EN

Brasilien
Bolsonaro und die autoritäre Wende

Die zweite Runde der brasilianischen Präsidentschaftswahl am 28. Oktober rückt näher
Jair Bolsonaro, der rechtspopulistische Kandidat für das Amt des brasilianischen Präsidenten
Der rechtspopulistische Präsidentschaftskandidat Jair Bolsonaro. © CC BY 2.0/Flickr/Agência Brasil Fotografias

Die zweite Runde der brasilianischen Präsidentschaftswahl am 28. Oktober rückt näher. Wie geht es weiter mit der viertgrößten Demokratie der Welt? Wählt die Mehrheit der 145 Millionen Wahlberechtigten die autoritäre Wende, wie international zahlreiche Liberale, Konservative und Linke befürchten?

Der eindeutige Gewinner des ersten Wahlgangs war der von Beobachtern als rechtsextrem beschriebene Jair Bolsonaro mit 46,03 Prozent von der konservativen PSL. Fernando Haddad von der durch schwere Korruptionsaffären erschütterten Arbeiterpartei PT erzielte lediglich 29,28 Prozent.

Wahlkämpfe werden in Brasilien immer laut und aggressiv geführt.  Aber 2018 war die Ausgangslage für die Wahlen am 7. Oktober besonders konfliktgeladen. Der wohl größte bekannte Korruptionsfall der Weltgeschichte um die brasilianische Baufirma Odebrecht, die quer durch alle Parteien Politiker bestochen hatte, um lukrative öffentliche Aufträge zu gewinnen, und die aktuelle Wirtschaftskrise haben die Politikverdrossenheit der Brasilianer auf die Spitze getrieben.

Das ist der Hintergrund für den kometenhaften Aufstieg des politischen Veteranen Jair Bolsonaro, der bis 2017 kaum bekannt war. Der 63-jährige Bolsonaro ist seit 1991 Bundesabgeordneter und war im Laufe seines politischen Lebens Mitglied in acht verschiedenen Parteien. Aufgefallen ist der ehemalige Hauptmann in der Vergangenheit nur durch einen extrem aggressiven Politikstil und erzkonservative, autoritäre Positionen, allen voran die Verherrlichung der brasilianischen Militärdiktatur. Seine Ankündigung, der Polizei „Kopfgelder“ für getötete Verbrecher zahlen zu wollen, und seine Befürwortung der Folter offenbaren Parallelen zu dem philippinischen Präsidenten Duterte. Seine Hasstiraden gegen Minderheiten hatten ihm im Sommer 2018 eine Anklage wegen Rassismus vor dem obersten Bundesgericht eingebracht, die das Gericht allerdings am 11. September fallen ließ und ihm damit die Fortführung seiner Wahlkampagne ermöglichte.

Kein Wunder, dass die Kandidatur Bolsonaros weltweit Sorgen und Ängste auslöste. Der britische Economist bezeichnete Bolsonara als Gefahr für die Demokratie. Die New York Times titelte im Sommer, Brasilien flirte mit den dunklen Tagen der Vergangenheit. Die Anspielung auf die brasilianische Militärdiktatur ist dabei immer wieder Dreh- und Angelpunkt möglicher Szenarien. Die Süddeutsche Zeitung bemerkte dazu fast schon lakonisch, ein Vergleich mit Donald Trump sei schon fast ungerecht. Francis Fukuyma, ein weltweit bekannter liberaler Politikwissenschaftler, wurde vorgeworfen, er sei Kommunist – weil er vor der autoritären Wende eines Jair Bolsonaro warnte.

Die Anhänger Bolsonaros geben sich von diesen Szenarien unbeeindruckt. Im Gegenteil: Seine Unterstützung wächst. In der Krisensituation Brasiliens gibt es offensichtlich viele Wähler, die einfache Lösungen für komplexe Probleme sowie eine markige und autoritäre Rhetorik bevorzugen. Auch viele Brasilianer aus der Mittelschicht geben dem Ultra-Rechten den Vorzug vor dem Kandidaten der Arbeiterpartei PT.

Dabei taugt die Wirtschaftspolitik Bolsonaros kaum zur Erklärung. Bolsonaro selbst hat wenig Ahnung von Wirtschaftspolitik, versucht aber durch die Ernennung des Wirtschaftsfachmann Paulo Guedes ökonomisches Profil zu gewinnen. Guedes ist ein scharfer Kritiker der Wirtschaftspolitik der Arbeiterpartei PT und befürwortet die Privatisierung aller Staatsunternehmen, allen voran des staatlichen Ölkonzerns Petrobras. Gleichzeitig greift er den vermeintlich „dysfunktionalen“ Staatsapparat mit seiner ineffizienten Bürokratie und Vetternwirtschaft scharf an.

Auch wenn die schlimme Wirtschaftskrise der Jahre 2015/16 vordergründig überwunden scheint, so ist Massenarbeitslosigkeit von mehr als 13 Millionen Brasilianern ein deutlicher Ausdruck struktureller Probleme. Allen voran steht die horrende Staatsverschuldung. Der New York Times zufolge könnte die Staatsverschuldung in den nächsten zwei Jahren derart explodieren, dass die brasilianische Regierung nicht mehr in der Lage sein könnte, sich selbst zu finanzieren. Neben der üblichen Rhetorik der Privatisierung aller Staatsunternehmen sind Bolsonaros ökonomische Antworten darauf mehr als mager. Dennoch scheinen sich breite Teile der brasilianischen Wirtschaftselite auf die Seite Bolsonaros geschlagen zu haben.

Sollte Paulo Guedes tatsächlich ins Wirtschaftsministerium kommen, wird er zweifellos polarisieren. Verhandeln müsste er eigentlich auch. In dem hoch fragmentierten neuen Parlament wäre Bolsonaro auf eine Viel-Parteienkoalition angewiesen. Keine im Parlament vertretene Partei hat mehr als 56 von 513 Sitzen. Bolsonaros PSL bringt es als zweitstärkste Partei nach der PT auf 52 Sitze – also gerade einmal zehn Prozent. Damit wird jedes grundlegende Reformprojekt zum Gegenstand eines hochkomplexen Aushandlungsprozesses. Wenn es denn überhaupt bei einem demokratischen System bleibt. 

Es ist eine Ironie des Schicksals, dass die Brasilianer wohl am 28. Oktober  für den Weg zurück in die Vergangenheit stimmen werden. Bolsonaro als der Vertreter einer rückwärtsgewandten, intoleranten und militaristischen Politik schafft es offensichtlich, in der Polarisierung zwischen Rechts und Links weite Teile der Bürgerschaft anzusprechen. Angesichts der Tatsache, dass sich der Ökonom und PT-Kandidat Haddad bewusst in die Tradition von Lula und Roussef stellt, sind dessen Aussichten für den zweiten Wahlgang alles andere als rosig.

Korruption und Vetternwirtschaft haben Brasilien in die Krise gestürzt. Wer aber glaubt, dass der Mix zwischen Autoritarismus und Populismus einen Weg in die Zukunft weisen kann, irrt sich gewaltig.