Syria Untold
War note
Ich war 13 Jahre alt, als die friedlichen Aufstände 2011 in Syrien begannen. Damals haben meine älteren Geschwister angefangen, die friedlichen, nach Freiheit strebenden Demonstrationen und die Versuche des syrischen Regimes, die Proteste zu unterdrücken, zu dokumentieren. Ich habe begonnen mitzuhelfen, weil ich trotz meines jungen Alters Teil der Revolution sein wollte.
Die Situation in Syrien hat sich schnell entwickelt. Unsere Region, Ost-Ghouta, war 2013 vollkommen von syrischen Regierungsstreitkräften belagert, nachdem es von Kämpfern der Opposition unter Kontrolle gebracht worden war. Daraufhin hat das Regime die Bewegungsfreiheit der Zivilbevölkerung eingeschränkt, Essen konfisziert und willkürlich als Strafe den Zugang zu Elektrizität und Wasser für Teile der Bevölkerung eingeschränkt.
Obwohl wir nicht bereit für eine solche strikte Belagerung waren, waren wir dennoch gezwungen, damit zu leben. Die Menschen fanden Alternativen für alles Mögliche, um zu überleben. Meine Mutter hat uns damals Brot aus Tierfutter anstatt Weizenmehl gemacht, weil letzteres nicht mehr verfügbar war. Zu Beginn habe ich drei Tage lang nichts gegessen, weil ich den Geschmack des Brotes nicht mochte. Mit der Zeit hatte ich aber keine andere Wahl, als das Brot zu essen, um zu überleben.
Wir haben Bäume gefällt, um das Holz zum Heizen und die Zubereitung von Essen zu benutzen. Auch haben wir Kraftstoff und Gas durch das Verbrennen von Plastikmüll gewonnen. Die Belagerung hat die Menschen dazu gezwungen, neue Dinge zu erfinden und so kreativ wie möglich zu sein, um zu überleben. Krieg ist nicht nur eine Todesmaschinerie, sondern kann Menschen auch so einfallsreich wie möglich werden lassen.
Es kam selten vor, dass die Angriffe auch nur für einen Tag Pause machten. Es war unsere tägliche Routine. Zusätzlich zu der Belagerung wurde ich jeden Morgen von den Geräuschen der Bomben geweckt und begann, diese Grausamkeiten zu dokumentieren: Zerstörte Häuser, Menschen, die um die Leichen ihrer Liebsten trauern oder andere, die nach Luftangriffen gerettet wurden.
Aufgewachsen im Zentrum des syrischen Konfliktes, habe ich immer versucht, mit den Leuten, die ich fotografierte, verbunden zu bleiben – mit ihnen zu reden, mich um ihre Gefühle zu sorgen und ihre Wünsche zu respektieren.
Ich hatte Angst wie jede andere Person oder jedes andere Kind. Manchmal habe ich versucht, durch den Sucher meiner Kamera zu schauen, um mich vor meinem Trauma zu schützen oder die Dinge wenigstens einfacher für mich zu machen – vergeblich.
Das Leben ist sehr blutig geworden. Ich habe viel Tod erlebt – mehr, als ein normales Kind sehen würde. Dennoch war die Fotografie wie eine Heilung für mich. Sobald ich meine Kamera in der Hand hatte und begann, Fotos zu machen, konnte ich alle meine Gefühle in die Bilder legen, um meine Wut und Traurigkeit auszudrücken. Ich hatte keine andere Möglichkeit, mich von diesen Gefühlen frei zu machen.
In diesem Bild, das ich am 16. Juni 2015 gemacht habe, zeigt sich meine größte Angst. Dieses Kind wurde von Schutt begraben, als vier Raketen einen Wohnblock zum Einstürzen brachten. Rettungsteams haben hart daran gearbeitet, die Menschen zu retten, die unter den Trümmern begraben waren. Die Arbeit war allerdings nicht einfach und hat länger gedauert als Menschen normalerweise ihre Luft anhalten können.
Ich fühlte mich erdrückt, als ich diese Bilder machte und alle versuchten, das Kind aus den Trümmern zu ziehen. Der Anblick von Angst und Terror war offensichtlich. Ich habe mir mich selbst in dieser Situation vorgestellt und musste bei jedem Foto erneut Luft holen. Das war meine größte Angst – unter meinem Dach gefangen zu sein und zu ersticken. Das Kind konnte aus dem Schutt gezogen werden. Seine Familie jedoch hatte nicht das Glück zu überleben.
Es war nicht leicht, diesen Horror zu dokumentieren. Auch, weil der Schmerz der Menschen, die ich fotografierte, auch meiner war. Kurz bevor ich das obige Foto gemacht habe, saß ich in einem Internetcafé in der Nähe meines Hauses. Ich habe die Geräusche eines Kampfflugzeugs gehört und bin nach draußen gerannt, um zu sehen, ob es angreifen würde. Nur wenige Sekunden später hat mich die Druckwelle einer gewaltigen Explosion erfasst und zurückgeworfen. Ich habe in den Himmel geschaut und Rauch gesehen, der aus der Gegend meines Hauses aufstieg. Das Flugzeug kreiste immer noch über uns. Zu dieser Zeit wussten wir, dass dasselbe Gebiet nochmal beschossen werden würde, um die größtmögliche Anzahl an Opfern zu erreichen – auch die der Rettungsteams.
Ich habe gezögert und hatte Angst, aber ich bin schnell in die Richtung des Rauches gelaufen. Es war meine Straße. Die Umgebung war mit so viel Rauch gefüllt, dass ich nichts sehen konnte. Wenige Sekunden später folgte der nächste Angriff. Ohne darüber nachzudenken, warf ich mich in den Eingang des nächstgelegenen Hauses, um mich vor den Splittern der Raketen zu schützen.
Der Angriff war nicht weit entfernt. Verzweifelt und verängstigt bin ich zu meinem Haus gelaufen, besorgt darum, dass meiner Familie was passiert sein könnte. Ich kam an. Der Luftschlag hat unser Gebäude getroffen. Ich bin nach oben gelaufen, um nach meiner Familie zu sehen. Als ich die Treppe hochlief, sah ich einen meiner Neffen und meine Nichten, bedeckt von weißem Staub und ein bisschen Blut. Sofort begann ich, sie mit der Hilfe der Nachbarn zu evakuieren.
Ich habe nur darüber nachgedacht, zurück zu unserem Haus zu laufen, um nach meinen Eltern zu sehen. Nach einigen Minuten habe ich einige Mitglieder meiner Familie gefunden. Sie waren alle geschockt und verängstigt, mit einer dicken Staubschicht auf ihren Gesichtern. Zum Glück haben sie sich alle kurz vor dem Angriff um den Frühstückstisch versammelt, der in einem Raum stand, der nicht von dem Luftangriff zerstört wurde.
Das Foto oben zeigt meine Schwester, wie sie das zerstörte Haus nach dem Angriff verlässt. Auf dem Foto unten ist der Ort zu sehen, an dem sich meine Familie zum Frühstück zusammenfand.
Über den Autor: Sameer Al-Doumy
Sameer Al-Doumy ist ein syrischer Fotograf, geboren im Jahr 1998 in der Stadt Douma, nahe der syrischen Hauptstadt Damaskus. Ende 2014 begann er, als freiberuflicher Fotograf für Agence France-Presse zu arbeiten. Er arbeitet immer noch für AFP in der Normandie, wo er heute als Flüchtling lebt. Im World Press Photo Wettbewerb 2016 erlangte er den ersten Platz in der Kategorie Spot News Stories.