EU-Sondergipfel
Nächste Schritte für die Ukraine und EU-US Beziehungen

Überblick über den Sondergipfel mit den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union zur Erörterung der Ukraine und von Sicherheitsfragen.
© picture alliance / abaca | AA/ABACASeit der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) wurde nach der Kritik und den Aussagen von US-Vizepräsident JD Vance ein Riss in den transatlantischen Beziehungen offensichtlich. Seitdem suchen die Europäer nach einem gemeinsamen Ansatz zur Frage, ob die USA und Europa noch gemeinsame Werte teilen. Im Anschluss wurde Europa zum Zuschauer der Verhandlungen zwischen den USA und Russland in Riad, wo es um mögliche Bedingungen für einen Frieden oder zumindest einen Waffenstillstand in der Ukraine ging. Weder die Ukraine noch Europa war dazu eingeladen worden. Für die Ukraine gab es in der Folge nur noch eine Priorität: die Erlangung von Sicherheitsgarantien durch die USA, auch für die diskutierten europäischen Friedenstruppen im Falle eines Waffenstillstands. Eine Bereitschaft der USA zu solchen Garantien wurde zweifelhaft, nachdem US-Präsident Donald J. Trump den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj öffentlich als „Diktator“ bezeichnetet. Es wurde deutlich, dass es - anders als unter der vorherigen Biden-Administration - unter Präsident Trump keine bedingungslose militärische Unterstützung für die Ukraine mehr geben wird. Selenskyj, der sich der Abhängigkeit seines Landes von der US-Sicherheitsunterstützung bewusst ist, nutzte den Wunsch des US-Präsidenten, im Gegenzug für amerikanische Sicherheitsgarantien Zugang zu den kritischen Mineralien der Ukraine zu erhalten.
So kam es zu dem berüchtigten Treffen zwischen dem ukrainischen Präsidenten und dem US-Präsidenten, gemeinsam mit US-Vizepräsident JD Vance und US-Außenminister Marco Rubio im Weißen Haus. Vordergründig ging es um die Unterzeichnung eines Wirtschaftsabkommens, das den USA das Recht auf die Ausbeutung von Ressourcen in der Ukraine eingeräumt hätte, aber es war klar, dass die Ukrainer im Gegenzug Sicherheitsgarantien verlangten. Selenskyj war offenbar bereit, seine persönliche politische Zukunft für die NATO Mitgliedschaft seines Landes zu opfern. Es kam jedoch zu keiner Einigung, als die Spannungen während der Diskussion öffentlich eskalierten und JD Vance Selenskyj als „respektlos“ bezeichnete und Trump diesen beschuldigte, „einen dritten Weltkrieg zu riskieren“. Somit steht nun die Frage im Raum, ob die ukrainisch-amerikanischen Beziehungen nun so geschädigt sind, dass ganz Europa mit schwerwiegenden Folgen rechnen muss.
Ist Europa dieses Mal vorbereitet?
Vergleichbar mit den Schockwellen nach der Rede von JD Vance während der MSC, die unmittelbar zu einem Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs in Paris führte, sorgte der Eklat im Weißen Haus erneut für Aufsehen. Diesmal folgte eine weitere Reaktion auf höchster Regierungsebene in Form eines Treffens in London, an dem noch mehr Regierungen beteiligt waren. Es entstand eine „Koalition der Willigen“. Der britische Premierminister Keir Starmer erklärte, „eine Reihe von Ländern“ schlössen sich dem Plan Großbritanniens und Frankreichs an, Friedenstruppen in die Ukraine zu entsenden, sollte ein Waffenstillstand in Kraft treten. Das Vereinigte Königreich sei auch bereit, nicht nur Bodentruppen, sondern auch Kampfjets zu entsenden.
NATO-Generalsekretär Mark Rutte, der ebenfalls an dem Treffen teilnahm, kündigte Initiativen zur „Erhöhung der Verteidigungsausgaben“ an. Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, wiederholte in London ihre Forderung, der Ukraine eine Position der Stärke zu verschaffen. Sie betonte die Notwendigkeit, „Europa wiederzubewaffnen“ und kündigte an, dem Europäischen Rat in Kürze einen umfassenden Plan vorzulegen. Die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Kaja Kallas, erklärte ihrerseits, dass „die freie Welt einen neuen Führer braucht. Es liegt an uns, den Europäern, diese Herausforderung anzunehmen“.
Aus den deutschen Bundestagswahlen am 23. Februar ging die Christlich Demokratische Union (CDU) als stärkste Partei in Deutschland hervor. Ihr Vorsitzender, Friedrich Merz, hat Koalitionsgespräche mit den Sozialdemokraten (SPD) des ehemaligen Bundeskanzlers Olaf Scholz aufgenommen, der selbst nicht an der nächsten deutschen Regierung beteiligt sein wird. Mit Blick auf den anhaltenden diplomatischen Streit zwischen Washington und Kiew diskutieren die beiden verhandelnden deutschen Parteien über historische Ausgaben (500 Milliarden Euro) für Rüstung und Infrastruktur. Sollte dieser Plan Wirklichkeit werden, muss Deutschland als wirtschaftliches Kraftzentrum Europas Verantwortung und eine führende Rolle übernehmen, vor allem wenn es nun zusätzlich die höchsten Verteidigungsausgaben in Europa aufweist. Es darf nicht länger, wie häufig in den letzten Monaten, bei europäischen Initiativen fehlen.
Bevor diese Sondervermögen jedoch Realität werden können, muss der Deutsche Bundestag eine Grundgesetzänderung beschließen, um die rechtliche Grundlage dafür zu schaffen. In Deutschland wird es aller Voraussicht nach wieder eine große Koalition aus CDU und SPD geben. Das größere Problem ist jedoch, dass diese beiden Parteien, selbst wenn die Grünen mit ihnen stimmen, nicht über die notwendige Zweidrittelmehrheit verfügen, um das Grundgesetz zu reformieren und damit die genannten Sondervermögen zu verabschieden. Sowohl die rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) als auch die Linkspartei (Linke) werden voraussichtlich gemeinsam jede Reform blockieren, die eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben beinhaltet.
Obwohl eine deutsche Entscheidung noch aussteht, sind die meisten europäischen Länder bereits voller Lob ob der Rückkehr der deutschen Führungsrolle in Europa und der 180-Grad-Wende in der deutschen Finanzpolitik. Der französische Präsident Emmanuel Macron will dies sogar nutzen, um das französische Parlament davon zu überzeugen, mehr Schulden für sein bereits hoch verschuldetes Land zuzulassen. Auf der anderen Seite bietet er an, den französischen Nuklearschirm auf Europa auszudehnen und darüber zu diskutieren, was Frankreich tun kann, um mögliche Kapazitätslücken zu füllen. In seinem Kampf gegen das französische Parlament in der Frage der Geldverschuldung bekommt Macron nun Hilfe aus Brüssel. Als Reaktion auf die jüngsten Ereignisse kündigte von der Leyen an, die nationale Notfallklause der EU zu aktivieren, um höhere Militärausgaben zu ermöglichen. Gleichzeitig wird sie versuchen, die Schulden- und Defizitregeln der EU nicht zu überdehnen, um eine Wirtschaftskrise zu vermeiden. Details über die Finanzierungsquellen oder die Frage, ob die Klausel nur für Länder gelten soll, die das NATO-Ziel von 2 % des BIP nicht erreichen, blieben unbeantwortet. Auf der anderen Seite des Atlantiks verkündete Donald Trump unterdessen die Entscheidung der USA, die Militärhilfe für die Ukraine auszusetzen und die regelmäßigen Geheimdienstberichte über Russland, die mit dem ukrainischen Militär ausgetauscht wurde, zurückzuziehen.
Europa am Scheideweg und die Entscheidung des Europäischen Rats wie es weitergeht
In dieser politischen Situation kam der Europäische Rat in Brüssel zusammen, um zu erörtern, wie die EU-Mitgliedstaaten die erwähnte Aufrüstung finanzieren können. Außerdem wurde darüber diskutiert, was Europa tun kann, um die Auswirkungen des Rückzugs der USA aus der Unterstützung der Ukraine zu verringern. Der Rat wurde mit Spannung erwartet, da er einen ersten Eindruck davon vermitteln würde, wie geeint Europa angesichts der neuen, dramatisch veränderten Sicherheitslage ist und handeln wird.
Hinsichtlich der Finanzierung der steigenden Verteidigungsausgaben hat die EU durch die geplanten Reformen der EU-Schulden- und Defizitregeln, die ein Aufstockungspotential von bis zu 800 Milliarden Euro schaffen, ein einheitliches Zeichen gesetzt. Die besonders hoch verschuldeten Länder mit geringem fiskalischem Handlungsspielraum, Spanien und Frankreich, beklagten, dass die von der EU als Darlehen bereitgestellten 150 Milliarden Euro nicht ausreichten.
Der Rat sandte auch die klare Botschaft, dass er „entschlossen auf ein starkes und souveräneres Europa der Verteidigung zusteuert“ und dass Europa die Ukraine mit all seinen Kapazitäten unterstützen wird. Die Abwesenheit Ungarns in dieser Erklärung ermöglichte es den Unterzeichnern, eine entschlossenere Sprache in der Erklärung zu verwenden und ein deutliches Signal zu senden, dass Russland isoliert ist. Die Renew Europaabgeordnete Anna Stürgkh betonte bei einer Nebenveranstaltung im Europäischen Parlament, dass es für Europa wichtig sei, die Einfuhr von russischem Gas weiter zu reduzieren, die immer noch 20 % der europäischen Gasimporte ausmacht.
Während der Europäische Rat debattierte, ließ es sich Donald Trump nicht nehmen, die Aufmerksamkeit der Medien mit einer weiteren spalterischen Äußerung von der anderen Seite des Atlantiks auf sich zu ziehen: „Ich denke, es ist vernünftig, dass ich sie nicht verteidigen werden, wenn sie nicht zahlen“. Indem er Zweifel daran aufkommen lässt, ob die USA ihren Verpflichtungen aus Artikel 5 des NATO-Vertrags zur Unterstützung ihrer Verbündeten im Verteidigungsfall nachkommen würden, wird es noch dringlicher, dass Europa schnell und entschlossen handelt.
Auswirkungen der neuesten Entwicklungen
Da die außenpolitischen Ziele Europas und Amerikas auseinander zu driften scheinen, scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis sich Amerika aus der europäischen Sicherheitsarchitektur zurückzieht. Trumps jüngste Äußerungen sollten der letzte Weckruf für Europa sein. Die einzige Option besteht darin, eigene europäische Fähigkeiten zu entwickeln und Verantwortung zu übernehmen. Dies sollte nicht das Ende der transatlantischen Beziehungen bedeuten, sondern würde es Europäern und Amerikanern ermöglichen, ihre eigenen und gemeinsame Interessen zu verfolgen. Es wäre eine Chance, die transatlantische Partnerschaft neu zu gestalten, zu stärken und auszubalancieren.
Europa kann eine ernstzunehmende Macht sein. Es verfügt über die notwendigen Mittel, um wirtschaftliche Stärke, technologisches Know-how und Ressourcen in militärische Macht umzuwandeln. In einer vernetzten Welt muss Europa ganzheitlich denken. Es darf dabei nicht nur die Militärausgaben als entscheidend betrachten, sondern auch damit zusammenhängende Aspekte wie einen starken industriellen und technologischen Verteidigungssektor, der die Reindustrialisierung Europas vorantreiben könnte, einen robusten Gesundheitssektor, einschließlich einer ausreichenden Krankenhausinfrastruktur und medizinischer Produktionskapazitäten, um die Unabhängigkeit zu gewährleisten, wie während der COVID-19-Pandemie, diversifizierte Lieferketten und eine bessere Verbindung zwischen militärischer Verteidigung und der Gesellschaft, um die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft gegenüber hybrider Kriegsführung zu stärken.
Die politischen Entscheidungsträger in Europa scheinen nun die notwendigen, entschlossenen Maßnahmen zu ergreifen. Dies könnte erhebliche Auswirkungen auf die Zukunft der liberalen Weltordnung haben. Der diesjährige MSC-Bericht konzentrierte sich auf die mögliche Multipolarisierung dieser Ordnung. Wenn Europa seine Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten in Sicherheitsfragen verringern und zu einem eigenständigen regionalen und globalen Akteur würde, wäre dies ein bedeutender Wandel. Es würde die Förderung einer multipolaren (liberalen) Weltordnung fördern und zwei mächtige westliche Akteure gegen autoritäre Bedrohungen stärken.
Tim Neubauer ist ein Fellow des FNF Global Security Hubs.
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