Freiheitspreis 2024
Das andere Russland
Es war Wolfgang Gerhardt, der damalige Vorstandsvorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, der 2006 die Vergabe des Freiheitspreises der Stiftung initiierte. Vor wenigen Tagen wurde der Preis zum zehnten Mal vergeben – an Vladimir Kara-Murza, den mutigen russischen Oppositionellen, der bis vor Kurzem in Russland im Gefängnis saß und durch einen Gefangenenaustausch freikam. Zusammen mit seiner Frau Evgenia nahm er in der Frankfurter Paulskirche den Preis im Rahmen eines Festakts entgegen.
Ich bin sicher: Mein Freund Wolfgang Gerhardt wäre dabei gewesen, aber er ist im September verstorben. Die diesjährige Vergabe des Freiheitspreises hätte ihn tief bewegt. Marco Buschmann, bis vor Kurzem Bundesjustizminister und verantwortlich für den Gefangenenaustausch, der die Freilassung von Vladimir Kara-Murza erst ermöglichte, hielt eine wunderbare Rede, die auf die schwierige Güterabwägung des Austauschs einging: dort in Russland ein politischer Gefangener, der unermüdlich gegen ein totalitäres Regime kämpft, hier in Deutschland der sogenannte Tiergartenmörder, der im Auftrag eben dieses Regimes mitten in Berlin einen Mord verübte. Jedem im Saal war klar, wie schwierig eben diese Abwägung war, aber alle standen hinter der Entscheidung, die dem großartigen Kämpfer für Menschenrechte Vladimir Kara-Murza die Freiheit zurückgab, wenn auch „nur“ eine Freiheit im Exil der Vereinigten Staaten, wo seine Familie lebt, und dem Vereinigten Königreich und Europas, wo er sich für ein freies Russland engagiert.
Klar ist: Kara-Murza steht – wie nur wenige – für ein anderes Russland als das von Wladimir Putin. Er war lange Jahre der enge Vertraute des großen Oppositionellen Boris Nemtzov, der am 27. Februar 2015 in Sichtweite des Kreml erschossen wurde. Beide – Nemtzov und Kara-Murza – hatten schon im Jahr 2004, also vor 20 Jahren, in einem offenen Brief an die Anhänger (!) Putins vor dem Aufstieg des „Putinismus“ gewarnt: eines autokratischen Regimes, das im damaligen Höhenflug der Ölpreise zwar die russische Wirtschaft stabilisierte und mit hohen Steuereinnahmen einen Überschuss im Staatshaushalt erzielte, aber das Land immer weiter von einem liberalen und demokratischen Kurs wegführte – bis hin zu einer totalitären Diktatur.
Dieser „offene Brief“ zeigt überdeutlich, dass schon damals vor 20 Jahren der Trend weg von der Demokratie zur Diktatur für kluge Beobachter erkennbar war. Auch viele Intellektuelle in Mittel- und Osteuropa sahen dies schon damals so. Aber nicht die meisten Beobachter in Deutschland. Hierzulande gab es zur Zeit der Regierung des Kanzlers und späteren Putin-Intimus Gerhard Schröder (SPD) wenig Sensibilität für die Entwicklung in Russland. Der russische Krieg mit Georgien 2008, die Eroberung der Krim 2014, der spätere Überfall auf die Ukraine 2022 – all dies lag noch in der Zukunft, und kaum ein deutscher Analyst der Lage erkannte damals die Gefahren, und eigentlich erst seit 2022 zeichnete sich eine „Zeitenwende“ auch im Westen ab.
Wir sollten uns deshalb als Deutsche durchaus fragen, welche politische Verantwortung wir für die heutige Lage tragen. Wir – als Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit – erkennen diese Verantwortung. Ein Grund mehr, dem großartigen russischen Freiheitskämpfer Vladimir Kara-Murza den Freiheitspreis 2024 zu verleihen. Er hat ihn verdient. Und mit ihm das andere, das liberale Russland.
Freiheitspreis 2024: Rede des Preisträgers Vladimir Kara-Murza
Vladimir Kara-Murza ist Preisträger des Freiheitspreises 2024 der Friedrich-Naumann-Stiftung. Seine Rede anlässlich der Preisverleihung in der Frankfurter Paulskirche finden Sie hier.