmigungen für Syrer und hat hiervon bislang fast 85.000 erteilt. Die strategische Logik der Kooperation ist es, jordanische Exporte in die EU zu erleichtern und dadurch syrischen Flüchtlingen in Jordanien Arbeit zu geben. Im zweiten Jahr des Abkommens gibt es klare Umsetzungsdefizite, aber es sind Schritte benannt, um den Kreis der begünstigten Unternehmen und Industriesektoren, der Vergünstigungen, Anreize und Kooperationsmechanismen zu erweitern. Die erfolgreiche Umsetzung des Handelsabkommens ist ein zentraler Baustein zur Stärkung der Wirtschaft Jordaniens.

Hilfe um den Preis politischen Wohlwollens

Mitten in der schweren Krise der Massenproteste beschlossen Jordaniens Bruderstaaten am Golf, Saudi Arabien, Kuweit und die Vereinigten Arabischen Emirate, ein auf fünf Jahre angelegtes Hilfsprogramm von Finanzierungsgarantien und Infrastrukturinvestitionen in Höhe von 2,14 Milliarden Euro – das 3,5-fache der aktuellen Kreditlinie des Internationalen Währungsfonds. Diese Hilfe kommt jedoch nur durch politischen Druck zustande: Noch 2017 hatten Riad und Abu Dhabi sie verweigert, nachdem Jordanien im Konflikt mit Qatar eine von seinen Geldgebern unabhängige Position bezogen hatte. Der Westen muss in Sorge sein, dass Jordanien in seiner Position der wirtschaftlichen Schwäche und Abhängigkeit von Saudi Arabien und den Emiraten deren politischem Druck nachgeben und seine außenpolitischen Haltungen in Bezug auf Katar sowie im Sinne der Haltung der USA im israelisch-palästinensischen Konflikt anpassen muss – mit allen Konsequenzen für neue Instabilitäten im Innern. 

Jordanien und Syrien – wie geht es weiter?

König Abdullah II. hat sich immer für eine politische Lösung in Syrien eingesetzt und etwa Jordaniens Botschaft in Damaskus offengehalten; ohne Botschafter zwar, aber gegen erheblichen internationalen Druck. Assads Sturz war kein jordanisches Politikziel, wohl aber, dass Instabilität und Gewalt nicht nach Jordanien eindringen würden. So war es das operative Hauptziel der Politik Jordaniens, seine Nordgrenze zu Syrien zu sichern und die zahlreichen Terroristen, die das Königreich destabilisieren wollten, fernzuhalten. Sicherheit, regionale und geopolitische Überlegungen sowie das politische Management der Auswirkungen und Spiegelungen des Syrienkonfliktes in Jordaniens Innenpolitik waren die drei Großbereiche jordanischer Politik. Diese war von Misstrauen und Vorsicht geprägt, hielt aber auch Gesprächskanäle offen.

König Abdullah
Abdullah II. (2008) Abdullah II. bin al-Hussein, der König von Jordanien. © CC BY-SA 2.0 / Wikipedia / World Economic Forum / Abdullah II. bin al-Hussein, der König von Jordanien.

Nun hoffen viele Jordanier, dass neue Realitäten in Syrien die früher guten bilateralen Beziehungen wiederherstellen helfen, zumal Damaskus offenkundig wieder freundlichere Töne gen Amman anschlägt und jetzt wieder die beiden Grenzübergänge zwischen Jordanien und Syrien kontrolliert, die in der zuletzt zurückeroberten Provinz Dara’a liegen. Aber jordanische Hoffnungen auf eine schnelle Grenzöffnung hat Syrien erst einmal gedämpft und macht diesen Schritt von einem umfassenden Abkommen abhängig, das Fragen der strategischen Zusammenarbeit in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Sicherheit regeln soll. Dabei wird auch die Präsenz iranischer Kräfte zu regeln sein, die Jordanien von seiner Grenze ferngehalten sehen möchte.

Die Wiederherstellung und Neugestaltung der Beziehungen und des Verhältnisses zu Syrien nach dem Ende der Kampfhandlungen ist demnach die aktuelle Herausforderung des Königreiches, das sich einmal mehr im Zentrum eines regionalen Konfliktherdes behauptet hat. Man wird politische und Wirtschaftsdelegationen hin- und herreisen sehen, ebenso den Austausch von Botschaftern und schließlich die Wiedereröffnung auch des Grenzüberganges Naseeb-Jaber, den vor Ausbruch des Krieges monatlich 5.000 Lastwagen überquerten. Damit wäre die Landverbindung zwischen dem Nahen Osten und Europa wiederhergestellt – ein Fanal für die wirtschaftliche Entwicklung und den Wiederaufbau der geschundenen Region, aber auch eine immense Herausforderung für die europäischen Regierungen, die um ihre Grenzregime fürchten.

Ulrich Wacker, ehem. Projektleiter von Jordanien, Syrien und Irak (2014-2016), jetzt Projektleiter Israel und Palästinensische Gebiete der Friedrich-Naumann-Stiftung Jerusalem.

Constanze Sturm, ist Projektassistentin Nordafrika und Mittlerer Osten der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Amman.