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Präsidentschaftswahlen in Venezuela
Venezuelas Schicksalswahl gegen das Maduro-Regime

Anhaltende Repression gegen die Opposition, während Umfragen der Demokratie Hoffnung geben
Maria Corina Machado (L) und Edmundo Gonzalez Urritia

Obwohl prominente Politiker wie die liberale Oppositionsführerin María Corina Machado und andere von einer Kandidatur ausgeschlossen wurden, hat ihre Unterstützung des unabhängigen Kandidaten Edmundo González die Opposition mobilisiert.

© picture alliance / ZUMAPRESS.com | Juan Carlos Hernandez

Millionen von Venezolanern werden voraussichtlich am Sonntag, dem 28. Juli, wählen, in einer Wahl, die als die entscheidendste seit der Machtübernahme von Nicolás Maduro vor über einem Jahrzehnt gilt. Diese Wahl entfacht zum ersten Mal seit 25 Jahren Hoffnungen auf echten Wandel. Der „Chavismus“, die von dem verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez gegründete politische Bewegung, steht am Rande einer bedeutenden Niederlage an der Wahlurne, mitten in einer tiefen politischen und wirtschaftlichen Krise, die zu einer der schlimmsten humanitären Notlagen Lateinamerikas und zur Migration von über 7,7 Millionen Venezolanern geführt hat. Obwohl prominente Politiker wie die liberale Oppositionsführerin María Corina Machado und andere von einer Kandidatur ausgeschlossen wurden, hat ihre Unterstützung des unabhängigen Kandidaten Edmundo González die Opposition mobilisiert. Umfragen zeigen, dass González im Durchschnitt 20 Prozentpunkte voraus liegt, was auf einen möglichen Erdrutschsieg über den autoritären Amtsinhaber Maduro hindeutet, sofern die Wahl fair verlaufen wird.

Die Präsidentschaftswahlen in Venezuela sind für Sonntag, den 28. Juli, angesetzt. Der Amtsantritt des gewählten Präsidenten beginnt jedoch erst im Januar 2025, während die derzeitige Regierungskoalition bis Ende 2025 im Parlament bleibt. Nach zahlreichen Rückschlägen hat die Oppositionskoalition "Demokratischen Einheitsplattform" den ehemaligen Diplomaten Edmundo González Urrutia als ihren Kandidaten nominiert. María Corina Machado, Oppositionsführerin der liberalen Partei Vente Venezuela, die im vergangenen Oktober einen Erdrutschsieg bei den von der Opposition organisierten Vorwahlen errang, aber selbst von der Kandidatur ausgeschlossen wurde, hat González unterstützt. Das Duo Machado-González führte eine aktive Wahlkampagne im ganzen Land durch und belebt die Hoffnungen der Opposition. Jüngste Umfragen zeigen, dass González im Durchschnitt 20 Prozentpunkte vor dem autoritären Amtsinhaber Nicolás Maduro liegt, der eine dritte Amtszeit anstrebt. Trotz Bedenken hinsichtlich möglicher Wahlmanipulationen durch das Regime bietet dieser Ausblick Hoffnung für die venezolanische Demokratie. Weitere Kandidaten stehen ebenfalls zur Wahl, gelten jedoch nicht als bedeutende Anwärter.

31 Juli
31.07.2024 19:00 Uhr
virtuell

NACH DEN WAHLEN - Venezuelas Zukunft und die Rolle der internationalen Gemeinschaft

Der steinige Weg der Opposition & die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft

Aufgrund eines bestehenden Banns zur Ausübung von öffentlichen Ämtern gegen María Corina Machado konnte die Gewinnerin der Oppositionsvorwahlen nicht kandidieren. Die erste Nachfolgerin der Opposition, Corina Yoris, stieß auf Hindernisse, als die Registrierungswebsite sie blockierte, obwohl keine rechtlichen Verbote gegen sie vorlagen.

Corina Yoris

Corina Yoris

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Matias Delacroix

Angesichts lokaler und internationaler Kritik gewährte die vom Regime kontrollierte Wahlbehörde eine Verlängerung. Obwohl Yoris sich weiterhin nicht registrieren konnte, gelang es Edmundo González, sich erfolgreich anzumelden. Folglich einigten sich alle zehn Parteien der Oppositionskoalition einstimmig darauf, González als ihren einzigen Kandidaten zu unterstützen. Der Druck der internationalen Gemeinschaft spielte eine bedeutende Rolle bei dieser Flexibilität, wobei die Kritik an Yoris' Ausschluss aus verschiedenen Kreisen kam. Dazu gehören selbst die linksgerichteten Regierungen von Brasilien und Kolumbien, die beschlossen haben, nicht länger zu den autoritären Maßnahmen des Regimes zu schweigen. Diese Woche forderte der brasilianische Präsident Lula da Silva das venezolanische Regime auf, die bevorstehenden Wahlen zu respektieren, und warnte ihn:

Maduro muss lernen, dass man bleibt, wenn man gewinnt, und geht, wenn man verliert. Er muss den demokratischen Prozess respektieren.

Lula da Silva

Lulas Aussage war eine direkte Reaktion auf Maduro’s Bemerkungen, dass Venezuela ein „Blutbad“ drohen könnte, falls er verliert.

Millionen von Venezolanern im Ausland können nicht wählen

Venezuela hat derzeit eine Bevölkerung von etwa 29 Millionen, von denen theoretisch 21 Millionen berechtigt sind, an den Präsidentschaftswahlen teilzunehmen, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Landes. Aufgrund verschiedener Einschränkungen, der hohen Kosten für die Beschaffung notwendiger Dokumente (wie einen gültigen Reisepass), die für die Stimmabgabe im Ausland erforderlich sind, und Hindernissen, die das Chavista-Regime bei der Wählerregistrierung im Ausland auferlegt hat, sind derzeit nur 69.211 der 4,5 Millionen wahlberechtigten Venezolaner im Ausland als Wähler registriert.

Was am Sonntag zu erwarten ist

Vor einigen Monaten skizzierte der politische Analyst Antonio de la Cruz in einem Interview mit El Nacional drei mögliche Szenarien: Erstens könnte das Regime von Maduro González' Kandidatur akzeptieren und ihm erlauben, legal zu kandidieren. Zweitens könnte González teilnehmen, aber die Regierung könnte das Ergebnis manipulieren. Drittens könnte das Oberste Gericht die Karte der „Demokratischen Einheitsplattform“ durch ein Rechtsmittel annullieren und González von der Kandidatur ausschließen. Ein viertes Szenario, das die vollständige Annullierung oder Verschiebung der Wahlen aufgrund eskalierender Konflikte mit Guyana über das Territorium des Esequibo-Flusses umfasst, wurde von Analysten ebenfalls in Betracht gezogen, erscheint jetzt jedoch weniger wahrscheinlich. Mit dem näher rückenden Wahltag erwarten Beobachter, dass die aktuellen Bedingungen bestehen bleiben, sodass die ersten drei Szenarien weiterhin plausibel sind.

Anhänger der Opposition jubeln dem Präsidentschaftskandidaten Edmundo Gonzalez und der Oppositionsführerin Maria Corina Machado zu

Anhänger der Opposition jubeln dem Präsidentschaftskandidaten Edmundo González und María Corina Machado zu.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Matias Delacroix

Die von den Oppositionskräften verfolgte Strategie hat das politische Gleichgewicht in Venezuela verschoben. Anders als in der Vergangenheit, als sie oft Wahlbetrug anprangerten und die Wahlen boykottierten, haben sich jetzt alle Oppositionsparteien öffentlich verpflichtet, an der Wahl teilzunehmen, unabhängig von möglichen Hindernissen. Es bestehen weiterhin Befürchtungen, dass Maduro die Ergebnisse ablehnen oder manipulieren könnte. Der Oppositionskandidat Edmundo González Urrutia in den meisten seriösen Umfragen mit durchschnittlich 20 Prozentpunkten. Eine hohe Wahlbeteiligung könnte Versuche der Ergebnismanipulation entgegenwirken. Die Demokratischen Einheitsplattform, die González unterstützt, hat Freiwillige mobilisiert, um die Auszählung an etwa 30.000 Wahllokalen zu beobachten. Das venezolanische Gesetz erlaubt es jeder Partei, einen Beobachter an jedem Wahltisch zu ernennen, eine Rolle, die aufgrund der begrenzten Präsenz glaubwürdiger internationaler Beobachter in diesem Jahr an Bedeutung gewonnen hat. Das Regime hat die Einladung der Europäischen Union zur Wahlbeobachtung zurückgezogen, und obwohl das Carter Center, die Vereinten Nationen und Brasilien einige Wahlexperten entsenden, sind ihre Rollen begrenzt. Am Dienstag prangerte die Oppositionsführerin María Corina Machado die vom Nationalen Wahlrat auferlegten Hindernisse an, die die Kampagne von González daran hindern, die Akkreditierungen für ihre Wahlbeobachter herunterzuladen. Obwohl 98% ihrer Wahlbeobachter akkreditiert sind, erlaubt die Website der Wahlbehörde nicht, die Akkreditierungen auszudrucken.

Intensivierte Repression und willkürliche Festnahmen in Venezuela

Die nicht zugelassenen Kandidaturen von Machado und andere Oppositionsmitglieder sowie die Verhinderung von Yoris' Registrierung verstoßen gegen das Barbados-Abkommen. Dieses Abkommen, das im Oktober letzten Jahres unterzeichnet wurde, verlangte von Maduro’s Regime, freie und faire Präsidentschaftswahlen sicherzustellen und politische Gefangene freizulassen. Trotz einer kurzen Entspannung und eines „Gefangenenaustauschs“ kurz nach der Unterzeichnung, begann das Jahr 2024 mit erneuter Repression, was zur Inhaftierung weiterer Oppositionsführer und Aktivisten führte. Die NGO Foro Penal berichtet, dass derzeit 301 Personen aus politischen Gründen in Venezuela inhaftiert sind. Andere NGOs dokumentieren rund 71 willkürliche Festnahmen in den ersten 10 Tagen der Wahlkampagne in Venezuela. Darüber hinaus befinden sich sechs Mitglieder von Vente Venezuela in der argentinischen Botschaft in Caracas, ohne sicheres Geleit zur Ausreise, was gegen das Übereinkommen über diplomatisches Asyl verstößt. Dies spiegelt eine besorgniserregende Strategie der Einschüchterung und Repression gegenüber denen wider, die ihr Recht auf Teilnahme am demokratischen Prozess ausüben.

„Antifaschismus“-Gesetz: Eine neue mögliche Waffe des Maduro-Regimes

Inmitten der undemokratischen Wahlpraktiken des Regimes hat die Nationalversammlung kürzlich einen Entwurf für ein so genanntes „Antifaschismusgesetz“ vorgelegt, die dem Regime erweiterte Befugnisse zur Unterdrückung von Protesten und zur härteren Bestrafung von Kritikern verleihen würde. Dies könnte zu strafrechtlichen Anklagen gegen sowohl Oppositionsführer als auch normale Bürger führen, die ihre Unzufriedenheit oder Beschwerden in sozialen Medien äußern. Darüber hinaus hat das Regime ein Gesetz vorgeschlagen, das lebenslange Haftstrafen für diejenigen vorsieht, die wegen „Korruption und Hochverrat“ verurteilt werden, was voraussichtlich zu härteren Strafen für politische Gegner führen würde. Zusammen mit dem „Antifaschismus“-Gesetz und einer weiteren Initiative gegen zivilgesellschaftliche Organisationen werden diese neuen Regelungen voraussichtlich die Menschenrechtsgarantien weiter untergraben und die politischen Freiheiten in Venezuela einschränken.

Die humanitäre Notlage und Flüchtlingskrise

Etwa 19 Millionen Menschen in Venezuela haben keinen Zugang zu angemessener Gesundheitsversorgung und Ernährung, während chronischer Strom- und Wassermangel die Gesundheitsdienste weiter belasten. Verschlechterte Infrastruktur und fehlende Grundversorgung in ländlichen Gebieten treiben die Migration in städtische Zentren voran. Die Krise wirkt sich auf das Bildungswesen aus, da über 26% der Kinder aufgrund von Krankheiten oder des Mangels an Grundversorgung, Lebensmitteln und Schulmaterial nicht zur Schule gehen. Die UN-Flüchtlingsagentur schätzt, dass 7,7 Millionen Menschen, etwa ein Fünftel der Bevölkerung, das Land verlassen haben, wobei 84% in Lateinamerika und der Karibik leben. Dies ist eine der größten Migrationsbewegungen weltweit, und sie könnte weiter zunehmen, wenn die Wahlen keinen Wandel bringen. Dieser Massenauszug verdeutlicht drastisch die verheerenden Auswirkungen der sozialistischen Politik von Chávez und Maduro auf Venezuela.

Aktuelle wirtschaftliche Aussichten

Trotz anhaltender wirtschaftlicher Herausforderungen in den letzten Jahrzehnten hat das Regime kürzlich bedeutende Reformen durchgeführt, die die wirtschaftliche Lage verbessert haben. Im Vorfeld der Wahlen am 28. Juli hat die Maduro-Administration die Senkung der Inflationsrate zu einem Eckpfeiler ihrer Agenda gemacht. Im Mai wurde die jährliche Inflationsrate auf etwa 60% geschätzt. Obwohl diese Zahl hoch bleibt, stellt sie einen deutlichen Gegensatz zu den erschreckenden 130.000% Inflation im Jahr 2018 dar.  Diese Verbesserungen werden weitgehend den Liberalisierungspolitiken zugeschrieben, die in diesem Jahr initiiert wurden und eine zunehmende Verwendung des US-Dollars erleichterten. Dieser Wandel hat die de facto Dollarisierung des Landes formalisiert, da die Venezolaner Zuflucht vor dem stark abgewerteten Bolivar suchten. Darüber hinaus erleichterte das Barbados-Abkommen die Rückkehr ausländischer Ölgesellschaften nach Venezuela, was die Kapitalzuflüsse stärkte. Als Reaktion auf die kürzlich erneuerten Sanktionen war das Regime gezwungen, die Staatsausgaben zu kürzen und auf seine Reserven zurückzugreifen, um Wechselkurse und Inflation zu stabilisieren. Während diese Maßnahmen kurzfristig die Wahlchancen Maduros verbessern könnten, bleibt ihre Nachhaltigkeit angesichts der anhaltenden Wirtschaftssanktionen höchst fraglich.

Zukünftige Herausforderungen

Die Wahlen in Venezuela markieren einen entscheidenden Wendepunkt; dennoch sind die Herausforderungen für dieses Land gewaltig. Internationale Unterstützung wird nicht nur am Sonntag, sondern auch in den folgenden Monaten und Jahren von entscheidender Bedeutung sein. Selbst wenn González gewinnt, könnte Maduros Regime weiterhin versuchen, Einfluss auf den Übergang zur Demokratie auszuüben. Zudem werden im nächsten Jahr Parlamentswahlen stattfinden, sodass unklar ist, ob die potenzielle neue Regierung in der Lage sein wird, die notwendigen Reformen umzusetzen. Die venezolanische Opposition sieht sich auch nach dem 28. Juli mit kritischen Hindernissen konfrontiert. Einigkeit ist essenziell, da jede Fragmentierung dem Regime unbeabsichtigt zugutekommen könnte. Starke internationale Unterstützung ist ebenfalls von größter Bedeutung, wobei die Sanktionspolitik der USA, der Druck der Europäischen Union und die Unterstützung regionaler Verbündeter eine zentrale Rolle spielen.

Die Präsidentschaftswahlen in Venezuela sind ein Wendepunkt – die Hoffnung auf Demokratie ist spürbar. Der Wille des Volkes muss respektiert werden, und die Repression der Opposition muss enden.

Karl-Heinz Paqué, Vorsitzender des Vorstands der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Die Widerstandsfähigkeit der Opposition und die internationale Unterstützung sind entscheidend für die Unterstützung der demokratischen Bestrebungen Venezuelas. Trotz der Herausforderungen bleibt die Entschlossenheit des venezolanischen Volkes, seine demokratischen Rechte zurückzugewinnen, ungebrochen.