Europäisches Parlament
Stéphane Séjourné übernimmt den Fraktionsvorsitz der liberalen Fraktion im Europaparlament
Der französische Europaabgeordnete Stéphane Séjourné wurde am Dienstag, den 19. Oktober in Straßburg zum neuen Vorsitzenden von Renew Europe gewählt, der drittgrößten Fraktion im Europäischen Parlament. Damit wird der französische Einfluss innerhalb von Renew, der insgesamt 23 französische Abgeordnete angehören, größer. Séjourné war bereits Vorsitzender der französischen Delegation Renaissance innerhalb der liberalen Fraktion und gilt als ehemalige Berater von Emmanuel Macron im Elysée-Palast als deren treuer Begleiter.
Nähe zum französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron
Nicht zuletzt aufgrund seiner persönlichen Nähe zum französischen Präsidenten war die Kandidatur des erst 36 Jahre junge Stéphane Séjourné für den Posten zunächst durch aus unklar: weniger als drei Monate vor dem offiziellen Beginn der französischen EU-Ratspräsidentschaft und den anstehenden
französischen Präsidentschaftswahlen im April wurde Séjourné bereits als Kampagnenführer für Macron in Paris gehandelt. Zudem gab es Spekulationen, er könne auch in die Führungsriege von En Marche aufsteigen und ggf. sogar den Generalsekretär, Stanislas Guérini, ersetzen, sollte dieser künftig ein Regierungsamt bekleiden. Bevor er dem Europäischen Parlament als Abgeordneter im Rechtsausschuss sowie Sonderausschuss für künstliche Intelligenz beitrat, führte er die Europawahlkampfkampagne von En Marche. So kam der Vorschlag, ihn als Kandidaten zu ernennen, wohl für ihn selbst eher überraschend und einige Kritiker innerhalb der französischen Regierungsmehrheit in der Nationalversammlung munkeln, dass er sogar etwas enttäuscht gewesen sein könnte. „Er darf nicht der Vorsitzende der französischen Abgeordneten sein. Er muss der Vorsitzende der gesamten Gruppe sein", so ein Mitglied von Renew gegenüber dem Figaro. Demgegenüber betonte Séjourné seine Bereitschaft, die verschiedenen Fäden innerhalb der Fraktion zusammenzuführen und als einigende Kraft zu fungieren. Helfen könnte ihm dabei auch seine Ankündigung, vollständig nach Brüssel zu ziehen und seine Rolle als politischer Berater von Emmanuel Macron aufzugeben.
Wahl innerhalb der Fraktion: Kandidat und Kandidatin
Der Posten der Fraktionsspitze war vakant geworden, nachdem der amtierende Dacian Cioloș, der zum Vorsitzenden der Union zur Rettung Rumäniens (USR Plus) gewählt wurde und seine politische Zukunft nun in der nationalen Politik Rumäniens sucht: So wurde Cioloș vom rumänischen Präsidenten Klaus Iohannis mit der Regierungsbildung beauftragt.
Vor Séjourné hatte die Niederländerin Sophie Int'Veld die Kandidatenbühne betreten. Sie ist bereits seit 2004 Europaabgeordnete der niederländischen D66 und verfügt damit über weit mehr Erfahrung auf europapolitischer Ebene als Sejourné. Gleichwohl zog sie ihre Kandidatur zurück, als immer deutlicher erkennbar wurde, dass sie jenseits ihres klaren inhaltlichen Profils und ihrer Verve im Auftritt zu stark polarisiert, um die Fraktion einigen zu können. Diese Sorge hatte auch die französische Delegation, die sich in der Vergangenheit mit Cioloș auf einen Verbündeten stützen konnte, da der rumänische Politiker nicht zuletzt durch seinen persönlichen Hintergrund (Studium in Frankreich und französische Ehegattin) stets den Schulterschluss mit den Franzosen innerhalb der Fraktion suchte.
Anstehende Herausforderungen und Chancen
Die neue Position könnte sich für Séjourné selbst und für die weitere Entwicklung innerhalb der Renew-Fraktion als strategisch positiv für die Liberalen erweisen. Die Bandbreite der politischen Agenden innerhalb von Renew ist erheblich, immer wieder müssen Meinungsverschiedenheiten geschlichtet werden. Nun könnte in Zukunft, gerade wenn die deutsche FDP der künftigen Regierung in Berlin angehört, das Gewicht der Liberalen auf der Europäischen Ebene insgesamt zunehmen. Sollten zudem die Wähler und Wählerinnen Frankreichs Macron im Amt bestätigen, könnten Schlagkraft und Zusammenhalt in der EP-Fraktion von einer frischen deutsch-französischen Regierungsachse profitieren.
Für Séjourné spricht, dass er als Anführer der französischen Delegation bereits Erfahrungen mit der Überwindung interner Differenzen gemacht hat, da auch die französischen Parteien, die innerhalb der Delegation vertreten sind (neben En Marche auch das Mouvement Démocrate, Agir und das Mouvement Radical) sich mit Blick auf Themen wie den europäischen Mindestlohn, das weitere Vorgehen um den Stabilitäts- und Wachstumspakt oder Freihandelsverträge, insbesondere mit Mercosur durchaus nicht einig sind.
Es bleibt abzuwarten, welche weiteren Machtverschiebungen die Wahl von Séjourné intern für die liberal-zentristische Renew Fraktion bedeutet, denn es ist durchaus denkbar, dass es auch bei den Vorsitzenden von Ausschüssen zu einem Wechsel kommt: so ist es gängige parlamentarische Praxis, dass es nach der Hälfte der Legislaturperiode zu einen Austausch des Vorsitzes der verschiedenen Ausschüsse gibt. Drei dieser Ausschüsse werden momentan von französischen Renew-Politikern geleitet (Auswärtiges, Umwelt und Fischerei) und im Rahmen der Neubesetzung der Fraktionsspitze könnte nun eine dieser Ausschüsse an eine andere Nationalität übergehen, so der Stand der internen Verhandlungen aus Kreisen der französischen Delegation.
Jeanette Süß ist European Affairs Managerin im Regionalbüro „Europäischer Dialog“ der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Brüssel und leitet dort die Frankreich-Aktivitäten.