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„Wir müssen uns hohe Ziele setzen!“

Die demokratischen Herausforderungen auf dem Weg zu einer Europäischen Armee
EU Soldaten
Hilde Vautmans wünscht sich, dass sich die europäische Verteidigungspolitik zu einer exklusiven Kompetenz der EU weiterentwickelt. © CC BY-NC-ND 2.0 flickr.com/ European Parliament

EU-Kommissionspräsident Juncker spricht gerne vom Ziel einer Europäischen Armee, der französische Präsident Emmanuel Macron führt seit September die Idee einer Europäischen Interventionsbrigade im Munde. An politischen Visionen für die europäische Verteidigungspolitik mangelt es nicht. Wenig gesprochen wird allerdings über die praktischen Fragen der verstärkten Zusammenarbeit. Diese betreffen unter anderem das Europäische Parlament, welches einmal der Kontrolleur europäischer Streitkräfte werden könnte. Freiheit.org hat mit der liberalen Europaabgeordneten Hilde Vautmans gesprochen, die sich traut, von der Europäischen Armee zu träumen.

Mehr Verteidigungszusammenarbeit steht in der EU im Moment hoch im Kurs. Damit die demokratische Kontrolle von Streitkräften dann trotzdem gewährleistet bleibt, könnte dem europäischen Parlament auf diesem Gebiet eine wichtigere Rolle zukommen. Welche Rolle spielt das Europäische Parlament bereits heute im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik?

Die Rolle des Parlaments besteht darin, die Europäische Kommission dazu zu drängen, mehr für Fortschritte im Bereich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) zu unternehmen.  Das Parlament selbst hat bereits durch zahlreiche Entschließungen, Konferenzen und Workshops sein Engagement für eine vertiefte Zusammenarbeit in diesem Politikfeld unter Beweis gestellt.

Allerdings verfügt das Parlament bis heute über keine wirkliche Handhabe, wenn es um den Einsatz von Streitkräften im Namen der EU geht. Das ist auch logisch, weil die Entscheidungshoheit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik immer noch allein bei den Mitgliedstaaten liegt. Solange nur nationale Streitkräfte an EU-Missionen teilnehmen, kann und sollte das Europäische Parlament auch keine Kontrollrechte über diese ausüben.

Mein Traum ist es allerdings, dass eines Tages Europäische Streitkräfte in Auslandseinsätze entsandt werden und diese vom Europäischen Parlament kontrolliert werden.

Wie sieht Ihre Vision für die Zukunft der Europäischen Verteidigung aus? Und welche Rolle spielt das Europäische Parlament in dieser Vision?

Wir haben das erste Mal seit Jahren ein günstiges Zeitfenster für Fortschritt im Bereich der Verteidigungspolitik. Dank des Vertrags von Lissabon haben wir außerdem alle nötigen legalen Voraussetzungen für eine echte GSVP. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für deren Umsetzung. Ein erster Schritt, um den gegenwärtigen Flickenteppich aus bi- und multilateraler Zusammenarbeit zu überwinden, ist der Start der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (SSZ) im Dezember 2017. Das Ziel der SSZ besteht in gemeinsamen Verteidigungsinvestitionen, gemeinsamer Entwicklung von militärischen Fähigkeiten und gemeinsamer Einsatzbereitschaft. Auf diese Weise wird die SSZ die Europäische Union in ihrer strategischen Autonomie so stärken, dass sie, wenn nötig alleine, und wenn möglich, gemeinsam mit den Partnern in der NATO handeln kann.

Hilde Vautmans

Hilde Vautmans

© Hilde Vautmans

Auch wenn es bei der SSZ und anderen Initiativen nicht darum geht, eine Europäische Armee zu begründen, halte ich dies für das übergeordnete Ziel. Vor zwei Jahren habe ich die verteidigungspolitische Agenda der europäischen liberalen Partei (ALDE) verfasst. Dabei haben wir das Zusammenwachsen nationaler Streitkräfte zu einer europäischen Armee, gekennzeichnet durch europäische Abzeichen auf den Schultern der Soldaten, zu einem Eckpfeiler unserer Überlegungen gemacht.

Ich würde mir wünschen, dass die europäische Verteidigungspolitik sich zu einer exklusiven Kompetenz der EU weiterentwickelt, mit einer Europäischen Armee, unter der Führung eines europäischen Militärkommandos und eines europäischen Verteidigungsministers, und finanziert durch ein entsprechendes Budget aus dem EU-Haushalt. Wichtige Entscheidungen würden nach dem Prinzip der Gemeinschaftsmethode getroffen. Das Parlament hätte sämtliche Kontrollrechte und der Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung (SEDE) erhielte den Status eines vollwertigen Ausschusses.

Was müsste passieren, damit Ihre Vision Realität wird? Und welche sind die größten Hindernisse auf dem Weg dorthin?

Laut einer kürzlich veröffentlichten Eurobarometer-Umfrage wünschen sich mehr als zwei Drittel der EU-Bürger mehr Zusammenarbeit ihrer Mitgliedstaaten im Bereich der Sicherheit und Verteidigung. Mehr als die Hälfte der Befragten befürwortet darüber hinaus das Ziel einer Europäischen Armee.

Ich freue mich jedes Mal, wenn europäische Spitzenpolitiker wie der französische Präsident Emmanuel Macron, Bundeskanzlerin Angela Merkel oder EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sich für eine entschlossenere europäische Verteidigungspolitik aussprechen. Wir müssen uns hohe Ziele setzen! Solange unsere europäischen Regierungschefs ihre Visionen jedoch nicht in konkrete Vorhaben übersetzen, werden wir diese nicht erreichen.

Ich halte das Einstimmigkeitsprinzip im Bereich der Verteidigungspolitik für das größte Hindernis. Wir werden nie das Ziel einer Europäischen Armee und strategischer Autonomie erreichen, solange wir die Zustimmung jedes einzelnen Mitgliedstaates dafür benötigen. Die Europäische Union besteht heute aus 28 Mitgliedstaaten von denen jeder wegen seiner geografischen Lage und seiner Geschichte einzigartig ist. Jeder dieser Staaten hat deshalb seine eigene militärische Kultur und seine eigenen strategischen Prioritäten. Die Mitgliedstaaten müssen jedoch begreifen, dass ihre Verteidigung längst keine nationale Angelegenheit mehr ist. Die gegenwärtigen Bedrohungen unserer Sicherheit erfordern vielmehr eine europäische Lösung. 

Die Fragen stellte Sebastian Vagt, European Affairs Manager der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Brüssel.