Politische Krise in der Republik Moldau
In den vergangenen Wochen hat die Republik Moldau die schwerste politische Krise ihrer jüngeren Vergangenheit erlebt. Eine neu geformte „Anti-Oligarichen-Koalition“ zwischen dem pro-europäischen Wahlbündnis ACUM und den pro-russischen Sozialisten hat es sich zur Aufgabe gemacht, die korrupten Machtstrukturen im Land auszuhebeln. Der gestürzte Oligarch Vladimir Plahotniuc ist aus dem Land geflohen. Der neuen Premierministerin Maia Sandu steht ein politischer Balanceakt bevor.
Was in Moldau vor Kurzem noch unmöglich erschien, ist jetzt Realität geworden. Vor den Parlamentswahlen Anfang des Jahres hatte die Oppositionsführerin Maia Sandu geschworen, nie eine Allianz mit den pro-russischen Sozialisten des Staatspräsidenten Igor Dodon einzugehen. Nun ist genau diese Koalition – auch nach internationalem Druck – doch entstanden. Vier Parteien hatten bei der Parlamentswahl Ende Februar den Einzug ins Einkammerparlament geschafft. Die prorussischen Sozialisten mit fast einem Drittel der Stimmen, das proeuropäische Wahlbündnis ACUM („Jetzt“) mit 26,8 Prozent, die vom Oligarchen Vladimir Plahotniuc angeführte sogenannte Demokratische Partei mit 23,6 Prozent und die Plahotniuc nahestehende und vom Oligarchen Ilhan Șor geführte Șor-Partei mit 8,3 Prozent.
Eine antioligarchische Allianz
Nachdem die Koalitionsverhandlungen zwischen Sozialisten und der Demokratischen Partei nach fast drei Monaten scheiterten, kündigte das Verfassungsgericht am 7. Juni die Auflösung des Parlaments an, um den Weg für Neuwahlen zu ebnen. In einer unerwarteten Entwicklung und unter Vermittlung des russischen Vizepremiers Dimitri Kozak und Johannes Hahn, EU-Kommissar für Europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterung, gingen die proeuropäische ACUM-Partei und die pro-russischen Sozialisten am 8. Juni jedoch überraschend eine Regierungskoalition ein. Aufgestellt wurde eine überwiegend proeuropäisch dominierte Regierung unter Oppositionsführerin Sandu als Premierministerin und dem zweiten ACUM-Vorsitzenden Andrei Năstase als Vizepremier und Innenminister.
Die beiden Parteien, die ideologisch und außenpolitisch wenig eint, fanden einen gemeinsamen Nenner in dem Ziel, Moldau von der Willkür und Korruption des Oligarchen und Vorsitzenden der Demokratischen Partei Plahotniuc zu befreien. In den vergangenen Jahren hatte er nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Justiz und die Medien fast vollständig unter seine Kontrolle gebracht. Allerdings wollte die Demokratische Partei die Macht nicht aufgeben – das von Plahotniuc kontrollierte Verfassungsgericht erklärte die neue Regierung als verfassungswidrig und enthob Präsident Dodon seines Amtes. Nach tagelangem internationalen Druck, während Moldau zwei Regierungen hatte und die Oppositionspolitiker im stromlosen Parlament tagten, gab Plahotniuc nach und flüchtete samt Gefolgschaft aus dem Land.
In der Zwischenzeit hat Russland ein internationales Verfahren wegen Geldwäsche gegen ihn eröffnet. Alle sechs Verfassungsrichter haben nach Aufforderung der neuen Premierministerin Maia Sandu ihre Kündigung eingereicht. Die neue Regierung wurde in seltener Einigkeit von Russland, den USA und den EU-Staaten begrüßt, die ersten internationalen Gäste in der moldauischen Hauptstadt waren dann erneut Johannes Hahn und Dimitri Kozak.
Politischer Balanceakt für Premierministerin Maia Sandu
Die Regierung scheint zurzeit voll funktionsfähig und bestrebt, das Land erneut auf einen europäischen Kurs zu bringen, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln und Plahotniucs informelle Netzwerke zu zerschlagen. Gerade die im vergangen Jahr wegen der unter Plahotniuc herrschenden Korruption ausgesetzten EU-Fördergelder in Höhe von rund 100 Millionen Euro werden im ärmsten Land Europas dringend benötigt.
Maia Sandu sieht sich jedoch mit einem politischen Balanceakt konfrontiert – zwischen der EU und ihrem pro-russischen Koalitionspartner unter Präsident Dodon, der versucht, seine Macht auszubauen. Auch wenn er als Staatsoberhaupt in der parlamentarischen Republik nur begrenzte Befugnisse hat, ist er gleichzeitig Vorsitzender des Obersten Verteidigungsrats, der für das Thema Sicherheit des Staates zuständig ist. Diesem Rat wurden gerade durch die parlamentarische Mehrheit neue Befugnisse gegenüber der Regierung erteilt. Sollte ein Minister dem Rat Informationen verweigern, macht er sich unter der neuen Regelung strafbar.
Pro-russischer Präsident in Bedrängnis
Eine medial veröffentlichte geheime Videoaufzeichnung während der politischen Krise bringt Dodon allerdings in Bedrängnis. In den Aufnahmen, die während der gescheiterten Koalitionsverhandlungen mit Plahotniuc entstanden sind, soll Dodon monatliche russische Parteisubventionen in Höhe von 700.000 US-Dollar eingestanden haben. Die Aufnahmen zeigen ebenfalls, wie sich Dodon für die Föderalisierung der Republik Moldau zur Beilegung des Transnistrien-Konflikts ausspricht. Diese Position wird auch von der russischen Regierung vertreten. Nach Auflösung der Sowjetunion hatte sich Transnistrien von Moldau losgesagt und eine unabhängige Republik ausgerufen, die international jedoch von den meisten Ländern nicht anerkannt wird. Dodon dementierte die Echtheit des Videos.
Vorläufig scheint Präsident Dodon den politischen Fokus auf die Korruptionsbekämpfung – und nicht auf die Transnistrien-Frage – zu legen. Bei der letzten Sitzung des Verteidigungsrates ging es um die Bekämpfung des Schmuggels mit Zigaretten, Drogen, Anabolika und Bernstein, sowie um die Überprüfung von Verträgen im Energiesektor, insbesondere mit einem Stromzulieferer aus Transnistrien. Diese unter Plahotniuc entstandenen Netzwerke trugen maßgeblich zu seinem Vermögen und dem seiner Verbündeten bei. Sobald die Zerschlagung dieser Seilschaften von Regierungsseite angegangen wird, kann sich Dodon erneut seinen außenpolitischen Plänen zuwenden. Nicht zufällig fand der erste Termin des russischen Vizepremiers Kozak beim Moskau-treuen Präsidenten statt.
Für Maia Sandu steht somit ein politischer Seiltanz an. Sollte die Koalition mit den Sozialisten scheitern und aufgelöst werden, bräuchte sie die Unterstützung der nach Plahotniucs Flucht führungslos gebliebenen Abgeordneten der Demokratischen Partei. Auch das wäre eine unbeliebte Lösung, weshalb in Moldau die Meinung herrscht, Neuwahlen seien eher aufgeschoben als aufgehoben.