Equal Pay Day
Name it, shame it
In Sachen Gleichstellung von Frauen und Männern haben wir in Deutschland in den letzten 100 Jahren viel erreicht. Aber sind wir da, wo wir hinwollen? Nein, sicher nicht. Woran liegt es, dass Karrieremuster noch zu häufig von Männern geprägt werden, dass die gläserne Decke keine Einbildung ist und dass es immer noch zahlreiche Jobs gibt, in denen noch nie eine Frau tätig war?
Nach den aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes verdienen Frauen 18 Prozent weniger als Männer. 71% dieser Gehaltslücke sind strukturbedingt erklärbar. Strukturbedingt heißt: Frauen arbeiten häufiger in Branchen und Berufen, in denen schlechter bezahlt wird und sind seltener in Führungspositionen. Aber auch unter der Voraussetzung vergleichbarer Tätigkeiten und äquivalenter Qualifikation verdienen Arbeitnehmerinnen 6% weniger als ihre männlichen Kollegen. Und statt jetzt anzufangen, die Lohnlücke weiter klein zu rechnen, sollte auch jede noch so kleine Lücke uns aufregen. Und zwar so richtig. Denn natürlich ist es eine Sauerei, wenn Frauen schlichtweg schlechter bezahlt werden als Männer. Und auch in den strukturbedingt erklärbaren Unterschieden steckt riesiger Sprengstoff in Sachen Chancengerechtigkeit.
Alles auf Anfang
Tatsächlich gibt es, jedenfalls in Deutschland, immer noch Männer- und Frauenbranchen. In den so genannten MINT-Studienfächern hat die Zahl der Studentinnen im Semester 2019/2020 einen Höchststand erreicht, ist aber trotzdem immer noch nur halb so hoch wie die der Studenten. Der Anteil der MINT- Akademikerinnen ist zwischen 2011 und 2018 lediglich von 20,2% auf 23,4% und der der weiblichen MINT-Fachkräfte sogar nur von 11,6 auf 11,8. Suchen sich Frauen und Mädchen einfach nur die falschen Studienfächer aus und vergeben die Chance schon am Start? Für MINT stimmt das wohl, aber sonst? Immerhin war das am stärksten von Studentinnen belegte Studienfach Betriebswirtschaftslehre, gefolgt von Psychologie und dann schon Rechtswissenschaften. Damit sollte man meinen: So schlecht ist die Ausgangslage nicht.
Zahlen, bitte! Das ist der Status Quo in Politik und Wirtschaft
Gerade einmal 26 Prozent der Führungskräfte auf oberster Leitungsebene in der freien Wirtschaft sind weiblich. In der zweiten Führungsebene sind es 40 Prozent. Das legt eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung aus dem Jahr 2018 offen. Und in der Politik sieht es nicht viel besser aus: Nur 31,4 Prozent der Mitglieder des aktuellen 19. Bundestages sind Frauen, das entspricht 223 von 709 Abgeordneten.
Bundesnachrichtendienst, Bundeskriminalamt oder Bundesamt für Verfassungsschutz: Viele Behörden wurden seit der Gründung der Bundesrepublik noch nie von einer Frau geleitet. Auch das Außen- oder das Finanzministerium hatten noch nie eine Ministerin. Die Bundeswehr hat mit Gesine Krüger lediglich einen weiblichen Zweisternegeneral, obwohl der Sanitätsdienst Frauen schon seit 1975 offensteht. Den höchsten Dienstgrad des Generals hatte in der Bundeswehr überhaupt noch keine Frau inne. Der Gleichstellungsindex 2020 des Statistischen Bundesamts zeigt, dass Frauen in den Führungspositionen oberster Bundesbehörden unterrepräsentiert sind. Das heißt, es haben nicht nur weniger Frauen als Männer eine Leitungsfunktion, sondern der Anteil weiblicher Führungskräfte ist auch geringer als ihr Anteil im höheren Dienst des jeweiligen Hauses. Mit anderen Worten: Die Frauen sind da, aber sie werden bei der Besetzung von Leitungsfunktionen übergangen oder nicht gesehen. Skurriler Fakt: Wie die Wochenzeitung Die Zeit recherchiert hat, gibt es seit 1949 mehr Staatssekretäre mit dem Namen Hans als Staatssekretärinnen. Mit dem Parteibuch des Ministers hat die Anzahl der Staatssekretärinnen wohl aktuell auch nichts zu tun: Auch Olaf Scholz, der sich gern und oft als Feminist bezeichnet, setzt ausschließlich auf Männer als Staatssekretäre.
Ohne Grenzen
Warum machen Frauen nicht ebenso Karriere wie Männer? Wahrscheinlich sind die Antworten komplex. Manches davon ist wahrscheinlich typisch deutsch. Denn viel Bremskraft für die Karriere hat leider die Tatsache, dass es die Frauen sind, die die Kinder bekommen. Junge Berufsanfängerinnen starten hoch motiviert in den Job und streben eine Karriere an. Doch irgendwann bekommen sie Kinder. Manchmal sind sie selbst davon überrascht, was es bedeutet, Mutter zu sein – vor allem emotional. Wie es sich anfühlt, lange vom Kind getrennt zu sein. Und dann sind da die Schuldgefühle gegenüber dem Nachwuchs UND dem Arbeitgeber zugleich. Viele Mütter kennen das Gefühl, beidem nicht gerecht zu werden. Beruf und Familie werden auch 2021 noch als Gegensätze erlebt, die sich nur schwer miteinander vereinen lassen. Das hat die Studie „The Mommy Effect“ der amerikanischen Denkfabrik National Bureau of Economic Research herausgefunden. Für Deutschland liegt das aber auch an der Situation der Kinderbetreuung und auch der Bildungspolitik. Das System setzt darauf, dass die Familien und das heißt eben häufig die Mütter ganz viel abfangen müssen. Kitaplätze sind knapp, der Betreuungsschlüssel oft nicht so, wie Mütter sich das wünschen.
Und selbstverständlich spielen Rollenvorbilder eine große Rolle. Frauen in Ostdeutschland gehen auch 30 Jahre nach der Wende deutlich entspannter an das Thema Kindebetreuung heran. Hier erlebt schon die dritte oder vierte Generation von Frauen, dass die Betreuung von Kindern in Kitas nicht die Liebe innerhalb der Familie verringert.
Und trotzdem muss es möglich sein, dass Frauen (und natürlich auch Männer) eine Zeitlang auf Vollgas im Beruf verzichten, ohne dafür ihr Leben lang aussortiert zu werden, wenn es um die Besetzung von Führungspositionen geht. Es kann doch nicht sein, dass ein Sabbatical zu Selbstfindung bei Männern positiv und Babyjahre bei Frauen negativ gewertet werden
Ein wichtiges Kriterium ist auch die berühmte gläserne Decke. Beim Glass Ceiling Index 2021 von The Economist belegt Deutschland Platz 22 (von 29) und ist damit noch zwei Plätze schlechter als 2020. Der Index kombiniert Daten zu Hochschulbildung, Erwerbsbeteiligung, Entlohnung, Kinderbetreuungskosten, Rechten von Müttern und Vätern und die Repräsentation in Führungspositionen. Gläserne Decke bedeutet aber natürlich mehr. Männernetzwerke, die auf Ritualen beruhen, in denen Frauen keinen Platz haben zum Beispiel.
Also, was muss passieren, damit es berufliche Gleichberechtigung gibt?
Erstens: Gender Pay Gap schließen
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit: Jeder Arbeitgeber, der eine Frau nur deshalb schlechter bezahlt, weil sie eine Frau ist, sollte sich schämen. Zum Schließen des Gender Pay Gap müssen aber auch die Frauen aktiv werden. Das fängt schon bei der Berufswahl an und hört beim Einfordern von einer offenen partnerschaftlichen Teilung von Familien- und Haushaltstätigkeiten nicht auf.
Zweitens: Flexibilität und Teilzeit als Modell auf Zeit
Es ist wichtig, dass keine Frau länger als sie das möchte, in Teilzeit arbeitet. Der gesetzliche Anspruch auf Brückenteilzeit mag zu bürokratisch und zu wenig an betrieblichen Erfordernissen ausgerichtet sein: Das Signal ist richtig. Hier sind die Unternehmen gefordert, gute betriebliche Lösungen für ihre Arbeitnehmerinnen zu finden. Das gilt auch für flexible Arbeitsbedingungen wie Möglichkeiten zum Home Office.
Drittens: Kinderbetreuung
Es muss bessere Betreuungsangebote und -konzepte geben, die es Frauen ermöglichen, Vollzeit oder Vollzeitnah zu arbeiten. Und gleichzeitig ihre Kinder in den besten Händen zu wissen. Frauen dürfen nicht länger mit einem schlechten Gewissen durch ihr (Berufs-) Leben gehen.
Viertens: Steuerbelastung fair verteilen
Die Steuerklassen III und V sollten abgeschafft werden. Schon bei der Lohnsteuerzahlung muss die Steuerbelastung realitätsgerecht zwischen den Ehepartnern aufgeteilt werden.
Fünftens: Diversität als selbstverständliches Unternehmensziel
Frauen zu sehen und zu fördern, muss Chefsache sein. Und wenn eben Männer zum großen Teil diese Chefs sind, dann liegt es auch an ihnen. Sie müssen sich Fragen gefallen lassen, wenn in ihrer Organisation keine Frauen nach oben kommen: Wie ist das eigentlich ist mit ihrer Offenheit und Unvoreingenommenheit?
Last but not least: Mehr Gelassenheit
Wenn Frauen anders führen, so what? Wenn es Frauen gibt, die Verletzlichkeit auch bei der Führung zeigen wollen – nur zu. Anders emotional sind als Männern, anders agieren und kommunizieren. Gute Führung wird in Zukunft noch viel mehr von persönlicher Authentizität abhängen. Frauen können das.