Syria Untold
Das zerstörte Aleppo von oben
Es gibt verschiedene Winkel, aus denen man eine Landschaft betrachten kann. Unser Blick vom Boden ist ein ganz anderer als der aus der Luft.
Ich begann mit der Drohne zu arbeiten, es war ein einfaches Modell, ausgestattet mit einer externen Kamera, der es an Qualität und Präzision mangelte.
Der erste Versuch verlief misslich und die Drohne fiel herunter, doch ich schaffte es, sie wiederzufinden und nicht zu verlieren. Ich konnte es mir nicht leisten, sie reparieren zu lassen oder eine neue zu kaufen, da sie mein wertvollstes Besitztum war. Der Gedanke ließ mich nicht los, bis ich etwas entdeckte, das schwerwiegender war als meine Gefühle und mein Selbstmitleid. Ich sah die zerstörten Häuser, in Reih und Glied. Sie nur zu beschreiben, täte ihnen unrecht, gäbe ihnen nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdienten. Zumindest nicht die Beschreibung eines Passanten, der sie mit nichts als seinem nackten Auge betrachtete.
Nachdem ich etwas Erfahrung mit meiner Drohne gesammelt hatte, ließ ich sie stets fliegen, wenn der Wind ruhig und Raketen und Flieger außer Sicht waren. Es war zu schwierig, sie in wolkigem oder verregnetem Wetter steigen zu lassen, oder wenn der Wind stark war.
Mit meinen Aktionen im Freien begab ich mich ebenfalls in das Risiko, von einer Rakete getroffen zu werden. Während der Kämpfe um die Aufhebung der Belagerung von Aleppo war die Stadt überzogen von einer von brennenden Reifen ausgehenden Rauchwolke, ein Versuch der Bevölkerung, die Sicht auf die Stadt zu vernebeln und das Regime und russische Kampfflugzeuge in die Irre zu führen.
Es gibt verschiedene Winkel, aus denen man eine Landschaft betrachten kann. Unser Blick vom Boden ist ein ganz anderer als der aus der Luft. Dies ist der Bad al-Hadid Kreisel. Links auf dem Foto ist die Zitadelle von Aleppo, rechts die Aqyoul Straße. Scharfschützen zielen auf den bloßliegenden Kreisel, auf Fußgänger und vorbeifahrende Autos, bis die Bewohner einige im Bombenbeschluss ausgebrannte Busse in der Mitte der Straße positionieren, um die umliegenden Gebäude abzuschirmen.
Das Barrikade diente dazu, das Schlussfeld der Scharfschützen in der Zitadelle zu blockieren, sodass sich die Einwohner sicher auf der Straße bewegen konnten. Allgemein war es gängig, Stoff zu benutzen, um die Sicht der Sniper zu beeinträchtigen, doch der wurde in den meisten Fällen vorsätzlich von ihnen in Brand gesetzt.
Das an den internationalen Flughafen und den Nejreb Militärflugplaz angrenzende Viertel al-Maysar in Ost-Aleppo war seit der Befreiung der Stadt tausend Male Zielscheibe von Panzern des Regimes und Flugzeugen. Sie verwandelten al-Maysar in eine Geisterstadt.
Manche Zonen erlebten gelegentliche Feuerpausen, sodass ihre Bewohner irgendwann in ihre Häuser zurückkehren konnten. Nicht so al-Maysar. Ich plegte es von Zeit zu Zeit zu besuchen, um die Zerstörung ungläubig zu beäugen.
Im Jahr 2016, während der ersten Belagerung Aleppos, entschied ich mich, die Situation mit meiner Drohne zu dokumentieren. Die Bilder, die sich mir boten, waren furchterregend. Das Ausmaß der Zerstörung war unbeschreiblich und weder vom Boden noch aus der Luft zu begreifen. Das Viertel verlor fast alle richtungsweisenden Gebäude und verblieb als bloßes Zeugnis der erfahrenen Brutalität. Nichts als Trümmer und Schutt war mehr übrig.
Diese alten Nachbarschaften sind kostbar. Sie beherbergen unsere Herkunft und unser Erbe. Nicht einmal sie blieben verschont vor dem Bombenfeuer der Panzer und Flugzeuge.
Das Regime verwandelte Aleppos Zitadelle in eine Militärkaserne, die Basis für die Zerstörung der Altstadt. Die Gebäude wurden unbewohnbar, entblößt vor dem Sturm des Angriffs. Besonders die traditionellen arabischen Häuser dieser Gegend waren weniger sicher als höhere Gebäude. Einige Straßen waren den Scharfschützen schonungslos ausgesetzt. Während meines Besuchs sah ich nur wenige Familien, die sich dagegen behaupteten. Auf dem Foto ist die historische al-Maydani Moschee mit den charakteristischen Elementen aus der Mamlukenzeit zu sehen. Sie wurde zu großen Teilen durch den Beschuss zerstört.
Bis Ende des Jahres 2016 leistete das Viertel Widerstand. Mehr als 300.000 Menschen, die noch monatelang ausgeharrt hatten, sahen sich schließlich gezwungen, während der großen Belagerung aus Aleppo zu fliehen – entweder in die vom Regime kontrollierten Gebiete oder in die Ungewissheit.
Jeder hat bis zum Ende alles gegeben, doch die Brutalität, die wir erdulden mussten, war letztlich stärker als unsere Möglichkeit zu bleiben.
Über den Autor: Monther Itaky
Monther Itaky war Kunststudent im vierten Jahr, als er 2012 festgenommen wurde. Er ist Fotograf, Designer und Filmredakteur und lebte seit seiner Geburt 1989 in Aleppo, bis er Ende 2016 gewaltsam vertrieben wurde.