„Katalysator für Frieden“: Chinesische Expert:innen loben Chinas globale Sicherheitsinitiative
Im April 2022 stellte Staats- und Parteichef Xi Jinping Chinas neue Globale Sicherheitsinitiative (GSI) beim „Boao Forum for Asia“ vor, einem seit 2008 von China ausgerichteten Gipfeltreffen. China biete mit der GSI einen neuen Ansatz, internationale Konflikte und Sicherheitsherausforderungen zu lösen, erklärte das chinesische Außenministerium. Beim diesjährigen Boao Forum wurden so auch gleich erste Erfolge gefeiert: Mehr als 80 Länder und internationale Organisationen hätten bereits ihre Unterstützung für die GSI ausgedrückt, hieß es.
Die GSI ist Teil eines Dreigespanns von Initiativen, zu dem auch die Globale Entwicklungsinitiative (2022) und die Globale Zivilisationsinitiative (2023) gehören (siehe Infobox). Ähnlich wie vor zehn Jahren bei der Seidenstraßeninitiative blieb anfangs vage, wie die Führung in Beijing das neue internationale Großprojekt ausgestalten wolle.
Doch dies ändert sich nun: Im Februar 2023 veröffentlichte das chinesische Außenministerium ein Konzeptpapier, in dem Prinzipien, Prioritäten und Plattformen der GSI erläutert werden. Darin bekennt sich die chinesische Regierung zwar zu den Grundprinzipien der Vereinten Nationen, betont aber vor allem die Souveränität und Sicherheitsinteressen der individuellen Staaten. In einem „echten Multilateralismus“ sollten Differenzen durch Dialog ausgeräumt werden – statt durch Sanktionen oder Intervention in Krisengebieten.
Die chinesische Führung will ihre angestrebte tragende Rolle in der globalen Sicherheitspolitik nicht nur mit Worten, sondern auch mit konkreten Schritten ausfüllen:
- Zum Jahrestag der russischen Invasion veröffentlichte das chinesische Außenministerium Ende Februar 2023 „Chinas Position zur politischen Beilegung der Ukraine Krise“ mit zwölf Punkten.
- Anfang März 2023 vermittelte China erfolgreich zwischen dem Königreich Saudi-Arabien und der Islamischen Republik Iran. Eine trilaterale Erklärung legte den Grundstein zur Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen.
- Der chinesische Außenminister verkündete im April 2023 die Bereitschaft der Volksrepublik, zwischen Israel und Palästina zu vermitteln.
Die neuen Entwicklungen wurden sowohl in der Presse, als auch von Expert:innen im Bereich internationale Beziehungen kommentiert.
China wirbt um internationale Unterstützung für seine Initiativen
Globale Entwicklungsinitiative (全球发展倡议)
Im September 2021 kündigte Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping im Rahmen einer UN-Generalversammlung die Globale Entwicklungsinitiative an. Die Initiative soll zur Erreichung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) beitragen. Sie ist aber auch ein Nachfolgeprogramm von Chinas Seidenstraßeninitiative und wirbt für wirtschaftliche Entwicklung nach chinesischem Modell.
Globale Sicherheitsinitiative (全球安全倡议)
Im April 2022 legte Xi beim Boao Forum for Asia nach und kündigte die Globale Sicherheitsinitiative an. Der Ansatz der Initiative wurde im Februar 2023 in einem Konzeptpapier weiter ausgeführt: Staaten kooperieren international zum Schutz der Sicherheit, aber mischen sich nicht in innere Angelegenheiten ein.
Globale Zivilisationsinitiative (全球文明倡议)
Zuletzt rief Xi im März 2023 die Globale Zivilisationsinitiative aus. In der offiziellen Kommunikation dazu wird die Diversität von Kulturen, Werten und politischen Systemen betont. Ebenso wie in der Sicherheitsinitiative liegt der Fokus auf Dialog, Toleranz und Nichteinmischung. Chinas Entwicklungsmodell und Werteverständnis werden als Alternativen zur westlichen Wertehegemonie angepriesen, dem Anspruch universeller Werte wird eine Absage erteilt.
China bietet laut Expert:innen eine Alternative zu Ansätzen westlicher Staaten
Expert:innen von chinesischen Universitäten und Forschungsinstituten wurden in den vergangenen Monaten viel zur Frage zitiert, was die GSI für Chinas außenpolitische Ambitionen und die internationale Gemeinschaft bedeute. Beiträge und Zitate finden sich vor allem in Staatsmedien und Analysen von Forschungsinstituten, die anlässlich neuer Entwicklungen rund um Xis Vorzeigeinitiative veröffentlicht wurden. Es verwundert also nicht, dass die Einschätzungen überwiegend positiv und eng mit der staatlichen Position verhaftet sind. Manche Kommentator:innen haben ihre Texte auch in sozialen Medien wie WeChat geteilt und sprechen damit durchaus eine breitere Öffentlichkeit an.
Eine Analyse der Expert:innenstimmen schafft trotz der Nähe zur staatlichen Position ein besseres Verständnis der Potentiale und Besonderheiten von Chinas neuer Rolle. Für die nachstehende Übersicht an Einschätzungen zur GSI wurden 25 Beiträge oder längere Medienzitate von Forscher:innen oder Führungspersonen an Universitäten und staatlichen Forschungsinstituten ausgewertet, die zwischen dem 12. Februar und 19. April 2023 veröffentlicht wurden.
Vorteile gegenüber bestehenden Initiativen
Viele der Kommentator:innen stimmen der offiziellen Darstellung zu, dass Chinas Beziehungen zu vielen Ländern im Gegensatz zu den USA und anderen westlichen Staaten nicht vorbelastet sind. Mit seinen pragmatischen Lösungen und seinem Fokus auf Infrastruktur und anderen öffentlichen Gütern stehe die Volksrepublik für einen neuen Ansatz, Sicherheit zu schaffen. Viele der Analysen betonen allerdings eher die Unzulänglichkeiten der USA, als alternative Strategien der Konfliktlösung zu diskutieren.
„In einer Zeit, in der die USA die globale öffentliche Meinung und Agenda dominieren, ist es für China wichtig, pragmatische chinesische Lösungen für friedliche Entwicklung und globale Governance zu entwickeln.“
“At a time when the US dominates global public opinion and agendas, it is critical for China to develop pragmatic Chinese solutions for peaceful development and global governance.”
Zhu Weilie (朱威烈), Professor, Middle East Studies Institute, Shanghai International Studies University (SISU)
„Der Aufbau der Schicksalsgemeinschaft der Menschheit bedeutet, mit der wertebasierten Diplomatie der westlichen Länder zu brechen, die im Namen der Demokratie in Wahrheit, Containment und Unterdrückung verfolgen, um alle Länder der Welt zu vereinen.“
构建人类命运共同体,就是要打破西方国家所推行的价值外交,改变西方国家以民主外交为名行遏制打压之实,把世界各国团结起来。
Liu Zhenmin, (刘振民), ehemaliger Untergeneralsekretär der UN
„Dieses neue Sicherheitskonzept geht über traditionelle westliche Sicherheitskonzepte, die Logik westlicher Machtpolitik und das vom Westen seit Langem verfolgte Nullsummenspiel bei Sicherheitsfragen hinaus, und gibt der internationalen Gemeinschaft grundlegende Leitlinien für den Umgang mit Sicherheitsherausforderungen an die Hand.“
这一新安全观超越了西方传统安全理念,超越了西方强权政治安全逻辑,超越了西方长期以来抱守的零和博弈安全思维,为国际社会应对安全挑战提供了根本遵循。
Wu Xiaodan (吴晓丹), Forscher, Center for the Study of Xi Jinping Diplomatic Thought, China Institute of International Studies (CIIS)
Blick nach vorn für Russland und Ukraine
Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine heben die Expert:innen das Zwölf-Punkte-Papier als positiven Beitrag zur GSI hervor. Es zeuge von Chinas Rolle als Großmacht, die sich für Entwicklung und Stabilität in der Welt engagiere. China wolle die Ursachen des Krieges bekämpfen – wie und was diese sind, bleibt allerdings ungesagt. Der Fokus liegt stattdessen auf Chinas Unparteilichkeit und möglicher Rolle beim Wiederaufbau.
„Das von China veröffentlichte Dokument zur Krise in der Ukraine ist eine konkrete Maßnahme Chinas, um die globale Sicherheitsinitiative umzusetzen. Sie ist Ausdruck einer verantwortungsvollen Großmacht. [...] Im Gegensatz dazu sind die USA nicht mehr in der Lage, der Welt nützliche öffentliche Güter zur Verfügung zu stellen.“
中国发布的涉及乌克兰危机的文件,就是中国践行全球安全倡议的具体行动,是负责任大国的体现。[...] 反观美国已经无法为世界提供有益的公共产品
Li Ziguo (李自国), Direktor und assoziierter Forscher des Instituts für Eurasienstudien, CIIS
„Im vergangenen Jahr hat China angesichts der Krise in der Ukraine stets die Grundprinzipien der Objektivität und Unparteilichkeit aufrechterhalten. [China] hat davon abgesehen, die Fäden zu ziehen oder Öl ins Feuer zu gießen, ganz zu schweigen davon, die Gelegenheit zu nutzen, um Gewinne zu machen [...]“
一年来,面对乌克兰危机,中国始终秉持客观公正的基本原则,不拉偏架、不火上浇油,更不趁机牟利 [...]
Yang Chenxi (杨晨曦), Stellvertretender Direktor, China Academy of International Studies
„Der Wiederaufbau nach dem Krieg beinhaltet viele sicherheitspolitische Aspekte. Dass China als verantwortungsbewusste Macht jetzt den Wiederaufbau nach dem Krieg thematisiert, ist meiner Meinung nach Ausdruck der Tatsache, dass es hierbei um internationale ethische Standards und die gemeinsamen Interessen der internationalen Gemeinschaft geht [...]. Es sollte ein Prozess sein, der die aktive Beteiligung aller Parteien mobilisieren kann.“
战后重建还包括安全政治各个方面,所以中方作为一个负责任的大国,我觉得在这个时候提出战后重建,实际上是表达了战后重建这个事情它是基于国际道义,同时也是基于国际社会的共同利益 [...],应该是一个能够调动各方积极力量都参与进来的这样一个进程
Cui Hongjian (崔洪建), Direktor des Instituts für Europastudien, CIIS
Erfolg mit Saudi-Arabien und Iran
Laut Expert:innen spielt Nichteinmischung als Grundsatz der Außenpolitik eine wichtige Rolle bei Chinas erfolgreicher Vermittlung. China ergreife keine Partei, unterhalte ausgewogene Beziehungen zu allen Beteiligten und sei daher glaubwürdig – auch wenn sich die Nachhaltigkeit der Vermittlung noch zeigen müsse.
„Der Iran und Saudi-Arabien haben große Anstrengungen unternommen, um den [diplomatischen] Durchbruch zu erlangen. Doch auch China hat dazu beigetragen, Länder in der Region zu koordinieren, um diese dornige Angelegenheit zu regeln. Das verdeutlicht Chinas zunehmenden regionalen und globalen Einfluss.”
“On top of the great efforts made by Iran and Saudi Arabia to make the breakthrough, China has also contributed to coordinating regional countries in settling thorny issues. This also highlights China’s increasing influence in the region and globally.”
Zhu Yongbiao (朱永彪), Direktor des Zentrums für Afghanistan-Studien an der Universität Lanzhou
„Chinas Fähigkeit, das Vertrauen beider Länder zu gewinnen, ist untrennbar mit den Grundsätzen seiner Nahost-Außenpolitik verbunden [...]. Dies bedeutet, sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Länder des Nahen Ostens einzumischen, in Konflikten keine Partei zu ergreifen und ausgewogene diplomatische Beziehungen zu allen Ländern zu unterhalten, um bei der Vermittlung eine unabhängige und glaubwürdige Haltung einnehmen zu können.“
中国之所以能赢得两国信任,[...],这与中国始终秉持的中东外交政策原则密不可分。即不干涉中东国家内政、在中东地区矛盾中不选边战、与所有国家保持平衡的外交关系,这样在调停时才能维持独立、可信的态度。
Niu Xinchun (牛新春), Professor & Direktor, Middle East Studies Institute, China Institute of Contemporary International Relations (CICIR)
„Welche Garantien kann China bereitstellen, wenn eine der Parteien das Abkommen nicht respektiert? Obwohl Saudi-Arabien und Iran ein Abkommen beschlossen haben, um ihre Beziehungen zu normalisieren, sind ehrlich gesagt die Widersprüche zwischen den Ländern noch deutlich sichtbar.“
“What kind of guarantees will China provide if one of the parties does not respect the agreement? Frankly speaking, although Saudi Arabia and Iran have reached an agreement to normalize relations, the contradictions between the two countries are still clearly visible.”
Fan Hongda (范鸿达), Professor, Middle East Studies Institute, SISU
Chinas Zukunftspotential als Friedenstifter
Beflügelt vom jüngsten diplomatischen Erfolg im Nahen Osten bescheinigen Expert:innen der GSI ein großes Potential. Diese könne zur Stabilisierung und Entspannung im Nahen Osten und darüber hinaus beitragen. Konkret wurde die Möglichkeit von Chinas Vermittlung zwischen Israel und Palästina genannt.
„Der Katalysator-Effekt der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Iran zeichnet sich bereits ab. Die Entspannung der Beziehungen zwischen Syrien, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, das Treffen der Außenminister Ägyptens und der Türkei sowie die Friedensgespräche zwischen den Huthi-Streitkräften im Jemen und Saudi-Arabien sind eine natürliche Folge. Noch wichtiger ist, dass Chinas globale Sicherheitsinitiative dem starken Wunsch der Länder des Nahen Ostens nach Frieden, Stabilität und Entwicklung entspricht [...].“
“沙依复交的外溢效应’正在快速显现。叙利亚和沙特、阿联酋的关系出现缓和,埃及和土耳其两国外长会面,也门胡塞武装同沙特和谈,都是水到渠成的事。更重要的是,中国提出的全球安全倡议顺应中东国家追求和平、稳定、发展的强烈愿望 (...).”
Liu Xinlu (刘欣路), Direktor der Akademie für Arabistik der Pekinger Universität für Auslandsstudien
„Die ‚Welle der Versöhnung‘ ist kein zufälliges Phänomen, sondern das Ergebnis der Wechselwirkung zwischen dem internationalen Umfeld und der Situation im Nahen Ostens. In den letzten Jahren sind die Beziehungen zwischen China und den USA in eine Ära des strategischen Wettbewerbs eingetreten [...]. Vor diesem Hintergrund streben alle Länder nach einer vorteilhaften Position.“
“和解潮”不是一个偶然现象,而是国际大环境和中东小环境交互作用的结果。近年来,中美关系进入战略竞争时代,[...]。在此背景下,各个国家都在寻找有利位置。“
Niu Xinchun (牛新春), Professor & Direktor, Institut für Nah-Ost-Studien, CICIR
Chinas neue Rolle als sicherheitspolitischer Akteur bietet Potentiale – doch Details bleiben unscharf
Die vergangenen Monate haben das Selbstbewusstsein der chinesischen Regierung und die Eigenwahrnehmung des Landes in der neuen Rolle als sicherheitspolitischer Akteur sichtlich gesteigert, wie die von Kommentator:innen mehrfach geäußerte Hoffnung auf eine von China initiierte „Welle der Versöhnung“ (和解潮) zeigt.
Ähnlich wie bei der Seidenstraßeninitiative blieb die konkrete Ausgestaltung der GSI zunächst schwammig, nimmt nun jedoch schnell Gestalt an und sollte daher nicht unterschätzt werden. Chinesische Expert:innen haben zudem Recht, wenn sie feststellen, dass China ein noch unbelasteter Akteur ist. Gerade im Globalen Süden wird China mit seinen Angeboten und Initiativen durchaus positiv wahrgenommen, da China ein Gegengewicht zu den USA darstellt, selten Position bezieht und vor allem Investment und Entwicklung ohne die harten Bedingungen der westlichen Staaten in Aussicht stellt.
Chinas Beitrag zur internationalen Friedenssicherung ist sicherlich wünschenswert, doch Beijings Schwerpunkt auf Vermittlung, Entwicklung und Nichteinmischung in Chinas Vision einer „internationalen Sicherheitsgemeinschaft“ birgt durchaus Herausforderungen und Lücken. So liegt der Fokus des Positionspapiers zur Ukraine zwar auf der Wiederaufnahme von Friedensgesprächen, Eindämmung nuklearer Risiken und Wiederaufbau. Gleichzeitig mahnt Beijing Dialog, Stopp der Sanktionen und „Respekt für die Sicherheitsinteressen aller Staaten“ an – und unterstützt damit die Argumentation Russlands.
Als nachdrücklicher Vermittler gegenüber dem Aggressor Russland ist China daher nicht zu erwarten. UN-Resolutionen zur Beendigung des Ukraine-Krieges enthält sich China bisher. Nach wie vor vermeiden das chinesische Außenministerium und die Staatspresse den Begriff „Krieg“. Während Xi und hohe Beamte Gespräche mit Putin und russischen Amtskolleg:innen pflegten und die beiden Staaten als Kräfte für den Frieden feierten, fand erst mehr als ein Jahr nach Kriegsausbruch ein Telefonat zwischen Chinas Partei- und Staatsoberhaupt und dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj statt.
Die chinesische Führung schickte im Mai den Sondergesandten Li Hui nach Kiev, um eine stärkere Rolle als Vermittler einzunehmen. Doch Chinas Expert:innen halten sich bislang bedeckt, wie Chinas konkreter Beitrag zur Konfliktbeilegung und der Weg nach vorne aussehen könnten.
China konnte in der Beilegung des Konflikts zwischen Saudi-Arabien und dem Iran Erfolge vorweisen und bietet sich seitdem stärker als neutraler Vermittler an. Offen bleibt, ob China bei Nichteinhaltung der getroffenen Vereinbarungen bereit ist, Konsequenzen durchzusetzen. Zudem stellt sich die Frage, wie Chinas Grundsatz der Nichteinmischung und absoluten staatlichen Souveränität mit Blick auf innerstaatliche Konflikte, wie z.B. im Sudan, Chinas neue Rolle als globaler Sicherheitsakteur beeinflussen wird. Sowohl staatliche Stellen als auch Expert:innen sind dazu bisher weitestgehend stumm geblieben.
Chinas eigene wirtschaftliche und geopolitische Interessen – von Chinas Energie- und Rohstoffsicherheit, zur Überstützung für Russland als Gegengewicht der USA – werden in einer als „neutral“ deklarierten internationalen Vermittlung ebenfalls außenvorgelassen. Doch angesichts der wachsenden globalen Ambitionen Chinas wird auch die Weltöffentlichkeit stärker auf die Motivationen und die Handlungsfähigkeit der Volksrepublik in derartigen diplomatischen Situationen blicken.
China Spektrum Reader Juni 2023
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Chinas Sicherheitsinitiative + ChatGPT + Gleichstellung unehelicher Kinder
„Aufstieg des Ostens und Fall des Westens“? – Chinesische Expert:innen analysieren Risiken in den Beziehungen zur EU
Was ist passiert?
Die Beziehungen zwischen der EU und China befinden sich seit den wechselseitigen Sanktionen im Jahr 2021 in einem Dauertief. Auch vor dem Hintergrund anhaltender Spannungen mit Washington sucht die chinesische Regierung nun nach Möglichkeiten, die Beziehungen zu Europa durch diplomatisches Engagement zu verbessern.
So erklärte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Wang Wenbin (汪文斌), am 18. Januar, China wolle die Beziehungen zu Europa vertiefen. Er sagte: „In der nächsten Phase ist China bereit, den Dialog und die Zusammenarbeit mit der europäischen Seite auf der Grundlage des gegenseitigen Respekts weiter zu stärken und gemeinsam neue Fortschritte in der umfassenden strategischen Partnerschaft zwischen China und Europa zu machen.“
In einem Interview mit der South China Morning Post Ende Dezember 2022 sagte Fu Cong (傅聪 ), Chinas neuer Botschafter bei der EU, zu seinen obersten Prioritäten gehörten „die Aufrechterhaltung und Wiederaufnahme von Kontakten auf allen Ebenen, die Stärkung der Zusammenarbeit bei globalen Themen wie dem Klimawandel und die Intensivierung des Austausches im kulturellen Bereich“.
Was sagen Chinas Expert:innen?
Wir wollten wissen, wie chinesische Top-Wissenschaftler:innen und Beratende den Stand der Beziehungen zwischen der Volksrepublik und der EU bewerten, insbesondere die Risiken und Konfliktpotentiale. Wir haben dazu 17 Veröffentlichungen von sieben der renommiertesten staatlichen chinesischen Einrichtungen zu EU-Forschung aus den Jahren 2021 und 2022 analysiert. Chinas Wissenschafter:innen identifizieren Risiken in drei Bereichen:
Strategische Verschiebung in der EU-Politik
Das Europäische Parlament sei in der China-Politik der EU-Mitgliedstaaten aktiver geworden, und sein Einfluss dürfe nicht unterschätzt werden, so lautet etwa die Einschätzung des Zentrums für chinesisch-europäische Beziehungen an der Fudan-Universität. Die EU habe in ihrem ersten „Bericht über die politischen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen der EU und Taiwan“ auch das „Ein-China-Prinzip“ in Frage gestellt. Sie gebe sich mittlerweile nicht mehr nur mit ihrem Vetorecht durch das Investitionsschutzabkommen zufrieden, sondern ergreife auch zunehmend Initiative, um die politische Agenda von Mitgliedstaaten gegenüber China mitzugestalten, so der Shanghaier Thinktank.
Geopolitische Spannungen
Die strategische Nähe zwischen China und Russland (中俄在战略上的接近) fungiere als Katalysator für die Veränderung der EU-Politik gegenüber China. Da die Situation in der Ukraine zu „unrealistischen europäischen Assoziationen“ führen könne, sei eine weitere Verhärtung der Haltungen zur Taiwan-Frage in der EU und ihren Mitgliedstaaten zu erwarten. Ein Infragestellen der chinesisch-europäischen politischen Beziehungen stelle ein reales Risiko dar.
Die Analysten sehen zudem die Indo-Pazifik-Strategie und die Initiative Global Gateway im direkten Wettbewerb mit chinesischen strategischen Bestrebungen. Die EU signalisiere hiermit eine Ausdehnung ihrer geopolitischen Ambitionen in bisher stark von China beeinflussten Regionen. Dies gilt insbesondere für den westlichen Balkan und die Länder aus Ost –und Südeuropa.
Wirtschaftliche Entkoppelung
Die Einführung des EU-Instruments zur Abwehr von wirtschaftlichem Zwang (anti-coercion instrument) und des Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten verstärke die Politisierung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen, analysieren das Zentrum für strategische und sicherheitspolitische Studien und das Institut für internationale Beziehungen an der Tsinghua-Universität.
Im Bereich Wirtschaft und Handel schauen die Wissenschaftler:innen kritisch auf EU-Maßnahmen, die – wenn auch nicht direkt auf China abzielend – wirtschaftliche und handelspolitische Abhängigkeit von China verringern sollen. Die EU reduziere dadurch ihre Abhängigkeit vom chinesischen Markt, dessen Rohstoffen und Industrieketten. Handel und Wirtschaftsbeziehungen würden so als „Grundpfeiler“ (压舱石) der beiderseitigen Beziehungen immer mehr an Bedeutung verlieren.
Was bedeutet das?
Chinas führende Expert:innen zeichnen ein durchweg pessimistisches Bild der Beziehungen zur EU. Die Bemühungen der chinesischen Zentralregierung um eine Verbesserung des Verhältnisses überraschen daher nicht. Die Analysen zeugen von einer intensiven Auseinandersetzung mit der Materie. Es finden sich allerdings keine abweichenden oder den allgemeinen Konsens hinterfragenden Betrachtungen, weshalb die Forschungsergebnisse durchaus Fehleinschätzungen enthalten und „politische Korrektheit“, also eine Übereinstimmung mit offiziellen chinesischen Regierungsstandpunkten, überwiegt.
Mit ihren ideologisch geprägten Interpretationen sehen die Expert:innen die EU in der primären, wenn nicht sogar alleinigen Verantwortung, an dem angespannten Verhältnis etwas zu ändern. Handlungsanweisungen für ihr eigenes Land sprechen sie in der Regel nicht aus bzw. diese werden zensiert, so wie die von Yan Xuetong (阎学通), Politikwissenschaftler an der Tsinghua-Universität im Juli 2022:
„Wir können entweder unsere Offenheit gegenüber Europa erhöhen, indem wir vor allem Europäern, Unternehmen und Organisationen die Möglichkeit geben, zu Kooperationszwecken nach China zu kommen. Oder wir versuchen, Konflikte mit der europäischen Öffentlichkeit in Menschenrechtsfragen zu verringern, indem wir Menschenrechtskonflikte auf die Ebene zwischen Regierungen beschränken und nicht auf die gesellschaftliche Ebene ausweiten.“
一是加大对欧开放,主要是允许欧洲人、企业、组织来中国进行合作,二是将人权冲突限于政府之间而不扩大到社会层面,减少与欧洲大众在人权问题上的冲突.
China Spektrum Reader Februar 2023
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Das Ende von Null-Covid + TikTok unter Druck + Beziehungen zur EU
Scholz in China: „Positives Signal“ an Europa, die Beziehungen zu verbessern
Am 4. November 2022 flog Bundeskanzler Olaf Scholz mit einer Wirtschaftsdelegation für einen Tag nach Beijing, um Gespräche mit Staats- und Parteichef Xi Jinping zu führen. Es war eine Reise der drei Premieren (三个首次), wie es die chinesische Presse nannte: Scholz besuchte China als erster Staatsgast nach dem 20. Parteitag im Oktober und als erster westlicher Regierungschef seit Beginn der Pandemie in China und erstmals in seiner Funktion als deutscher Bundeskanzler. Beide Länder blicken dieses Jahr auf 50 Jahre deutsch-chinesische Beziehungen zurück. Chinesische Staatsmedien feierten den Besuch als positives Signal einer stabilen Zusammenarbeit und Scholz als Garant für Kontinuität. Symbolisch dafür steht seine 40 Jahre alte Aktentasche, die in Artikeln vielfach Erwähnung fand.
In Deutschland wurde Scholzʼ China-Reise kritisch diskutiert und auf Werte- und Interessenkonflikte mit der Volksrepublik hingewiesen, gerade mit Blick auf Menschenrechtsverletzungen und wirtschaftliche Abhängigkeiten. Diese Bedenken sollen auch im Rahmen einer neuen, ressortübergreifenden China-Strategie der Bundesregierung adressiert werden, an der federführend das Auswärtige Amt arbeitet und die in die China-Politik der EU eingebettet sein soll.
Auch wenn die neue Strategie erst 2023 fertiggestellt wird, ist schon jetzt klar: die Tendenz geht in Richtung einer wertegeleiteten Außenpolitik und eines Abbaus wirtschaftlicher Abhängigkeiten. Scholz sprach sich einige Tage vor seiner Reise in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung gegen eine Abkopplung von China aus. Er kündigte zugleich auch den Abbau einseitiger Abhängigkeiten an. Zwar solle eine Blockbildung vermieden und gemeinsam der Einsatz von Nuklearwaffen verhindert werden. Zugleich merkte er jedoch an, dass ein anderer Umgang mit China notwendig sei.
Scholz war das erste, aber nicht das einzige westliche Staatsoberhaupt, das im November und Dezember 2022 nach langer Pause Xi persönlich traf. Auch US-Präsident Biden und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron trafen Chinas Staats- und Parteichef – allerdings am Rande des G20-Gipfels auf Bali. Anfang Dezember folgte dann die Reise von EU-Ratspräsident Charles Michel nach Beijing. Angesichts zunehmender Spannungen mit westlichen liberalen Demokratien legt Beijing in seinen Außenbeziehungen den Schwerpunkt verstärkt auf andere Staaten und Regionen.
Vor diesem Hintergrund ist es wichtig zu verstehen, wie Deutschland, aber auch verbündete westliche Staaten, in China diskutiert werden und was die chinesischen Erwartungshaltungen mit Blick auf die politischen Beziehungen sind.
Pragmatisch, rational und wirtschaftsbezogen: Chinesische Experten-Diskussionen über Deutschland weichen kaum von der offiziellen Position ab
Der Rahmen des Sagbaren ist für Akdemiker:innen in Anbetracht von ideologischer Disziplinierung kleiner geworden, auch wenn Expert:innen in Forschungsbeiträgen, Artikeln oder Videos in sozialen Medien immer wieder Grenzen ausloten. Auch die Reisebeschränkungen der vergangenen Jahre und Zensur internationaler Seiten erschweren es chinesischen Wissenschaftler:innen, sich mit Debatten in Deutschland und Europa auseinanderzusetzen.
Zum Scholz-Besuch und den deutsch- und europäisch-chinesischen Beziehungen meldeten sich renommierte Deutschland- und Europa-Expert:innen zu Wort – doch gab es wenig grundlegende Differenzen in ihren Einschätzungen und kaum Abweichungen von der offiziellen Position. Das zeigt auch die folgende Auswahl zentraler Aussagen:
Zur Bedeutung des Scholz-Besuchs:
Chinesische Expert:innen konzentrieren sich in ihren Analysen zum Treffen von Scholz und Xi fast ausnahmslos auf die Bedeutung stabiler wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern. Der Besuch von Scholz wird als klares Signal für die Fortführung wirtschaftlicher Beziehungen und als „Anker der Stabilität“ (稳定之锚) für die chinesischen Beziehungen zur EU gesehen, so Cui Hongjian (崔洪建), Direktor des Instituts für Europastudien der Chinesischen Akademie für Internationale Studien.
Die Absage an eine Abkopplung (脱钩) zieht sich als roter Faden durch die Beiträge, häufig mit Verweis auf das Zitat von Scholz, der eine Abkopplung für unmöglich erklärte. Neben der wirtschaftlichen Zusammenarbeit werden auch gemeinsame Interessen in Bezug auf die Pandemiebekämpfung, den Klimawandel, die Energiekrise und die Verhinderung von Nuklearwaffeneinsätzen erwähnt – allerdings nicht das Thema Menschenrechte.
Chinesische Expert:innen teilen die Erwartung der chinesischen Regierung, dass die bilateralen Beziehungen mit Deutschland pragmatisch, rational und nicht unnötig politisch aufgeladen sein sollten. So schreibt Zheng Chunrong (郑春荣), Direktor des Instituts für Deutschlandstudien der Tongji-Universität, dass „das deutsche Außenministerium nur eine realistische China Strategie verfolgen solle.“ (外交部唯一能做的就是制定符合现实的对华战略).
Zu Scholz’ Rolle in der Gestaltung der deutsch-chinesischen Beziehungen:
Scholz führt aus Sicht der Expert:innen die China-Politik seiner Vorgängerin Angela Merkel fort. Sie betonen seinen Wirtschaftsfokus und seine langjährigen Beziehungen zu China aus seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister und Finanzminister.
Tian Dewen (田德文), Sekretär des Disziplinarausschusses und stellvertretender Direktor des Instituts für Europastudien der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, beschreibt, dass Scholz für pragmatische deutsch-chinesische Beziehungen steht und Durchsetzungsfähigkeit gegen Stimmen, die sich gegen eine Zusammenarbeit mit China aussprechen. Chinesische Expert:innen verweisen auf Scholz‘ Rolle beim umstrittenen Einstieg der chinesischen Staatsrederei COSCO im Hamburger Hafen. Zheng erklärt, von Scholz werde erwartet, dass er am eingeschlagenen Kurs festhält, Führungsstärke beweist, sich weiter durchsetzt und sich nicht von anderen Regierungspartnern die Zügel aus der Hand nehmen lässt. Mit Scholz assoziieren chinesische Expert:innen Rationalität, Pragmatismus und Verlässlichkeit.
Zu Problemen in den deutsch-chinesischen Beziehungen:
Wenn von einer Verschlechterung der Beziehungen gesprochen wird, wird dafür zumeist eine kritische Minderheit in der deutschen Regierung verantwortlich gemacht, allen voran einzelne Vertreter:innen der Grünen und die FDP, die auf Basis nicht rationaler Entscheidungen handelten. Yang Xiepu (杨解朴), Direktorin des Deutsch-Chinesischen Kooperationszentrums der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, thematisiert die Einflussnahme der USA, die versuchten, einen Keil zwischen China und die EU zu treiben.
Chinesische Expert:innen begründen das Misstrauen der EU-Staaten mit dem Umstand, dass China in der „Ukraine-Krise“, wie der Krieg in China meist genannt wird, nicht dieselbe Position einnimmt wie die EU. Tian begründet das angeschlagene Vertrauen zudem damit, dass sich Länder angesichts der angespannten geopolitischen Lage (Krieg in der Ukraine, Energiekrise, Klimawandel) stärker auf eigene Interessen statt auf internationale Zusammenarbeit konzentrierten.
Zu den Beziehungen zu Frankreich, der EU und den USA:
Auch hier erachten die Expert:innen Xis bilaterale Gespräche mit Biden, Macron und Michel als positiv. Sie wiederholten Forderungen der Regierung, dass man gemeinsam den Multilateralismus stärken, die internationale Ordnung verteidigen und sich für eine stabile Weltwirtschaft einsetzen solle.
Aus Sicht einiger Beobachter:innen, darunter Professor Yang Mian (杨勉) vom Institut für Internationale Beziehungen an der Chinesischen Kommunikationsuniversität, verfolgt die EU gegenüber China eine „zweigleisige Politik“ (欧洲的政策具有两面性): viele europäische Staaten stehen den USA ideologisch näher, vor allem seit dem Krieg in der Ukraine, haben allerdings enge Wirtschaftsbeziehungen mit China. Expert:innen wie Tian argumentieren, dass China vertrauenswürdiger und stabiler sei als die USA – auch als Partner für Deutschland. Sie betonen die moralische Überlegenheit und Weitsichtigkeit Chinas.
Ansichten über die beiderseitigen Beziehungen klaffen in Deutschland und China weit auseinander
Die Medienberichterstattung und Experten-Debatten zeigen: in China wird Deutschland als wichtiger Partner und Verbündeter gesehen. Dem Treffen von Xi und Scholz wird eine Signalwirkung an die EU zugeschrieben. Bezeichnend ist, dass die Expert:innen in ihren Einschätzungen sehr dicht an der Darstellung und Wortwahl der Staatsmedien und öffentlichen Stellungnahmen bleiben.
In der Debatte über die beiderseitigen Beziehungen in Deutschland dominieren hingegen kritische Sichten auf China: Hierzulande findet seit Monaten mit Blick auf die Kanzlerreise, die Entscheidung zur Beteiligung von COSCO im Hamburger Hafen und die in Arbeit befindliche China-Strategie der Bundesregierung eine intensive Diskussion darüber statt, wie die zukünftige Zusammenarbeit mit China aussehen sollte.
In drei zentralen Punkten unterscheidet sich die chinesische Wahrnehmung und Erwartungshaltung grundlegend von der deutschen Position:
Gestaltung der Beziehungen: Die chinesische Regierung wünscht sich mehr Zusammenarbeit, setzt aber den Schwerpunkt auf die Wirtschaftsbeziehungen. Unterschiedliche Ansichten zu einzelnen Themen werden akzeptiert, doch China erwartet Pragmatismus und keine „Politisierung“ der Beziehungen. Auch wenn es nicht direkt thematisiert wird, schwingt die Erwartung mit, dass für Beijing heikle Themen wie Menschenrechte und der Status Taiwans nicht angesprochen werden und China bei Investitionen und dem Marktzugang in Deutschland keine Einschränkungen auferlegt werden sollten.
Rolle und Gestaltungsspielraum von Olaf Scholz: Scholz’ Position wird als China zugewandt und seine Handlungsmacht innerhalb der deutschen Regierung als sehr stark interpretiert. Scholz wird als Macher gesehen, der sich für enge Beziehungen mit China einsetzt und sich dabei auch gegen FDP und Grüne durchsetzt.
Politische und öffentliche Debatte: Die Sorgen von deutschen Unternehmen, politischen Entscheidungsträgern und zivilgesellschaftlichen Akteuren, die in der Diskussion um Abkopplung und eine neue Strategie für den Umgang mit China zum Ausdruck kommen, bleiben in chinesischen Diskussionen unerwähnt oder werden als Minderheitsmeinungen bewertet. Auch die öffentliche Wahrnehmung Chinas in Deutschland nicht beleuchtet: Dabei hat die Zahl der Deutschen mit überwiegend negativem Bild von China laut einer Pew-Umfrage 2021 mit 74 Prozent einen Rekord erreicht. 78 Prozent gaben an, Deutschland solle sich auch dann für Menschenrechte einsetzen, wenn dies wirtschaftliche Nachteile zur Folge hätte.
Das Ausblenden von Konfliktthemen mit Deutschland auf chinesischer Seite birgt Risiken
Die Analysen dieses offiziellen Besuchs bilden nicht die gesamte chinesische Debatte über die Beziehungen zu Deutschland ab. Zudem bestand auf chinesischer Seite angesichts des 50. Jahrestags der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Deutschland ein Interesse, optimistisch nach vorne zu blicken. Doch zeigt diese Momentaufnahme dieser in China unter Deutschland- und Europa-Kenner:innen geführten Debatte, dass manche Erwartungen des Parteistaats an die bilateralen Beziehungen unrealistisch sein dürfen.
Dies zeigt sich in einer eindimensionalen Einschätzung und Überbetonung der positiven Ergebnisse des Treffens und der persönlichen Handlungsmacht des Kanzlers im deutschen politischen System, aber auch in der Ausblendung der breiteren öffentlich Debatte zum Umgang mit China in Deutschland. Diese Sichtweisen können Probleme und zunehmendes Konfliktpotential in den deutsch-chinesischen Beziehungen überdecken. So könnte es schnell zu falschen Erwartungen und Auseinandersetzungen zwischen den beiden Staaten kommen, wenn Deutschland – und auch Olaf Scholz – dem chinesischen Wunsch nicht folgt, den Primat der Wirtschaft walten zu lassen.
Weiterführende Informationen:
China Spektrum Report Januar 2023
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Olaf Scholz in Beijing + Mehr Staat für die Wirtschaft + Skepsis gegenüber digitaler Währung