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Niederlage bei Parlamentsnachwahl enthüllt Nöte der britischen Regierung und gibt den Liberaldemokraten neue Hoffnung

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© 400tmax via canva.com

„Three Wheels on my Wagon“ sangen Burt Bacharach and the New Christy Minstrels im Jahr 1964, dem Geburtsjahr des aktuellen britischen Premierministers Boris Johnson – eine treffende Beschreibung für den heutigen Zustand seiner Regierung.

Der Karren der Konservativen liegt mit drei Rädern im Graben. Rekordverdächtige Coronazahlen Maßnahmen, die etwa so viel Orientierung aufweisen wie der Zickzackkurs einer Heuschrecke durch ein Kornfeld, haben für viel Verwirrung in der Öffentlichkeit wie auch zu Frustration im Gesundheitssektor geführt. Die Folgekosten des Brexit – dieses Jahr wurden fast 100 Milliarden Pfund an Verlusten im Handel eingefahren und es gibt Engpässe an Arbeitskräften, Medikamenten und Lebensmitteln – haben das Vertrauen in den Premierminister erschüttert. Jener Premier, der große wirtschaftliche Vorteile im Rahmen neuer Handelsabkommen mit den USA und anderen Ländern versprochen hatte. Neuerdings haben zudem noch Beweise für Gesetzesverstöße prominenter Mitglieder der konservativen Regierungspartei und Selbstbereicherung derselben zu Lasten anderer Parteien das Vertrauen der Öffentlichkeit weiter geschwächt. Vor einigen Tagen sah sich die Regierung mit einer großen Rebellion in den eigenen parlamentarischen Reihen konfrontiert und musste sich auf die Stimmen der Oppositionsabgeordneten verlassen, um Maßnahmen zur öffentlichen Sicherheit noch verabschieden zu können.

Vergangene Woche haben die Konservativen eine Nachwahl in einem Wahlkreis verloren, den sie zuvor über 200 Jahre lang gehalten hatten. Die Kandidatin der Liberaldemokraten, Helen Morgan, erhielt hier 47 % der abgegebenen Stimmen und gewann den Wahlkreis North Shropshire mit einer Mehrheit von fast 6.000 Stimmen – ein herber Schlag für Johnson.

Der Premierminister wirkt zunehmend angeschlagen. Ein Mann, der für sich beansprucht, in die Fußstapfen Winston Churchills treten zu wollen, über den er sogar eine Biographie verfasst hat, scheint selbst wenig von Churchills Stärke in Krisensituationen zu besitzen. Um die öffentliche Aufmerksamkeit von seinen persönlichen Problemen abzulenken, hat er sich in zwecklose und destruktive Konflikte mit Frankreich über Fischereirechte und Migranten sowie in einen Streit mit Gesundheitsexperten über Covid verstrickt. Viele zweifeln an seinem Durchhaltevermögen, sollte die Lage weiterhin schwierig bleiben. Zwei potenzielle Herausforderer für das Amt des Premierministers mobilisieren bereits ihre Unterstützer.

Parlamentarische Nachwahlen dienen als eine Art Sicherheitsventil in der britischen Politik. Arithmetisch betrachtet wird es für Premierminister Johnsons Mehrheit im Parlament kaum einen Unterschied machen, wenn seine Partei einen Abgeordneten weniger hat und die Liberaldemokraten einen mehr. Seit dem Überraschungserfolg der Liberaldemokraten in Chesham und Amersham mit der Wahl von Sarah Green vor sechs Monaten haben die Konservativen in weniger bekannten Nachwahlen andernorts problemlos zwei Sitze wieder dazugewinnen können.

Für die Oppositionsparteien ist das Rennen bei Nachwahlen jedoch immer ein Adrenalinschub. Die Liberaldemokraten begannen das Jahr 2021 mit nur 11 Abgeordneten, dem niedrigsten Level seit fünfzig Jahren. Nun sind sie bei 13, und ihre Reihen haben sich um zwei neue motivierte junge Abgeordnete erweitert, die das Gleichgewicht in der Fraktion zugunsten der weiblichen Belegschaft verschieben. Der Vorsitzende der Liberaldemokraten, Ed Davey, ehemaliger Regierungsminister, der zuvor nur mit Mühe die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich ziehen konnte, wird zu Weihnachten mit frischem Schwung nach Hause zurückkehren.

Auch unter den führenden Abgeordneten der Labour Party und Liberaldemokraten ist nun eine gemeinsame Absicht erkennbar, Großbritannien von der wirtschaftlich verhängnisvollen Politik der konservativen Regierung zu befreien. Auch wenn die geteilte Bereitschaft bisher unausgesprochen bleibt, erkennen beide Parteien an, dass sie aufgrund des britischen Wahlsystems nicht darauf hoffen können, ohne die jeweils andere Partei eine Regierung bilden zu können. Die Erfahrungen, die die Liberaldemokraten in ihrer Amtszeit 2010-15 mit den Konservativen gemacht haben, haben den Geist von Adam Smith und John Stuart Mill in der Partei geschärft; die Demütigung, den Brexit nicht haben verhindern zu können, welche Labour unter Corbyn erfahren hat, hat zahlreichen Egos in der Partei einen Schlag versetzt. Obwohl ihre parlamentarische Mehrheit es den Konservativen erlauben dürfte, für die verbleibenden zwei oder drei Jahre dieses Parlaments eine stabile Regierung zu stellen, wird die Öffentlichkeit voraussichtlich eine ernstzunehmende Alternative haben, wenn sie in zwei oder drei Jahren erneut ihr Urteil fällen wird.

 

Sir Graham Watson

MdEP 1994-2014 und ehemaliger Präsident der Liberalen in Europa