EN

NATO 2024
Strategische Ausrichtung in einer neuen Ära

Berlin und Washington vereinbaren erstmals seit dem Kalten Krieg u.a. Langstreckenraketen in Deutschland zu stationieren.

Berlin und Washington vereinbaren erstmals seit dem Kalten Krieg u.a. Langstreckenraketen in Deutschland zu stationieren.

© picture alliance / Sipa USA | Sipa USA

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine führte zu einer fundamentalen Neuaufstellung der NATO. Der Beitritt Finnlands und Schwedens, die Re-fokussierung auf Abschreckung, Landes- und Bündnisverteidigung, die Investition in Verteidigungsausgaben bündnisweit, die koordinierte militärische Unterstützung der Ukraine und die verstärkte militärische Präsenz an der sogenannten NATO-Ostflanke sind Zeichen der schnellen Reaktionsfähigkeit des Bündnisses. Die deutsche Bundesregierung beschloss ein ganz eigenes Novum, nämlich die permanente Stationierung einer ganzen Brigade in Litauen– ein klares Zeichen für die Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit der NATO-Mitglieder. Vom 09. bis 11. Juli fand nun der 35. Gipfel der NATO in Washington D.C. statt. Er markiert nicht nur das 75-jährige Bestehen des Militärbündnisses, sondern zeugte auch von dem Übergang von Reaktion auf strategische Ausrichtung. Die NATO Staats- und Regierungschefs einigten sich auf einige langfristige Maßnahmen, die die Aufstellung des Bündnisses stärker europäisch und nachhaltig machen.

Deutsche Führung, mehr Europa?

Seit Beginn der Berichterstattung über das Superwahljahr 2024 schwingt bei jeder öffentlichen Debatte mit, welche Auswirkungen die US-Präsidentschaftswahlen im November 2024 auf die Zukunft der NATO haben werden. Wird ein Trump 2.0 die NATO erodieren oder ist nicht sowieso klar, dass die USA andere Prioritäten haben werden (China, Innenpolitik)? Fakt ist, vieles in der NATO lief bisher unter US-Führung. Das ist jetzt anders, Verantwortungen werden endlich wirklich neu verteilt–beispielsweise mit der Einrichtung des Ukraine-Kommandos in Wiesbaden. Damit übernimmt die NATO die Koordination der militärischen Hilfe für die Ukraine, eine Aufgabe, die bisher in Ramstein und unter US-amerikanischer Führung lag.

Eine weitere bedeutende Entscheidung des Gipfels ist die über die Stationierung von US-amerikanischen land- und seegestützten Mittel- und Langstreckenraketen in Deutschland. Diese Maßnahme erhöht die Abschreckungsfähigkeit der NATO erheblich und schließt eine bedeutsame Fähigkeitslücke gegenüber Russland. Europäisch fehlt es nämlich noch an bodengestützten Marschflugkörpern mit einer Reichweite von über 500 km. Deswegen haben über diese Verkündung hinaus Deutschland, Frankreich, Italien und Polen eine Absichtserklärung unterzeichneten, um diese Raketen in naher Zukunft gemeinsam zu entwickeln –europäisch.

Außerdem wurde zusätzliche Unterstützung für die Ukraine verkündet, das Versprechen der NATO zur industriellen Kapazitätserweiterung und zwei Abkommen für militärische Mobilitätskorridore in den nordischen Ländern und in Südosteuropa. Der 75. NATO-Gipfel könnte somit als Beginn einer neuen Ära in die Geschichte eingehen –einer Ära, die durch verstärkte Zusammenarbeit, erhöhte Verteidigungsbereitschaft und eine gleichberechtigte Lastenverteilung zwischen den transatlantischen und europäischen Partnern gekennzeichnet ist.

Es wird sich neu positioniert, auch, was verschiedene Führungsrollen angeht. Die Verkündung des bilateralen Abkommens zwischen Deutschland und den USA zur Stationierung der US-Raketen in Deutschland schien aus Scholz’scher Perspektive im Wesentlichen auch auf der Positionierung Deutschlands innerhalb des Bündnisses abzuzielen. Wichtig, ohne Frage. Allerdings fehlt noch die Ansprache an die eigenen Bürgerinnen und Bürger. Mal sehen, ob das noch geschieht oder wir uns weiterhin auf Einordnungen von einer Claudia Major verlassen müssen.

Der unumkehrbare Weg zu NATO Mitgliedschaft

Weniger konkret, aber vielleicht sogar bedeutender ist die Konsolidierung der geopolitischen Positionierung der NATO. Auf dem Gipfel erklärten die Staats- und Regierungschefs formell, dass die Ukraine auf einem "unumkehrbaren Weg" zur Mitgliedschaft in der Allianz ist. Dies ist eine wichtige Zusicherung des Schutzes, sobald der russische Krieg gegen die Ukraine endlich vorbei ist. Die Abschlusserklärung rief auch China als "entscheidenden Förderer" von Russlands Krieg durch seine sogenannte "no limits"-Partnerschaft und seine umfangreiche Unterstützung für Russlands Verteidigungsindustrie ins Bewusstsein. Dies ist die bisher stärkste Botschaft der Allianz und zeigt die zunehmenden Bedenken über die globale Rolle Pekings.

Der 75. NATO-Gipfel war eine Feier der Stärke der transatlantischen Allianz und eine Gelegenheit zur Neuausrichtung nach mehreren Jahren des Aufholens mit neuen Realitäten. Die Verbündeten haben gezeigt, dass sie bereit sind, neue Verantwortlichkeiten zu übernehmen, Sicherheitslücken zu schließen und neue Richtungen für die kommenden Jahre aufzuzeigen. Damit ist die NATO gerüstet für die Zukunft, als wichtigster Sicherheitsgarant im transatlantischen Raum.