Hungary
Kommunalwahlen in Ungarn
Der Ausgang der Kommunalwahlen in Budapest ist immer noch unklar.
Im Zentrum der Aufmerksamkeit der Kommunalwahlen am 9. Juni stand das Ergebnis der Abstimmung in Budapest, eine der wenigen Orbán-kritischen Enklaven auf der politisch ansonsten eher monotonen ungarischen Landkarte. Oberbürgermeister ist seit 2019 Gergely Karácsony. Er hatte sich als Kandidat der grünen Partei Dialog zur Wiederwahl gestellt. Die Fidesz-Partei hatte Alexandra Szentkirályi ins Rennen geschickt, die Partei LMP, die ungarischen Grünen, David Vitézy. Er war als Staatssekretär für Verkehr in der Regierung Orbán tätig gewesen. Nachdem er seine Kandidatur verkündet hatte, wurde die LMP aus der Familie der europäischen Grünen ausgeschlossen. Die Dialog-Partei hatte sich bereits 2013 von der LMP gespalten.
Kurz vor der Abstimmung hatte das Ringen um den prestigeträchtigen Posten des Hauptstadt-Chefs eine bemerkenswerte Wendung genommen, als Szentkirályi ihre Bewerbung zurückgezogen und ihre Anhänger zur Wahl von Vitézy aufgerufen hatte. Dieser war damit de facto der Fidesz-Kandidat in Budapest.
Erfolg für den Zweischwänzigen Hund
Das Ergebnis fiel denkbar knapp aus. Karácsony wurde mit 47,53 Prozent im Amt bestätigt, Vitézy erzielte 47,49 Prozent. Karácsony‘s Vorsprung betrug ganze 324 Stimmen. Vitézy verlangte am Montagmorgen eine Neuauszählung, auch wegen der hohen Zahl an ungültigen Stimmen. Sie fiel mit gut 24.000 ungewöhnlich hoch aus. Die nationale Wahlkommission hat die Neuauszählung dieser ungültigen Stimmen mittlerweile angeordnet. Es bleibt also spannend.
Erfreulich aus liberaler Sicht: Tamás Soproni, Bürgermeister des 6. Bezirks von Budapest, konnte sein Amt mit rund zwei Dritteln der Stimmen verteidigen. Nominiert hatte ihn auch diesmal die liberale Momentum-Partei. Ein anderer Momentum-Kandidat, András Rózsa, konnte sich im 11. Bezirk durchsetzen. In zehn der insgesamt 23 Budapester Stadtbezirken gewannen Kandidatinnen und Kandidaten der Opposition. Der wahrscheinlich unkonventionellste von ihnen: Gergely Kovács, einer der Führer der Satrierepartei Zweischwänziger Hund. Er wird nächster Bürgermeister des 12. Bezirks.
Ambitionierte Industriepolitik
In Debrecen, der im Osten gelegenen zweitgrößten Stadt des Landes, hatte die Opposition auf einen Sieg über Fidesz-Amtsinhaber Laszlo Papp gehofft. Unter dessen Führung war ein ehrgeiziges Reindustrialisierungsprojekt aufgelegt worden. Unter anderem sollen zwei chinesische Batteriefabriken angesiedelt werden – die Regierung Orbán plant, das Land zu einem der führenden Batterienproduzenten weltweit zu machen. Ambitionen wie diese sind nicht unumstritten. Deberecen ist seit langem eine Fidesz-Hochburg. Ein Verlust des Bürgermeisterpostens wäre ein symbolischer Nackenschlag für die Gesamtpartei gewesen. Er hätte die Regierung in Budapest möglicherweise dazu drängen können, ihre großspurige Industriepolitik zu überdenken. Am Ende aber konnte Papp seinen Posten verteidigen, wenn auch mit nur 48,4 Prozent der Stimmen.
Ein Überraschungserfolg gelang einem Parteienbündnis aus Momentum, der grünen LMP und der lokalen Allianz TSZV in Győr, einer Großstadt mit rund 140.000 Einwohnern im westlichen Landesteil. Der Kandidat Bence Pintér gewann mit 31 Prozent und besiegte damit knapp Fidesz-Amtsinhaber András Dézsi.
Verwirrung bei den Wählern
Das Datum der Kommunalwahl hatte die Fidesz-Regierung festgelegt. Um Wirtschaftlichkeitserwägungen war es dabei nicht gegangen. Die Zusammenlegung der Europa- und Kommunalwahlen sollte in erster Linie die Oppositionsparteien in Schwierigkeiten bringen. Bei den Europawahlen traten sie getrennt voneinander an. Bei den Kommunalwahlen indes waren sie aufgrund ihrer personell, budgetär und organisatorisch beschränkten Möglichkeiten darum bemüht, sich zusammenzuschließen, um gegen die übermächtige Fidesz zumindest den Hauch einer Chance zu haben. Die Funktionäre und Kandidaten der oppositionellen Parteien brachte all das gegeneinander auf, bei den Wählerinnen und Wählern dürfte es zumindest für Verwirrung gesorgt haben.
Die Koppelung zweier unterschiedlicher Wahlsysteme war nicht die einzige Attacke auf das Oppositionslager. Erst im Dezember hatte das Parlament in Budapest das Gesetz zum „Schutz der Souveränität“ verabschiedet. Auf seiner Grundlage wurde eine neue Behörde geschaffen, das Amt für den Schutz der Souveränität. Seine Aufgabe: gegen Personen oder Organisationen zu ermitteln, gegen die der Verdacht erhoben wurde, ausländischen Interessen zu dienen. Sollte sich dieser Verdacht bestätigen, hätten die Betroffenen mit drakonischen Strafen zu rechnen. Das Gesetz stellt zudem die Verwendung ausländischer Gelder für inländische Wahlkampagnen unter Strafe. Die EU und die USA haben das Gesetz wiederholt scharf kritisiert.
Rücktritt von Präsidentin und Justizministerin
Trotzdem lief es in den Wahlkämpfen nicht immer rund für Orbán und seine Partei. Im Februar hatte ein beispielloser Skandal das Land erschüttert. Das damalige Staatsoberhaupt, Präsidentin Katalin Novák, auf dem Fidesz-Ticket ins Amt gekommen, sah sich mit Vorwürfen konfrontiert, einen Mann begnadigt zu haben, dem Beihilfe zur Vertuschung von Missbrauchsvorfällen in einem Kinderheim vorgehalten wurde. Es kam zu landesweiten Protesten, in deren Folge die Präsidentin und Justizministerin Judit Varga von ihren Ämtern zurücktraten.
Die Rauchschwaden dieses Skandals hatten sich noch nicht ganz verzogen, als Orbán sich plötzlich mit einem neuen Gegner konfrontiert sah: Péter Magyar. Der Ex-Ehemann der zurückgetretenen Ministerin Varga und langjährige Fidesz-Parteisoldat sorgte für Schlagzeilen, als er Kabinettsminister Antal Rogán, den womöglich zweitmächtigsten Mann des Orbán-Regimes, des schweren Machtmissbrauchs bezichtigte. Magyar nutzte seine Vergangenheit als Regime-Insider, um Wähler zu erreichen, die sowohl mit Orbáns patenhaftem Politikstil als auch mit den etablierten Oppositionsparteien fremdeln.
Keine substanzielle Abweichung vom Orbán-Kurs
Er schloss sich einer bis dato unbekannten Partei an, der Tisza (Respekt und Freiheit), wurde deren Vorsitzender und beschloss, bei der Doppelwahl im Juni anzutreten. Bei aller Orbán-Kritik: Inhaltlich trennt Maygar nicht viel von seinem langjährigen politischen Weggefährten. Er ist gegen eine Vertiefung der europäischen Integration. Auch in der Migrations- und der Ukraine- bzw. Russlandspolitik dürfte er sich nicht viel anders positionieren als Fidesz. Zwar konnte Tisza kein Bürgermeisteramt in Budapester Distrikten oder anderen, kleineren Städten, gewinnen, zieht aber mit 10 Sitzen in den Budapester Stadtrat ein.
Die politische Stimmung in Ungarn bleibt auch nach den Wahlgängen am 9. Juni angespannt. In den letzten Monaten haben die Oppositionsparteien zahlreiche Kundgebungen organisiert. Die Regierung hat gegenhalten und ihrerseits zu Sympathiemärschen aufgerufen. Die Provinzen sind bereits seit langem Fidesz-Hochburgen. Budapest war die liberale Insel. Kein Wunder also, dass die anstehende partielle Neuauszählung beide Lager in Atem hält.
Dr. Lars-André Richter leitet das FNF-Büro Mitteleuropa & Baltische Staaten mit Sitz in Prag.
Aneta Švrčinová ist Junior Project Manager und im FNF-Büro Prag u.a. für Ungarn zuständig.