G20-Gipfel
Kein Zuckerschlecken am Zuckerhut: G20-Gipfel in Rio de Janeiro
Der G20-Gipfel am kommenden Montag und Dienstag in Rio de Janeiro dürfte für die brasilianische Präsidentschaft kein Zuckerschlecken werden. Die Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs der 20 größten Volkswirtschaften findet unter erschwerten Voraussetzungen statt.
USA und Deutschland in Zeiten innenpolitischen Umbruchs
Die amerikanischen Präsidentschaftswahlen vergangene Woche werden unvermeidlich die Debatten auf den Konferenzfluren beeinflussen. Zwar wird Präsident Joe Biden nach Rio de Janeiro reisen, aber die wirklich spannende Frage dürfte bereits jetzt sein, welche Positionen sein Vorgänger und designierter Nachfolger Donald Trump ab dem 20. Januar im Weißen Haus vertreten wird. Erste Ankündigungen Trumps lassen für engere globale Zusammenarbeit wenig Gutes erwarten: Statt Freihandel drohen neue Wirtschaftskriege durch Strafzölle für Europa und China, statt Bekenntnis zu Klimaschutz und internationalen Abkommen ein erneuter Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen. Nachdem die Ampel-Koalition durch die Entlassung von Finanzminister Christian Lindner faktisch beendet wurden, kann der amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz nur noch als „Lame duck“ nach Rio de Janeiro reisen. Damit ist die zukünftige Positionierung von zwei der drei größten Volkswirtschaften der Welt auf dem Gipfel unklar.
Lange Liste an Herausforderungen und unterschiedliche Interessen
Dabei scheint die Liste der globalen Herausforderungen nicht enden wollend. Der Krieg Russlands in der Ukraine geht mit unverminderter Härte weiter, unterstützt nun auch noch durch Soldaten aus dem devisenhungrigen Nordkorea. Aufgrund des internationalen Haftbefehls gegen Präsident Putin muss sich dieser voraussichtlich von Außenminister Sergej Lawrow vertreten lassen. Die Auswirkungen des Klimawandels schreiten voran und während einige der anwesenden Länder, allen voran Indien und Indonesien, beeindruckende Wachstumsraten mit bis zu 7 Prozent aufweisen, bleibt die Lage in Deutschland oder Argentinien deutlich abgeschlagen.
Ehrgeizige Agenda von Präsident Lula
In diesem anspruchsvollen und aufgeladenen Umfeld hat sich Präsident Lula da Silva für den Gipfel in Rio de Janeiro als Höhepunkt der brasilianischen G20-Präsidentschaft viel vorgenommen. Im Mittelpunkt seiner Agenda stehen unter dem Leitthema „Eine gerechte Welt und einen nachhaltigen Planeten gestalten“ die Themen Abbau von Ungleichheit, die Stärkung der Süd-Süd-Zusammenarbeit, Klimagerechtigkeit sowie eine Reform der globalen Governance und damit der internationalen Organisationen.
Zur Verringerung der Ungleichheit in der Welt strebt Brasilien die Einrichtung einer Task Force für eine Globale Allianz gegen Hunger und Armut an. Ziel ist es, Ressourcen und Wissen für die Umsetzung öffentlicher Maßnahmen und sozialer Technologien zu beschaffen, die sich bei der Reduzierung von Hunger und Armut in der Welt als wirksam erwiesen haben. Der Beitritt zur Globalen Allianz wird nicht nur den G20-Mitgliedern, sondern allen interessierten Ländern offenstehen. Fraglich bleibt allerdings, ob sich ausreichend Länder finden, die nicht nur in Lippenbekenntnisse, sondern auch finanzielle Ressourcen zur Verringerung von Hunger und Armut bieten. Ob diese dann auch zur nachhaltigen Entwicklung in Zielländern beitragen oder, wie das Beispiel China zeigt, eher eigenen politische und wirtschaftliche Interessen dienen, bleibt abzuwarten.
In der Klimapolitik will Brasilien mit einer Task Force für die globale Mobilisierung gegen den Klimawandel einen hochrangigen Dialog zwischen Regierungen, Finanzinstitutionen und internationalen Organisationen fördern. Ziel ist hier, die globale makroökonomische und finanzielle Angleichung zur Umsetzung der Ziele des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC) und des Pariser Abkommens zu verbessern. Brasilien wird beim Gipfel, ebenso wie bei der COP30 in Belém im kommenden Jahr, bestrebt sein, sich als ein Schlüsselland im Kampf gegen den Klimawandel zu präsentieren. Das Land im Herzen des Amazonasgebietes steht damit als Symbol für die ökologischen Herausforderungen, denen sich die Welt gegenübersieht. Jedoch kratzen die, oft durch Raubbau menschlich verursachten, Waldbrände am Image und der Glaubwürdigkeit Brasiliens in Bezug auf seine Klimaziele. Dies symbolisiert innenpolitische Zielkonflikte, welche anderen geladenen Staaten nur mehr als bekannt sein sollten.
Brasiliens Prioritäten im Menschenrechtsbereich sind bislang auch noch unklar. In der letzten Sitzungsperiode des UN-Menschenrechtsrates enthielt sich das Land beispielsweise bei tagespolitisch besonders wichtigen Resolutionen zur Verlängerung der Untersuchungskommissionen in Syrien und Venezuela sowie zur Verlängerung des Mandats der Sonderberichterstatterin zur Menschenrechtssituation in Russland. Menschenrechte werden durch Brasilien einzig in afrikanischen Ländern unterstützt, nicht aber im Rest der Welt. Gerade das Abstimmungsverhalten zu Russland oder von Russland eingebrachten Resolutionen sind angesichts der gravierenden Verbrechen Russlands bemerkenswert. Es untermauert, dass Präsident Lula die wirtschaftliche Beziehung zum russischen Präsidenten nicht gefährden und seine Rolle innerhalb von BRICS stärken will.
Brasilien könnte wichtige Rolle als Brückenbauer zwischen Blöcken spielen
Brasilien sieht sich zum einen als Sprecher der Interessen des „globalen Südens“. Gleichzeitig ist das größte Land Lateinamerikas aber auch Gründungsmitglied des Staatenbündnisses BRICS, dessen Präsidentschaft es im nächsten Jahr ausüben wird. Im Unterschied insbesondere zu Russland und China, beides ebenfalls G20-Mitglieder und BRICS-Gründungsstaaten, ist die Außenpolitik und -wirtschaft Brasiliens nicht gegen den Westen gerichtet. Das Land setzt auf Diversifizierung seiner politischen und wirtschaftlichen Interessen. Zwar ist China für Brasilien ein willkommener Handelspartner und wichtiger Investor in Schlüsselbereichen wie Energie und Infrastruktur, aber Brasilien hat sich jüngst gegen eine offizielle Beteiligung an der chinesischen Belt and Road Initiative ausgesprochen, um die USA und die EU nicht zu brüskieren.
Spannend zu beobachten wird schließlich sein, ob es – trotz erheblicher Widerstände Frankreichs – am Rande des Gipfels endlich zu Fortschritten bei der Verabschiedung des EU-Mercosur-Abkommens kommt, das seit mittlerweile 25 Jahren verhandelt wird. Gerade auch im Hinblick auf den zunehmenden geopolitischen und -ökonomischen Systemwettbewerb mit autoritären Staaten ist die Finalisierung dieses Abkommens überfällig. Unterschätzt werden zudem die Chancen, die das Abkommen gerade für europäische Unternehmen mit ihrem technologischen Knowhow bei der „grünen Reindustrialisierung“ in Brasilien bietet, also der Verbindung von grünem Wasserstoff und erneuerbarer Energien mit der Wertschöpfung energieintensiver Produktion in Brasilien. Es ist zu hoffen, dass sich diese Erkenntnis in Rio bei allen europäischen Beteiligten durchsetzt und das Abkommen endlich zeitnah in Kraft treten kann.
Das diesjährige Gipfeltreffen steht zwischen den wachsenden Interessen neuer Blöcke. Während die G7-Länder darauf drängen werden, bestehende Machtstrukturen zu sichern und westliche Interessen zu wahren, kommt es vermehrt zu selbstbewussterem Auftreten der BRICS-Staaten. Diese wollen ihre wachsende ökonomische und politische Stärke nutzen, um den Einfluss des „globalen Südens“ zu forcieren und die Dominanz des Westens in der Weltwirtschaft und globalen Institutionen zurückzudrängen. In einer Zeit wachsender geopolitischer Spannungen und wirtschaftlicher Ungleichgewichte könnte Brasilien durch seine Vermittlerrolle nicht nur das Vertrauen beider Blöcke gewinnen, sondern auch zu einem Eckpfeiler für eine kooperative und multipolare Weltordnung werden. Doch diese Aufgabe ist kein Zuckerschlecken.
Vielfältige Aktivitäten der Stiftung rund um den Gipfel
Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit hat rund um den G20-Gipfel in Rio de Janeiro mehrere Veranstaltungen durchgeführt. Am 11. November fand in der brasilianischen Botschaft in Berlin ein Symposium statt zum Thema „Brasilien setzt den Ton: Die G20 und ihre Zukunft – Welche Spuren hinterlässt die G20-Präsidentschaft Brasiliens?“, bei der u.a. der Botschafter Brasiliens in Deutschland, Roberto Jaguaribe Gomes de Mattos, und der Vorsitzende des Vorstands der Stiftung, Professor Karl-Heinz Paqué, sprachen. Das Büro der Stiftung in Buenos Aires führte am 9. und 10. November an der UCEMA in Buenos Aires ein G20-Simulationsspiel durch, bei dem sich 75 Studierende von 14 argentinischen Universitäten mit den Themen der Gipfelagenda auseinandersetzen und ihre Verhandlungsfähigkeiten üben konnten und bei der G20-Sherpa Argentiniens, Federico Pinedo, ein Video-Grußwort sprach.