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Keynote: DLG-Wintertagung
Ziele statt Zügel: Unternehmen machen lassen!

Paqué

Professor Dr. Karl-Heinz Paqué eröffnet die 16. Berliner Rede zur Freiheit mit Kaja Kallas, Premierministerin der Republik Estland

© Frank Nürnberger

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Landwirtschaft,

zunächst ein herzlicher Dank dafür, dass Sie mich eingeladen haben, hier in Leipzig bei Ihnen, der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft DLG, eine eröffnende Keynote zu sprechen. Ich habe die Einladung ohne Zögern angenommen und fühle mich geehrt, heute hier vor Ihnen zu stehen und einige Gedanken zur Rolle des Unternehmertums in der Landwirtschaft und in unserer Gesellschaft überhaupt bei der DLG-Wintertagung in Leipzig vortragen zu dürfen.

Lassen Sie mich allerdings eine Vorbemerkung vorausschicken. Es ist ein Wort des Respekts. Ihre Gesellschaft wurde 1885 von Max Eyth gegründet. Er leitete sie bis 1896. Max Eyth, ein Techniker, war ein typischer Vertreter jenes optimistischen Bürgertums in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, das an den Fortschritt durch neue Technologien fest glaubte, auch in eher traditionellen Gewerben wie der Landwirtschaft. Für ihn war es damals die Dampfmaschine, deren Nutzung im Agrarbereich er propagierte – inspiriert von seiner Arbeit in der Dampf-Pflugfabrik John Fowler & Co in Leeds.

Von Anfang ihrer Gründung an stand also Ihre Gesellschaft, die DLG, an der Spitze dessen, was heute Technologie-Offenheit genannt wird. Und genau diese Technologie-Offenheit ist ja bis heute der zentrale Grund, warum wir überhaupt weltweit in der Lage sind, die allermeisten Menschen zu ernähren, mit Erzeugnissen der Landwirtschaft – und dies bei einer Größe der globalen Bevölkerung, die um ein Vielfaches über der liegt, die es zur Mitte des 19. Jahrhunderts gab. Und Mitte dieses Jahrhunderts wird wohl die 10 Milliarden-Grenze bei der Größe der Weltbevölkerung überschritten.

Freilich: Technologie-Offenheit bringt wenig, wenn sie nicht von einem freien Unternehmertum inhaltlich und ökonomisch ausgefüllt wird. Dies konnte man an der permanenten Misere der Agrarwirtschaft des Sowjetsozialismus in Mittel- und Osteuropa bis zum Fall des Eisernen Vorhangs beobachten. Auch dort gab es Fortschritte der Arbeitsproduktivität und der Flächenproduktivität, und es gab auch Erweiterungen der Angebotspalette bei Lebensmitteln, aber all dies geschah eher sporadisch, und es konzentrierte sich stark auf jene kleinen Enklaven privater Initiative freien Bauerntums, die in einigen sozialistischen Ländern trotz weiträumiger Kollektivierung übrigblieben.

Wirtschaftlicher Fortschritt und freies Bauerntum gehören eben untrennbar zusammen. Diese Feststellung aus meinem Mund wird sie nicht überraschen, bin ich doch Vorstandsvorsitzender der liberal orientierten Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und von Hause aus ein marktwirtschaftlich orientierter Professor der Volkswirtschaftslehre, der im Übrigen als Kind in einem väterlichen Familienbetrieb aufwuchs, einer kleinen Brauerei im Saarland, die natürlich eng verbunden mit der Landwirtschaft war, zumindest was Hopfen und Malz betrifft.

In den nächsten 25 Minuten werde ich deutlich machen, dass wir in Europa und Deutschland in den letzten Jahren systematisch daran gearbeitet haben, die unternehmerische Freiheit des Bauerntums einzuschränken, ihr gewissermaßen Zügel anzulegen. Und ich werde politisch argumentieren, dass wir diesen Prozess rückgängig machen müssen, wollen wir die Innovationskraft der Agrarwirtschaft erhalten – und das wollen wir alle.

Beginnen wir mit einem Blick auf die Bauernproteste der letzten Wochen. Anlass war in Deutschland die Abschaffung der sogenannten Steuervergünstigung für Agrardiesel – im Rahmen eines Sparpakets, das die Bundesregierung als Konsequenz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse auf die Tagesordnung setzten musste. Wohlgemerkt: Man kann trefflich darüber streiten, ob es sich überhaupt um eine „steuerliche Vergünstigung“ handelt. Es ist nämlich dann keine Vergünstigung, wenn die Steuer auf Diesel eine Gebühr für die Straßen-Abnutzung ist, denn die Ackerfahrzeuge eines Bauern nutzen kaum die öffentlichen Straßen, sondern bewegen sich als mobile Maschinen auf den Feldern. Nur wenn es bei der Dieselbesteuerung um eine klimapolitisch motivierte Treibhausgassteuer geht, lässt sich überhaupt von einer Vergünstigung sprechen. Es gibt nun leider inzwischen eine politische Neigung, fast alle Steuern im Nachhinein ökologisch umzudeuten, auch wenn sie so gar nicht gemeint waren. So auch in diesem Fall.

 

Gängelung der Landwirte

Was genau im Kopf von Landwirtschaftsminister Özdemir vorging, als sein Haus die Streichung der sogenannten Vergünstigung des Agrardiesels vorschlug, kann hier aber dahinstehen. Denn die Proteste, die dann in Deutschland einsetzten und sogar auf Frankreich übergriffen, gingen viel weiter und hatten tiefere Gründe und Ursachen. Sie waren Ausdruck eines berechtigten Gefühls der Bauernschaft, dass die Politik sie gängelt. Sie richten sich gegen ein immer dichteres Netzwerk von ökologisch und klimapolitisch motivierten Regeln, die ihre unternehmerische Freiheit maßgeblich einschränken – weit mehr als in anderen Wirtschaftszweigen. Die Beispiele liegen auf der Hand:

  • Landwirte sollen zum Schutz und zur Schonung des Grundwassers weniger düngen, ohne dass überhaupt ein verlässliches Netz zur Messung vorhanden ist, um die Verunreinigung nach dem Verursacherprinzip einigermaßen präzise zuordnen zu können.
  • Landwirte sollen auf chemischen Pflanzenschutz verzichten, was in immer ehrgeizigeren Zielvorgaben zum Ausdruck kommt, ohne dass es gangbare Alternativen gibt, um Produktionseinbußen zu vermeiden und die Lebensmittel nicht über Gebühr zu verteuern.
  • Landwirte, die Tiere halten, sollen ihre Ställe umbauen, doch Baugenehmigungen sind schwer zu erhalten, die Verbraucher wollen die Mehrkosten nicht tragen und zudem wird die Tierhaltung oft ohne genaue Sachkenntnis als Tierquälerei an den Pranger gestellt.
  • Landwirte sollen Moore vernässen, erhalten aber dafür keinen adäquaten Flächenersatz, weil Flächen sehr knapp sind und oft genug zwischen Natura2000, dem Ausbau erneuerbarer Energien und anderen Verwendungszwecken verplant werden.
  • Landwirte sollen ihre Arbeit detailliert dokumentieren, was inzwischen durch Ausfüllen immer neuer Formulare etwa 10 Prozent ihrer Arbeitszeit ausmacht – und alles wird dann durch KI-gestützte Drohnenaufnahmen genauestens strafbewährt kontrolliert.

Die letztlichen Gründe für diese Misere liegen natürlich in den ökologischen und gesellschaftlichen Forderungen und Vorgaben, die in der Agrarwirtschaft im Umgang mit der Natur viel stärker zu Buche schlagen als in anderen, eher naturfernen Branchen. Die Bauern fühlen sich nicht mehr als Unternehmer zur Produktion von Nahrungsmitteln, sondern nur noch als Erfüllungsgehilfen einer fremdbestimmten Agrar-, Klima- und Umweltpolitik. Hinzu kommt der immense Anstieg der Betriebskosten. Kraftstoff und Dünger sind seit Beginn des Krieges von Russland gegen die Ukraine so teuer wie lange nicht mehr – dies merken die deutschen Landwirte, und sie fühlen die sich in ihrer betriebswirtschaftlichen Existenz bedroht.

 

Gesellschaftliche Ursachen der Frustration

Die Unzufriedenheit hat aber noch weitere, eher breitere gesellschaftliche Ursachen. Sie betreffen die Infrastruktur auf dem Land, das Rollenbild der Landwirte und das Höfe-Sterben. Lassen Sie mich kurz darauf eingehen.

(1) Da ist die systematische strukturelle Benachteiligung des ländlichen Raums. Trotz der Digitalisierungswelle, die unsere Gesellschaft erfasst hat, bleibt der ländliche Raum in vielen Teilen Deutschlands und Europas digital zwar nicht abgehängt, aber deutlich benachteiligt. Wohlgemerkt: Die GigaBit-Strategie der Bundesregierung ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Unter der Leitung von Dr. Volker Wissing als Bundesminister für Verkehr und Digitalisierung ist der Breitbandausbau deutlich vorangekommen. Inzwischen haben immerhin fast 10 Prozent der Haushalte in Deutschland einen Glasfaseranschluss. Und 95 Prozent der Bürgerinnen und Bürger haben Zugang zu einer 5G-Versorgung, weit mehr als früher.

Aber das reicht noch nicht. Jedenfalls nicht für eine hochmoderne Landwirtschaft. Wir leben in einer Zeit, in der Technologiesprünge nicht mehr Jahrzehnte von der Entwicklung bis zur Umsetzung und Marktdurchdringung benötigen. Das geht heute viel schneller. Kontinuierliche Neuentwicklungen insbesondere im Softwarebereich sind an der Tagesordnung. Die schlechte Netzanbindung auf den Feldern ist zu einem großen Nachteil für die deutschen Landwirte geworden. Ganz zu schweigen von der notwendigen Breitbandvernetzung für die Kommunikation zwischen Sonden, Drohnen und autonomen Landmaschinen. Moderne Landwirtschaft braucht 5G-Empfang an jeder Milchkanne und an jeder Stelle des Ackers.

(2) Ein weiteres drängendes Problem ist das unklare Rollenbild der Landwirte. Der grüne Zeitgeist hat in dieser Hinsicht das Bild zunehmend polarisiert und damit das politische Klima ein Stück weit vergiftet. Da werden auf der einen Seite Biolandwirte als Vorbilder gepriesen, gewissermaßen die auserwählten Nachfahren der traditionellen ehrlichen Bauern, die im Einklang mit der Natur arbeiten; auf der anderen Seite stehen die konventionellen Landwirte, die mit modernster Chemie und Technologie die Natur unterjochen statt sie zu pflegen. Diese Extrempositionen bilden die gelebte Realität in den meisten landwirtschaftlichen Betrieben überhaupt nicht ab; sie sind Karikaturen, die auch im Auge der Öffentlichkeit einen Keil in die Bauernschaft treiben. Tatsache ist doch, dass die meisten Land- und Forstwirte versuchen, so nachhaltig wie möglich zu wirtschaften, denn sie denken nicht von Legislaturperiode zu Legislaturperiode, sondern von Generation zu Generation. Die meisten Ihrer Betriebe sind Familienbetriebe - und das soll auch so bleiben.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich die Realitäten über die Jahrzehnte dramatisch und dynamisch verändern. Wer um die Jahrtausendwende seinen Betrieb übernommen hat, konnte kaum ahnen, wie stark die Klimapolitik in nur zwei Jahrzehnten ins Zentrum politischer Gestaltung rücken würde. Genauso wenig konnten die Landwirte zu Beginn der Grünen Revolution vorhersehen, welche Auswirkungen der übermäßige Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln auf die Bodenqualität und die Artenvielfalt haben würde. Mit diesen Veränderungen müssen die Landwirte leben. Und dies geht nur durch technischen Fortschritte und Innovationen.

Daraus folgt: Technischer Fortschritt und Innovationen dürfen nicht behindert oder blockiert werden. Es muss in der Regulierung das richtige Maß gefunden werden. Hier gibt es eine Neigung der Brüsseler Bürokratie, mit unverhältnismäßigen Eingriffen die Herausforderung für die Bauern zuzuspitzen statt ihnen die Anpassung an die neuen Realitäten zu erleichtern. Es ist ein ewiger Kampf für die liberal gesinnten politischen Kräfte, die Verschärfungen der Regulierung aus Brüssel zu verhindern, was dann gelegentlich sogar in der Öffentlichkeit als europafeindliche Politik gegeißelt wird. So gelang es meiner Partei, den Freien Demokraten zusammen mit ihren Verbündeten, die Einführung der SUR-Norm von Frau von der Leyen zu verhindern. Es ist gut und wichtig für die europäischen Landwirte, dass diese unsinnige Vorschrift vorläufig vom Tisch ist. Warum sollten wir auf den Einsatz moderner, gezielt wirkender Pflanzenschutzmittel verzichten oder die Wirkstoffmenge reduzieren? Das wäre fortschrittsfeindlich und würde die europäische Landwirtschaft zusätzlich unter Druck setzen. Ähnliches gilt für das geplante Verbot von Glyphosat, das gleichfalls durch die Liberalen und ihre Verbündeten verhindert wurde, jedenfalls vorerst. Der Kampf geht weiter.

(3) Ein grundlegendes Problem der Landwirtschaft ist schließlich das Höfe-Sterben. Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland und Europa nimmt kontinuierlich ab. Dieser Trend ist nicht nur eine Folge der Globalisierung und des wirtschaftlichen Drucks, sondern auch der demografischen Entwicklung und der oft schwierigen Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft. Wir stehen vor der Herausforderung, die Landwirtschaft für die nächste Generation so attraktiv zu machen, dass der Bauernstand eine Zukunft hat. Überbordende Bürokratie und Verbote sorgen dafür, dass sich die Berufsperspektive des Landwirts für junge Menschen verdüstert. Welcher junge Mensch, der vorhat, unternehmerische Verantwortung zu tragen und dazu auch das Talent hat, will schon beruflich als Erfüllungsgehilfe der Politik enden?

Das beginnt bei Themen wie der Gängelung der Tierhalter und endet bei der Flächenstilllegung. Deren Sinn erschließt sich mir als Ökonomen ohnehin nur schwer. Tatsache ist doch: Wir haben in Deutschland einige der besten Böden der Welt und generell hervorragende Bedingungen für nachgefragte Feldfrüchte. Warum sollten wir diese Flächen stilllegen, wenn wir mit dem Ertrag, den wir dort erwirtschaften, an anderer Stelle der Welt deutlich größere Flächen entlasten könnten, um Umwelt- und Biodiversitätsziele zu erreichen? In der Volkswirtschaftslehre spricht man hier von Opportunitätskosten, und zwar im globalen Maßstab. Es ist nicht einzusehen, dass in einer klimatisch begünstigen Region wie Europa und Deutschland die Landwirtschaft ausgedünnt wird, während sie sich in anderen Regionen der Welt ausdehnt und dort vielleicht auch zur Abholzung von klimapolitisch wichtigen Wäldern führt. Es gilt eben, globale Klimaziele so zu erreichen, dass deren globale ökonomische Kosten minimiert werden.

 

Lösungen für die Zukunft

Kommen wir nun zur Politik. Genauer: zu den politischen Grundprinzipien.  Ich bin überzeugt, dass uns vor allem zwei Grundprinzipien den Weg weisen müssen: (1) Offenheit gegenüber technologischen Entwicklungen und (2) eine radikale Verminderung der bürokratischen Auflagen. Das gilt im Übrigen nicht nur für die Landwirtschaft, sondern für die Wirtschaft im Allgemeinen.

Nun mag mancher sagen, das Thema Technologieoffenheit sei ein alter Hut, überholt durch die Dramatik der ökologischen und klimapolitischen Problemlagen. Und in der Tat ist gerade im politischen Berlin immer wieder zu hören, dass die Herausforderungen, die vor uns liegen, so gewaltig sind, dass die Geschwindigkeit, mit der sich Technologien durchsetzen, nicht ausreichen wird, um die notwendigen Veränderungen herbeizuführen – und dies selbst unter optimalen Bedingungen. Also: Die Vision des Wegs in eine Katastrophe, die nur durch das politische Herumreißen des Ruders zu verhindern ist.

Als liberaler Ökonom bin ich anderer Meinung. Katastrophenszenarien dienen oftmals nur als Rechtfertigung, um immer härtere Einschnitte in das Leben von Bürgerinnen und Bürgern aus ihnen abzuleiten. Der Widerspruch dagegen soll – so der dahinterliegende Gedanke – möglichst im Keim erstickt werden, damit der Weg zu immer weitergehende Eingriffe eröffnet wird, oft im Geist einer höheren Moral. Das Ausüben von Zwang gegen wird gerechtfertigt, um das höhere Ziel zu erreichen. Die Technologieoffenheit wird als Prinzip diffamiert, weil sie – das ist einzuräumen – ein Restrisiko zulässt und mit diesem lebt: nämlich das Restrisiko, dass doch keine Lösung für die ökologischen Herausforderungen gefunden wird.

Als Liberaler setze ich dagegen auf die Innovationskraft und den Erfindungsreichtum der Menschen. Denn eines ist ganz bemerkenswert: Je höher der Anpassungsdruck, desto schneller finden wir Lösungen – dies ist eine geschichtliche Erfahrung, nicht die blauäugige Phantasie von Berufsoptimisten.

Lassen Sie mich das an einem besonders eindrucksvollen Beispiel aus der Landwirtschaft verdeutlichen: der Grünen Revolution. Diese Erfolgsgeschichte begann Anfang der 1940er Jahre mit einer Kooperation zwischen der Rockefeller Foundation und der mexikanischen Regierung. Erklärtes Ziel dieses Projektes war es, ertragreichere Sorten für die wichtigsten Agrarprodukte und Grundnahrungsmittel Mexikos zu entwickeln. Damals importierte Mexiko etwa die Hälfte der landwirtschaftlichen Erzeugnisse für den heimischen Konsum. Kaum zwanzig Jahre später war Mexiko u. a. in der Weizenproduktion autark. Das allein machte die Innovation schon beachtlich, aber noch nicht unbedingt revolutionär. Die wirkliche Ertragsrevolution kam erst in den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Damals vernichteten Stürme und Dürren die Ernten ganzer Landstriche Asiens und Afrikas - gleichzeitig ermöglichte eine bessere medizinische Grundversorgung eine gewaltige Bevölkerungsexplosion. Das Ergebnis war vorhersehbar: Hungersnöte und Kriege verwüsteten die betroffenen Gesellschaften. Gleichzeitig schwelte der Kalte Krieg zwischen dem Ostblock und dem freien Westen. In diesem Zusammenhang waren ertragsgesteigerte Feldfrüchte ein entscheidendes Faustpfand des Westens. So wurde aus einer Mischung von geopolitischem Druck, Erfindungsreichtum und einer Notsituation eine echte Revolution, die unsere Welt, wie wir sie heute kennen, erst geschaffen hat.

Eine solche Mischung aus Geopolitik und Wetterextremen wird uns wohl auch in der Zukunft begleiten - ich kann nur hoffen, dass uns auch der Erfindungsreichtum erhalten bleibt. Technologieoffenheit wird auch in Zukunft ein solcher Schlüssel zur Lösung bleiben. Dafür gibt es Anzeichen, die optimistisch stimmen, denn wir leben in einer Zeit bahnbrechender technologischer Entwicklungen: Das fängt bei der Smart Agriculture an, der intelligenten Landwirtschaft, die unter Einsatz digitaler Instrumente die Bearbeitung der Felder und die Nutztierpflege optimiert. Es reicht bis hin zu neuen gentechnischen Methoden mit Gen-Scheren wie CRISPR. Und es betrifft auch jene Projekte, die bisher kaum über den Konzeptstatus hinausgekommen sind wie zum Beispiel die synthetische Fleischproduktion.

Ich möchte an dieser Stelle nicht zu sehr ins Detail gehen, aber erlauben Sie mir, symbolisch ein wenig über den heutigen Tellerrand hinauszublicken: Wäre es nicht großartig, wenn Hirse, das Hauptnahrungsmittel in vielen besonders armen Regionen Ostafrikas, durch gentechnische Veränderung einen höheren Proteingehalt hätte? Oder gar durch die Einpflanzung von Vitamin-B-Komplexen das Risiko einer Malariainfektion deutlich gesenkt werden könnte?

Ich gehe sogar so weit zu spekulieren, dass wir erst am Anfang einer zweiten Grünen Revolution stehen. Diese Revolution drohte in den letzten Jahrzehnten politisch ausgerechnet an einem „grünen“ Zeitgeist zu scheitern, den die Partei „Die Grünen“ in Deutschland politikfähig machte und der schließlich weite Bereiche fast des gesamten politischen Spektrums durchzog. Umso dankbarer bin ich, dass wir derzeit mit der Liberalen Bettina Stark-Watzinger eine kompetente Fürsprecherin für neue Züchtungsmethoden an der Spitze des Bundesforschungsministeriums haben. Die Zeit der pessimistischen Skepsis ist vorbei, jedenfalls in dem zuständigen Bundesministerium.

Kurzum: Die Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung und Ressourcenschonung sind enorm. Wir müssen diese Technologien nicht nur zulassen, sondern aktiv an den richtigen Rahmenbedingungen feilen – und sie dann auch in unsere landwirtschaftliche Praxis zu integrieren. Genau dies liegt in Ihrer Hand, in der Hand der Bauernschaft.

Damit komme ich zu meinem zweiten zentralen politischen Punkt, dem zwingend notwendigen Bürokratieabbau. Letztlich ist es egal, welche Zeitung man aufschlägt: Wann immer man im heimischen Wirtschaftsteil angelangt ist, wird man an der einen oder anderen Stelle von überbordender Bürokratie und lähmenden Behördengängen lesen. Für Sie, liebe Landwirtinnen und Landwirte, gilt das in besonderem Maße. Ob aus Brüssel, aus Berlin oder in den Landesministerien: Überall lauert ein Wust von Vorschriften, Dokumentationspflichten und Auflagen. Damit muss Schluss sein! Wir müssen uns vor allem auf EU-Ebene für eine Vereinfachung und Harmonisierung der Regelungen einsetzen, um den Landwirten mehr Freiräume zu geben, ohne dabei den Verbraucher- und Umweltschutz aus den Augen zu verlieren. Und wir müssen vor der eigenen Haustür kehren. Allzu oft hat nämlich das deutsche Landwirtschaftsministerium die Regeln aus Brüssel hierzulande noch erheblich verschärft und es damit den deutschen Landwirten unnötig schwergemacht, im Wettbewerb zu bestehen. Auch damit muss Schluss sein.

Bis hierher werden Sie, so hoffe ich jedenfalls, bei einer Tagung der DLG mit dem größten Teil meiner Rede einverstanden sein, aber ich fürchte, dass bei meinem letzten Punkt der Konsens zwischen uns etwas schwieriger ist. Denn als Liberaler und als Ökonom bin ich natürlich auch ein leidenschaftlicher Verfechter des internationalen Freihandels. Das gilt auch oder gerade für das Abkommen zwischen den Staaten des Mercosur-Bündnisses und der Europäischen Union, das jetzt kurz vor dem Abschluss steht. Es wird, dessen bin ich mir völlig bewusst, auch für Ihre Branche Herausforderungen mit sich bringen. Aber gesamtwirtschaftlich überwiegen langfristig die Vorteile bei weitem die Nachteile – übrigens diesseits und jenseits des Atlantiks. In der neuen globalen Arbeitsteilung wird Platz sein für die Landwirtschaft Lateinamerikas und die Landwirtschaft Europas – und dies umso mehr, je stärker die EU der technologieoffenen Unternehmerschaft in ihrer eigenen Agrarwirtschaft die nötigen Spielräume lässt.

Im Übrigen sind Mercosur und ähnliche EU-Vereinbarungen mit anderen Teilen der Welt auch in unserem geopolitischen Interesse. Ich selbst reise als Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung und Deputy President der Liberalen Internationale viel durch die Welt. Und fast überall, wo ich hinkomme, stelle ich fest: China ist längst da, und meistens auch Russland. Wir haben als westliche Demokratien eben auch mächtige autokratische Konkurrenten. Deswegen dürfen wir nicht zu wählerisch sein beim Abschluss von Handelsabkommen, weil wir sonst an Einfluss in der Welt verlieren. Der Verbreitung von Demokratie, Rechtsstaat und Marktwirtschaft tuen wir mit zu viel Zurückhaltung keinen Gefallen.  

Mein Fazit lautet: Die Landwirtschaft in Deutschland und Europa hat eine Zukunft. Voraussetzung ist allerdings, dass wir die politischen Weichen so stellen, dass sie als moderne Branche im internationalen Wettbewerb bestehen kann. Dazu braucht sie

  • eine leistungsfähige ländliche Infrastruktur,
  • einen Abbau unnötiger Bürokratie und
  • den Rückgriff auf modernste Technologie.

Und sie braucht vor allem Menschen, die – gut ausgebildet – ihren Beruf als professionelle Landwirte mit vollem Einsatz und Leidenschaft ausüben. Dafür muss die Politik den Weg ebnen. Sie muss aus den Bauernprotesten die richtige Schlussfolgerung ziehen. Und die lautet: Entfesselung statt Gängelung, Ziele statt Zügel.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.